Ein neuer Anfang ... - Jetzt auch auf DVD: "Star Trek - Deep Space Nine" - Vierte Staffel

von Frank-Michael Helmke / 13. August 2011

Es war stets die besondere Ironie von "Deep Space Nine": Die unbestritten beste Serie der ganzen Trek-Franchise, mit den gelungensten Charaktermischungen und den besten und ausgeklügelsten Geschichten, war stets auch die am wenigsten erfolgreiche. Es mag daran gelegen haben, dass die sich erstmals in einer Trek-Serie konsequent weiterentwickelnde Storyline den Gelegenheitszuschauer demotivierte (ein Grund, warum auch die mit ähnlichem Szenario startende Konkurrenz-Serie "Babylon 5" nur eine begrenzte, aber umso leidenschaftlichere Fangemeinde besaß), oder dass Teile des Publikums dem (falschen) Eindruck erlegen waren, eine Raumstation als Handlungsort würde weniger Action bedeuten. Wie auch immer, als DS9 mit der vierten Staffel - vor der Etablierung des neuen Ablegers "Star Trek: Voyager" - die Franchise zeitweise alleine tragen musste, wurden die Produzenten angehalten, die Serie mit einer entscheidenden Neuerung aufzupeppen. Diese Neuerung war tatsächlich die Rückkehr eines alten Bekannten: Die Ankunft von Worf, Starfleet's einzigem Klingonen und Veteranen der TNG-Crew, markierte so etwas wie den zweiten Anfang der Serie - und was für ein Anfang. Die Eröffnungsdoppelfolge "Der Weg des Kriegers" (The Way of the Warrior) brachte viel Neues in die Serie und auf die Station, abgesehen von 5000 Photonentorpedos und der bis dato größten Raumschlacht in der TV-Geschichte von "Star Trek". Denn schon zu Anfang wurde der Grundton für die gesamte Staffel gesetzt: Paranoia, und das Chaos regiert.
Der Cliffhanger aus Staffel Drei - die Ankündigung eines sterbenden Formwandlers "Ihr kommt zu spät. Wir sind überall" verfehlte nicht seine Wirkung. Die Furcht vor einem effektiv nicht zu erkennenden Feind sorgte in allen großen Reichen des Alpha-Quadranten für ein Amok laufendes Bedürfnis nach mehr Sicherheit. Konsequenz Nr. 1: Der klingonische Einfall ins innerlich aufgerührte cardassianische Reich, der schlussendlich zum ersten Großangriff auf Deep Space Nine führte - und der Verteidigung mit besagten 5000 Photonentorpedos. Schon bei der Motivation für den klingonischen Angriff zeigte sich die neue Dimension der Serie: Vielschichtige Gründe, keine einfachen Erklärungen - komplexe Politik hielt Einzug ins Trek-Universum. Politik und Zerrüttung sicherer Allianzen. Denn auch in Staffel 4 würde sich das Dominion nicht als sichtbarer Gegner zeigen, die Taktik des mysteriösen Gegners blieb subtil: Die allseits präsente Angst vor unerkennbaren Eindringlingen sorgt für Misstrauen und Zweifel, Föderation und Klingonen schwächen sich selbst von innen. Selbst wenn Sisko schon im Eröffnungszweiteiler die Folgen dieser Paranoia erkennt, so bleibt niemand davor gefeit. Daher befasst sich auch die zentrale Doppelfolge der Staffel "Die Front"/"Das verlorene Paradies" (Homefront/Paradise Lost) mit eben diesem Problem: die Furcht vor auf der Erde befindlichen Formwandlern führt hier zu einem militärischen Komplott, das die Führung der Föderation stürzen will um die unsichtbare Bedrohung mit den eigenen Mitteln besser bekämpfen zu können - eine äußerst gelungene Parabel über die langsame Zersetzung von Grundrechten und -freiheiten im Namen der (nationalen) Sicherheit.
Die Atmosphäre wurde zusehends rauer in Staffel 4, was nicht nur daran lag, dass Captain Sisko nun endgültig sein Haupthaar ablegte und mit seinem neuen Outfit tougher denn je wirkte. Auf allen Seiten wurde der Ton schärfer, die Anführer nervöser, und das mühsam konstruierte Gleichgewicht im Quadranten kam zusehends ins Wanken - was sich schlussendlich natürlich als geschicktes Manöver des Dominion erweist, als der in der letzten Folge "Das Urteil" (The Great Link) von seinem Volk zum einfachen Menschen gemachte Odo (als Strafe für seinen Mord an einem anderen Wechselbalg) den klingonischen Kanzler Gowron als Formwandler entlarvt, und so den Cliffhanger zu Staffel 5 konstruiert, der noch mehr Chaos und Ungleichgewicht ankündigt. Es wird alles immer schlimmer.

Trotz des sich rasant entwickelnden zentralen Storyfadens blieb auch in Staffel 4 genug Zeit und Raum für mehr als nur ein paar außergewöhnliche Standalone-Folgen. In einer Season mit nur einem echten Schwachpunkt ("Die Muse") ist eigentlich jede Folge aus dem einen oder anderen Grund interessant und empfehlenswert, doch eine kleine Auswahl sticht noch deutlicher hervor. Die absoluten Klassiker aus dieser Staffel:
"Der Besucher" (The Visitor), in der ein gealterter und zum berühmten Schriftsteller gereifter Jake Sisko einer jungen Frau die Geschichte seines lebenslangen Versuchs erzählt, seinen bei einem Unfall in einer Art Zeitloch gefangenen Vater zu befreien - eine überaus kraftvoll erzählte und für Trek-Verhältnisse ungewöhnlich stark emotionale Episode um Vater-Sohn-Liebe und Selbstaufgabe, die auch beim wiederholten Ansehen ihre Wirkung nicht verfehlt.
"Kleine, grüne Männchen" (Little Green Men) - einer der größten Comedy-Klassiker der ganzen Serie. Dank eines Sabotage-Aktes werden Quark, Nog und Rom unfreiwillig zu Zeitreisenden und erweisen sich so als die berühmten Aliens, die angeblich 1947 im amerikanischen Roswell abgestürzt sind. Eine durch und durch hoch amüsante und äußerst gelungene Hommage an die trashige Science-Fiction der Nachkriegszeit und eine köstliche Parodie auf die damalige Zeit - vor allem die allgegenwärtigen Glimmstengel.
"Unser Mann Bashir" (Our Man Bashir) - die nicht weniger amüsante James Bond-Parodie versammelt alle Hauptcharaktere als Figuren in einem Holodeck-Abenteuer von Doktor Bashir, weil nach einem Transporterunfall ihre Muster dort abgespeichert werden mussten. Ein Bond-Szenario, in dem niemand getötet werden darf - das ist mal ein netter Twist. Während beinahe alle Holodeck-Episoden fast schon traditionell eher mittelmäßig ausfallen, erweist sich diese als komödiantisches Highlight von der ersten bis zur letzten Minute, denn wieder einmal haben die Schauspieler Riesenspaß daran, in andere Rollen zu schlüpfen, vor allem Avery Brooks als der größenwahnsinnige Oberbösewicht.
"Wiedervereinigt" (Rejoined) verdient seinen Sonderstatus nicht unbedingt wegen der eigenen Qualität, sondern wegen der besonderen Kontroverse: Jadzia Dax begegnet einem anderen Trill, der in einem ihrer früheren Leben ihre große Liebe war - doch nun begegnen sie sich beide in weiblichen Wirten wieder. Eine erneute Beziehung zwischen Symbionten ist ein Tabu in der Trill-Gesellschaft, und dennoch kommt es zu romantischen Spannungen zwischen den beiden. In bester Trek-Tradition wird hier anhand einer geschickten SciFi-Metapher ein reales Reizthema unserer Gesellschaft aufgegriffen, denn diese Folge dreht sich um Homosexualität, ohne auch nur einmal dieses Wort zu benutzen. Der Kuss zwischen den beiden weiblichen Trills nahm dabei historische Dimensionen an als der erste gleichgeschlechtliche Kuss im amerikanischen Primetime-Fernsehen.

Ein weiterer Besuch im (und diesmal auch aus) dem Spiegel-Universum, eine Vertiefung des gespaltenen Verhältnisses zwischen Major Kira und Gul Dukat in gleich zwei Folgen ("Indiskretion"/"Zu neuer Würde"), mehrere starke Episoden um den Crew-Neuling Worf, und sogar eine schwangere Kira, die das Kind der O'Briens austrägt - in dieser Staffel ist eine Menge los, und es ist fast alles großartig. Die Ankunft von Worf markiert in der Tat den zweiten Anfang der Serie, und auch den Punkt, ab dem man sie wirklich nicht mehr verpassen sollte, denn ab hier ist "Deep Space Nine" schlichtweg das qualitativ hochwertigste Stück Fernsehen des gesamten Trek-Universums - wenn nicht des ganzen SciFi-Bereichs.

Das DVD-Set der vierten Staffel bietet nach wie vor die gewohnte Qualität in Bild und Ton, die Special Features auf der siebten Disc sind diesmal indes nicht ganz so interessant wie noch in der letzten Staffel. Die zentrale Dokumentation "Karthografierung des neuen Territoriums" über die Änderungen in dieser Staffel ist zwar sehr interessant, abgesehen vom Crew-Dossier über Worf kann der Rest allerdings kaum begeistern. Bei den so genannten "Deep Space Nine: Chronicles" handelt es sich lediglich um eine Auswahl sehr kurzer Einleitungen mit Hintergrundwissen zu etwa der Hälfte aller Episoden der ersten vier Staffeln, ein Feature das offensichtlich von einer früheren Video-Ausgabe der Serie recycelt wurde und beinahe keine Informationen enthält, die man nicht bereits aus den Spezial-Dokumentationen der bisherigen DVD-Sets kennt. Hinzu kommen dann noch die gewohnten Mini-Dokus zu den technischen Hintergründen und dem Design von Aliens und Raumschiffen sowie die bekannten "Hidden Files", die wieder ein paar mehr Hintergründe zu den besten Episoden liefern. Das Übliche eben. Allerdings sind diese Special Features - egal, wie interessant und hochwertig - nie mehr als ein nettes Add-on, der Grund für den Kaufentscheid bei so einem DVD-Set ist die Qualität der Serie, und die ist hier - wie gesagt - jenseits jeder Diskussion. Das hier ist Science-Fiction auf höchstmöglichem Niveau. Punkt.


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