Alles was ich an euch liebe

Originaltitel
Seres Queridos
Land
Jahr
2004
Laufzeit
89 min
Genre
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Patrick Wellinski / 5. Januar 2011

Das erste Treffen mit den Schwiegereltern ist meist eine Herausforderung für die Nerven beider Parteien. Dieser wahrlich nicht neue Stoff ("Meine Braut, ihr Vater und ich" plus Fortsetzung lässt grüßen) bietet scheinbar genügend Freiraum für Variationen, so dass sich das spanische Regieehepaar Teresa de Pelegri und Dominic Harari gerade diese Rahmenhandlung für ihren Debütfilm "Alles was ich an euch liebe" ausgesucht hat.

Denn ein solches Treffen, steht Leni Dalinsky (Marian Aguilera) und ihrem verlobten Rafi (Guillermo Toledo) bevor. Im Fahrstuhl können es die beiden schon kaum mehr aushalten und versuchen ihre Nervosität durch einen Quickie zu unterdrücken. Die Aufregung ist berechtigt, denn Lenis jüdische Familie ahnt nicht, dass ihr neuer Verlobter Palästinenser ist, und damit wohl kaum als idealer Schwiegersohn gilt. Erstaunlicherweise hält sich der erwartete Skandal in Grenzen, denn Lenis Verwandte und dabei ganz speziell ihre Mutter Gloria entpuppen sich als durch und durch chaotischer und neurotischer Haufen, der viel weitertragende Probleme hat als das von Rafis Herkunft. Alles eskaliert erst, als Rafi ein tiefgefrorener Block Suppe aus dem Fenster fällt und einen Passanten trifft, der sich schnell als Lenis Vater und Oberhaupt der Familie entpuppt.

Eines Vorweg: Im Gegensatz zu den meisten Komödien ähnlicher Machart der jüngsten Zeit, wie "Meine Frau, ihre Schwiegereltern und ich" oder "Guess Who", wird hier der Plot nicht dazu genutzt, eine dämliche Kanonade an vulgären Gags los zu feuern. Vielmehr wird durch Rafis "Outing" den wirklich grundverschiedenen Individuen der Familie die Möglichkeit gegeben, auf ihre eigene meist völlig verquere Lage hinzuweisen. So fühlt sich Tania (Maria Botto), Lenis nymphomanische ältere Schwester, in ihrem freien Lebensstil mehr als bestätigt und empfindet diesen "Ausrutscher" ihrer Schwester als späte Genugtuung für die ungerechte Bevormundung in der Kindheit. Der pubertierende kleine Bruder David (Fernando Ramallo),der sich gerade in einer intensiven religiösen Phase befindet, kann und will einen palästinensischen Schwager nicht gut heißen und zieht sich ständig zum Gebet zurück. Wenn dann noch der 80-jährige blinde Opa Dudu (Max Berliner) mit seinem Gewehr Amok läuft, wird dieses Panoptikum an skurrilen und bizarren Personen komplettiert.

"Alles was ich an euch liebe" ist zu aller erst ein wunderbar dynamischer Film, der sich wirklich selten mit Belanglosigkeiten aufhält, und damit verhindert, selbst belanglos zu werden. Stattdessen beruft er sich auf seine große Stärke, nämlich seine schrägen Charaktere, deren Handeln oft in herrlichen, Chaplin-esken Humor ausartet. In den wirklich bissigen und sehr ironischen Dialogen offenbart sich der hohe Anspruch des Drehbuchs. Dabei kreist alles im Film um das eine zentrale Thema: Toleranz durch Akzeptanz. Und weil dies so allgemeingültig wie möglich gehalten werden soll, fungiert der Nah-Ost-Konflikt hier auch nur als Rahmenhandlung und wird nicht weiter vertieft. Damit bleibt ein Kommentar zur aktuellen politischen Lage aus, was eigentlich schade ist, denn der Film hätte durchaus die Möglichkeit besessen, ein klares Statement in Sachen Völkerverständigung abzugeben.

Vereinzelte Schwächen, wie zum Beispiel der völlig deplazierte Nebenplot um den Irrweg von Lenis Vater zurück nach Hause, oder der deutliche Übergebrauch des Wortes "ja" in der deutschen Synchro-Fassung (was nach einer Weile nur noch nervt) sind zu verzeihen, denn sie schaden dem positiven Gesamteindruck des Films nur gering. 
Es ist der alleinige Verdienst des starken Schauspiel-Ensembles, dass "Alles was ich an euch liebe" auf vielen Festivals zum Publikumsliebling avancierte. Dabei muss man Norma Aleandro als Gloria das größte Lob aussprechen. Sie verleiht ihrer gestressten, neurotischen und aufopfernden Mutterrolle durch eine unheimlich eigensinnige Körpersprache eine Tiefe, die wirklich eindrucksvoll die ganze Last einer Familienmutter vermittelt. Allein sie ist den Gang ins Kino schon wert.

Man kann, wenn man denn will, "Alles was ich an euch liebe" aufgrund der vielen multikulturellen Verstrickungen als Parabel für das Problem der Assimilation in Land und Kultur verstehen (angesichts der jüngsten Unruhen in Frankreich ja durchaus ein aktuelles Thema). Man kann sich aber auch einfach von diesen wirklich sehenswerten 89 Minuten spanischem Kino trefflich unterhalten lassen, und die universelle Botschaft mitnehmen, dass Integration und Toleranz im Kopf anfängt - und zwar bei uns allen.

Bilder: Copyright

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