Derrida

Originaltitel
Derrida
Jahr
2002
Laufzeit
85 min
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Margarete Prowe / 14. Februar 2011

 

Wie kreiert man einen Dokumentarfilm über einen Menschen, der nichts von sich preisgeben will außer dem, was er als seine philosophischen Ansichten sieht? Wie geht man mit Jacques Derrida um, Hohepriester der Literaturtheorie und Urvater des postmodernen Dekonstruktivismus, der über die Welt meint, sie könne nicht lesbar gemacht werden?

Man nehme zum Beispiel einen Dokumentarfilmer (Kirby Dick), der sich mit kontroversen Filmen wie "Sick: The Life and Death of Bob Flanagan, Supermasochist" einen Namen gemacht hat. Hinzu füge man eine Literaturwissenschaftlerin (Amy Ziering Kofman), die vom Werk Derridas seit ihrem sechzehnten Lebensjahr fasziniert ist, und einen Oscar-prämierten Filmkomponisten (Ryuichi Sakamoto), welcher schon Filmmusiken für Almodovár, Bertolucci und Schlöndorff komponierte. Das Ergebnis ist ein postmodernes, dekonstruktives Juwel.

Wer von diesem Film eine klare Biographie erwartet, wird enttäuscht sein. Derrida selbst weigert sich, Geschichten zu "erzählen" und somit erzählt auch dieser Film keine Geschichte, sondern deutet zahlreiche an und folgt keinem klassischen Aufbau. Die Interviewfragen wirken manchmal etwas oberflächlich und auch ein Spannungsbogen ist nur selten erkennbar.
"Derrida" ist eine künstlerische Collage aus Talkshowfetzen, privaten Interviews mit Derrida und seiner Familie, aus Vorlesungsausschnitten und immer wieder aus Textpassagen aus seinen Werken, welche gelesen werden, während er seinen privaten Angelegenheiten wie zum Beispiel einem Friseurbesuch nachgeht. Die hypnotisierende Musik und die Atmosphäre des Kinos an sich erzeugen einen Effekt des Traumes, in dem sich Dinge vermischen, aber auch die Wahrheit über sie wie durch einen Schleier durchscheint, an dem an verschiedenen Stellen gezupft wird. Das Zentrale ist, dass "Derrida" nicht Definitionen, sondern stattdessen die Komplexität und Vielschichtigkeit der Person und des Denkens Derridas darstellt.

Obwohl das Team jahrelang mit dem Theoretiker drehte, vertraut Derrida dem Medium Film immer noch nicht. Stets weist er auf die Unnatürlichkeit des Mediums hin und sagt an einer Stelle, er würde normalerweise in Pyjamas und Bademantel zuhause den Tag verbringen, doch habe er sich für den Film vernünftig bekleidet. Zusätzlich werden dauernd Kameras, Mikrofone und die Crew im Bildhintergrund gezeigt. Ein simples, aber probates Mittel: Während der große Dekonstruktivist interviewt wird, wird gleichzeitig das verwendete Medium in seiner Konstruiertheit offen gelegt.
Der Film spielt allgemein gern mit postmodernen Elementen: Derrida spricht an einer Stelle über Hände und Gestik. Während er dazu gestikuliert, sieht man die Interviewerin, wie sie im Spiegel seine Hände betrachtet. An anderer Stelle schaut sich Jacques Derrida Teile des von ihm aufgenommenen Filmmaterials an und spricht über seine Gefühle über diese Darstellung.

Auch die komische Seite Derridas wird in diesem Film nicht verleugnet: Von dem Versuch, seine Schwester in ihrem Kinderbettchen anzuzünden, bis hin zu einem Interview in einer amerikanischen Talkshow, bei dem er sich zur Ähnlichkeit seines Werkes mit der Serie "Seinfeld" äußern soll, welche er überhaupt nicht kennt und nur aussagt: "Dekonstruktivismus produziert keine Sitcoms" reicht die Skala.

"Derrida" bietet die einzigartige Gelegenheit, dem großen Theoretiker erstmals beim Denken "zu zusehen"; zum Beispiel bei der Frage, welchen Philosophen er gerne als Mutter gehabt hätte. Seine Antwort lautet nach langem schweigenden Nachdenken: "Jetzt werde ich Ihnen erklären, warum ich diese Frage nicht beantworten kann ...." Zusätzlich werden Derridas Vergangenheit als diskriminierter Jude in Algerien, der Tod seiner Mutter und seine Gegenwart im Privaten und in der Öffentlichkeit beleuchtet. Ebenso wird die Außenwirkung Derridas thematisiert, als ihn zum Beispiel eine Studentin fragt, ob es nicht ironisch ist, dass er in Südafrika vor einem fast ausschließlich weißen Publikum eine Vorlesung zum Thema der bedingungslosen Vergebung hält, oder an anderer Stelle, als er sich mit einem öffentlich aufgehängten Porträt von sich selbst auseinandersetzen muss.

"Derrida" ist eine beachtliche filmische Leistung, weil er seinem Subjekt auf ganz eigenwillige Art gerecht wird: Er hinterlässt mehr Fragen als am Anfang des Films existierten. Und genau diese Qualität macht "Derrida" wirklich zu einem Film über einen Philosophen und die Philosophie an sich.


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