Die Reise der Pinguine

Originaltitel
La marche de l'empereur
Land
Jahr
2005
Laufzeit
80 min
Regie
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Margarete Prowe / 30. Mai 2010

Huch, was ist denn das für ein Kinojahr? Potentielle Blockbuster wie "Die Insel" bleiben einsame Eilande, während eine kleine Tierdokumentation ganze Kontinente erobert. "Die Reise der Pinguine" ist wohl die Überraschung des Jahres: Ein Film über Kaiserpinguine in der Antarktis, der wenig überraschend Pinguine und die Antarktis zeigt - und sich in den USA dennoch zum Überraschungshit und zur zweiterfolgreichsten Dokumentation aller Zeiten (überflügelt nur von Michael Moores "Fahrenheit 9/11") mauserte. Was vielleicht auch daran liegen mag, dass der Film von verschiedenen Gruppen je nach Gusto ideologisch interpretiert und so mit mehr Sichtweisen versehen wird, als man sich zunächst vorstellen kann.

Es ist März: Die Kaiserpinguine springen aus dem Meer an Land, versammeln sich zu Kolonnen und beginnen ihre Wanderung ins Landesinnere der Antarktis, diesem unwirtlichsten aller Kontinente. Im April erreichen sie nach mühsamer, watschelnder Wanderschaft ihr Ziel: das Archipel von Pointe Géologie. Dort beginnt die Partnersuche. Sie schreien und schnarren und finden schließlich ein Gegenüber, dem sie schweigend gegenüberstehen, bis das Liebesspiel beginnt. Ende Mai legt das Weibchen stehend ein Ei, welches es sofort auf den Füßen balanciert und in seine Bauchfalte nimmt. Wenige Sekunden auf dem Eis und das Ei wäre gefroren, die Fortpflanzung für dieses Jahr gescheitert. Am Tag danach kommt die technisch schwierigste Aufgabe: Das Ei muss vom Weibchen zum Ausbrüten ans Männchen gegeben werden, wiederum mit nur minimalem Kontakt zum ewigen Eis. Die Mutter ist so entkräftet, dass sie zum Meer muss, um sich dort satt zu fressen und später wiederzukommen, um das Küken zu füttern.
Die Männchen müssen noch weitere zwei Monate ausharren, bis sie endlich zum Fressen ans Meer können. Der Winter in der Antarktis kommt, die Tage werden kürzer, dann wird es gänzlich Nacht um die Tiere herum. Eisige Stürme von bis zu 250 km/h toben über das Land.
Die Weibchen fressen unterdessen. Manche von ihnen werden von Seeleoparden gerissen, was gleichzeitig das Aus für ihre Küken bedeutet, die nun nicht mehr gefüttert werden können. Nach ihrer Rückkehr zur Kolonie (wieder etwa 200 Kilometer) füttern die Mütter erst einmal ihre frisch geschlüpften Küken, und nun endlich dürfen die Männer zum Fressen ans Meer zurück. Sie werden sich so lange abwechseln, bis der Nachwuchs groß genug ist, um sich selbst zu ernähren und ans Meer zu kommen. So geht es jahrein jahraus; jeden März beginnt der Marsch der Pinguine aufs Neue.

Die religiöse Rechte in den USA (die ihre Anhänger zuletzt für "Die Passion Christi" mobilisierte) sieht in diesem Tierfilm Parallelen zum Auszug Moses aus Ägypten; den Beweis, dass die Natur von Gott gelenkt wird; und auch noch die moralische Darstellung von Monogamie und korrekter Kindererziehung. Dies mutet etwas amüsant an, da dieselbe Gruppierung sich gleichzeitig über die Darstellung von - man glaube es kaum - Pinguinsex beschwert. Dummerweise wird schon am Anfang des Films klar gestellt, dass die Pinguine sich nur für ein Jahr als Pärchen zusammentun, was sogar noch kürzer als die durchschnittliche amerikanische Ehe sein dürfte. Die Pinguine, die nicht rechtzeitig von ihrem Partner in der Brutpflege abgelöst werden, lassen das Küken einfach sterben, um sich selbst zu retten - soviel zur hingebenden Elternschaft. In Singapur hingegen propagieren Feministinnen den Film als Paradebeispiel für allein erziehende Eltern. Auch diese Interpretation scheint ein wenig gewagt.
Dass der Film auf diese Weise "vermenschlicht" wird, lässt sich allerdings auch auf den einzigen großen Fehler des Regisseurs: Luc Jacquet zurückführen, der seine Pinguin-Bilder von Mama, Papa und Küken mit von menschlichen Erzählern gesprochenen Dialogen unterlegt, was bei Zuschauern mit geringer Kitschtoleranz ganz und gar nicht gut ankommen wird. Den Ausdruck "in unserer Oase der Liebe" kann man irgendwann einfach nicht mehr hören. In der englischsprachigen Version hätte man wenigstens Morgan Freeman ("Million Dollar Baby", "Die Verurteilten") als Erzähler erlebt, bei dem auch der größte Schmonsens nicht mehr gar so schmalzig klingt. Auf Deutsch gibt's dagegen nur Thorsten Michaelis (Hauptmann Stummel aus "NVA", Synchronsprecher für Wesley Snipes), der sich vermutlich auch fragte, was er da erzählen muss.
Was dafür fehlt (für eine ordentliche Dokumentation), sind notwendige und wichtige Hintergrundinformationen über den Kaiserpinguin, seine Feinde und seinen Lebensraum. Denn die Pinguine nehmen nicht ohne Grund die Strapazen der Wanderung ins Landesinnere auf sich, sondern können nur auf diese Weise überleben, weil ihnen die Nachkommenschaft sonst wegstirbt, sobald in den Küstenregionen die Eisschmelze einsetzt und der Grund unter ihren Füßchen verschwindet. Gleichzeitig werden in "Die Reise der Pinguine" die Raubvögel, die possierliche Küken fressen wollen, nur als "Monster" bezeichnet, während der Zuschauer gern wüsste, was für einen seltsamen Vogel er auf einmal vor sich hat. Ebenso gehen zwar Homepage und Presseheft zum Film auf die Klimaerwärmung und ihre Auswirkung auf die Pinguine ein, der Film jedoch leider nicht.
Der Elektro-Soundtrack der französischen Sängerin Emilie Simon ist Geschmackssache. Auf jeden Fall gibt sie dem Werk eine recht moderne Note, die sich von der Klassik-Untermalung manch anderer Tierdokumentationen abhebt. Doch passte bei "Nomaden der Lüfte" die Musik noch besser zu den Bildern und wurde zudem häufiger eingesetzt.

Bei soviel Kritik ist die Frage gerechtfertigt, warum der Film dennoch so eine hohe Wertung erreicht. Da sind zum einen die Bilder, die meisterhaft gedreht und ausgezeichnet montiert sind. Hier kann man in berückend schönen Einstellungen schwelgen, die nicht langweilen, obwohl man über eine Stunde lang nur Pinguine in der Antarktis sieht. Auch die Unterwasseraufnahmen zeigen die Kunstfertigkeit der Kameramänner. Man muss zusätzlich bedenken, dass hier eine Filmtruppe ein Jahr im Eis der Antarktis ausharrte und auf dem Bauch liegend bei lebensfeindlichen Temperaturen und beißendem Wind einen Haufen Pinguine filmte. Erfrierungen traten auf, die Filmausrüstung kam an ihre Grenzen und die Gruppe konnte nur filmen und filmen, ohne die Möglichkeit, sich das bisherige Material anzusehen und zu wissen, ob es gut ist. Diese Grenzerfahrung hat sich jedoch gelohnt, da dieses Gefühl des Überlebens in Kälte, Dunkelheit und Eis, welches für die Pinguine selbstverständlich ist, sich in den Aufnahmen auch dem menschlichen Publikum offenbart und beinahe physisch fühlbar wird.

So ist "Die Reise der Pinguine" ein Film über das Überleben dort, wo Überleben eigentlich nicht möglich ist. Nach dem Filmbesuch wird man sich jedenfalls der kuscheligen Wärme im eigenen Wohnzimmer noch bewusster sein als sonst. Wer Interesse an mehr Hintergrundinformationen zu den Kaiserpinguinen hat, dem sei das reich bebilderte gleichnamige Buch zum Film empfohlen, beziehungsweise der Besuch der Homepage www.DieReisederPinguine.de. Denn schließlich soll nicht vergessen werden, dass es sich hier um einen Film über Pinguine handelt - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Was die religiöse Deutung des Films betrifft, so sagte Regisseur Luc Jacquet selbst dazu in einem Interview, dass sie ungefähr so sinnvoll ist, als wenn man "Superman" auf Verteidigungsstrategien analysieren würde.

Bilder: Copyright

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