Dogtown & Z-Boys

Originaltitel
Dogtown & Z-Boys
Land
Jahr
2001
Laufzeit
97 min
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Frank-Michael Helmke / 14. Februar 2011

The revolution starts here. Als 1975 in Venice Beach, Los Angeles, die 12 Mitglieder des Zephyr Competition Skate Teams zum ersten Mal mit ihren Boards durch trockengelegte Swimming Pools kurvten, legten sie damit den Grundstein für einen Trendsport, der auch fast dreißig Jahre später die Jugendkultur dominiert. Damals hatte niemand von ihnen darüber nachgedacht, was für Folgen ihr Tun haben könnte, und so ist die Dokumentation von Original-"Z-Boy" Stacy Peralta nicht nur ein Lehrstück über die Frühgeschichte des modernen Skatens, sondern auch ein allgemeingültiges Portrait über die Entstehung einer Jugendkultur, die sich wie so viele sinnverwandte Bewegungen vor allem eins auf die Flaggen schrieb: Die Regeln machen wir.

Der von Schauspiel-Rebell Sean Penn erzählte und von Peralta beeindruckend dynamisch inszenierte Film widmet sich zu Beginn jedoch erst einmal ausgiebig einer anderen Sportart, nämlich Surfen. Denn die zwölfköpfige "Z-Boys"-Gang (elf Jungs und ein Mädel) war ursprünglich eine Surfer-Clique, die sich in den frühen Siebzigern in Dogtown, einem besonders heruntergekommenen Teil der Strand-Community von Venice Beach, zusammenfand. Ausgehend von dem von den Surfboard-Designern Skip Engblom, Jeff Ho und Craig Stecyk gegründeten und betriebenen "Jeff Ho & Zephyr Production Surf Shop" machten sich die jungen Teenies morgens in die Wellen auf, und halfen nachmittags gemeinsam in ihrem Mutter-Laden mit. Und weil man eben aufgrund der Wellenlage immer nur vormittags surfen konnte, revitalisierten die Teenager zur Tagesgestaltung den seit den frühen Sechzigern eigentlich schon wieder ausgestorbenen Sport des Skateboardens. Den Stil großer Surf-Idole auf die Straße übertragend, kreierten die Z-Boys so eine damals völlig neue Art des Skatens, aus der schließlich alles hervorgehen sollte, was man heute auf den Straßen sieht.
Man kann es sich kaum noch vorstellen, aber fast bis zum Anfang der 80er waren Skateboards gänzlich flache, dünne Bretter, die erst seit wenigen Jahren auf vernünftigen, widerstandsfähigen Plastikrollen glitten. Auf solchen Geräten wurden die Art Tricks erfunden, welche die Weiterentwicklung der Boards erst hervorbrachten. Und all das mehr so nebenbei und ohne jeglichen Hintergedanken. Wenn sich die ehemaligen Mitglieder der Z-Boys an das erste Mal erinnern, als sie während der großen Dürre, die Kalifornien Mitte der 70er heimsuchte, in einem leeren Pool skateten und so im Prinzip die Grundlage für die Half-Pipe legten, bekommt man ein Gefühl dafür, wie entscheidende geschichtliche Veränderungen ganz klein und unbedeutend anfangen.
Genau das ist es, worum es in "Dogtown & Z-Boys" vor allem geht: Um die unschuldigen, freien Anfänge von etwas, dass später größer und spektakulärer wurde, als es sich jeder der Pioniere je erträumt hätte. Geträumt haben sie eigentlich sowieso nicht: Der Film, bestehend aus Interviews von heute und Originalaufnahmen von damals, zeigt den Sport in seiner ursprünglichen Form, in der unverfälschten Reinheit des Einfach-Drauflos-Rollens. Ohne teure Klamotten, ohne spezielle Marken-Boards, ohne Perspektive. Skaten um des Skatens willen. Als all die Möglichkeiten des Sports noch unbekannt waren und darauf warteten, von den Z-Boys entdeckt zu werden. Mit dem abenteuerlichen Abfahren von Swimming Pools "erfand" die Gruppe das Vertical Skating - und blieb für lange Zeit mit immer mindestens einer Rolle auf fester Oberfläche. Es ist schwer zu glauben, dass der erste Aerial-Trick aus reinem Zufall entstand, als Skate-Legende Tony Alva eines Tages einfach über den Rand des Pools hinaus schoss, und das Erscheinungsbild des Skatens auf ewig veränderte. Den Z-Boys bei ihren Pool-Eskapaden zusehen ist irgendwie, wie bei einer Steinzeit-Doku auf die Erfindung des Rades zu warten. Retrospektiv erscheint es so simpel, so nahe liegend: einfach mit dem Board abheben. Und trotzdem musste erst irgendwer überhaupt auf die Idee kommen. Und wenn die gesamte Gruppe und der gesamte Sport aus dem Wellenreiten hervorging, bei dem man naturgemäß immer Kontakt mit der Wasseroberfläche hält, wird auch klar, wieso das so lange gedauert hat.

Für jeden ernsthaften Skater ist "Dogtown & Z-Boys" ohnehin Pflichtprogramm, aber auch für Nicht-Roller ist der Film mehr als zu empfehlen. Denn abseits von all den sport-spezifischen Details ist dies auch und vor allem das Portrait einer aufkeimenden Jugend-Kultur, die sich spontan und unbewusst gegen ein zugeplantes Dasein stellt. Als uninspirierte Städteplaner in Kalifornien die Grünflächen mit funktionsgesteuerten Betonwüsten versiegelten, reagierten Kinder und Jugendliche auf die Abtötung ihres kreativen Lebensraums mit einer Revolution ganz eigener Art: Sie machten die graue Einöde ihrer Schulhöfe zu ihrem neuen Spielplatz. Skip Engblom bezeichnet seine jungen


25 Jahre danach: Tony Alva, Jeff Ho,
Skip Engblom und Stay Peralta.

Schützlinge an einer Stelle des Films als "Urban Guerillas", und trifft den Nagel damit auf den Kopf: In einer Stadt, die ihnen systematisch alle Räume zur freien Entfaltung nehmen wollte, führten die Jugendlichen einen erbitterten Kleinkrieg für ihre Freiheit zu tun, was sie wollten. Wenn die tote Betonwüste in eine neue kreative Spielwiese verwandelt wird, erhält Skaten eine poetische Dimension von wirklich revolutionärer Natur.
"Nobody had ever done anything like this". Dies ist einer der häufigsten Sätze in "Dogtown & Z-Boys", und hat eindeutig seine Richtigkeit, wenn dieser Pionier-Charakter auch ein wenig überbetont wird, was den einzigen Schwachpunkt des Films darstellt. Die Z-Boys erfanden nicht nur im Alleingang die komplette
Grundlage, die diesen Sport seitdem auszeichnet, sie waren auch die ersten Opfer des Ausverkaufs, der bisher noch jede Jugend-Kultur in den idealistischen Ruin getrieben hat. Gerade die Geschichte von Jay Adams, von den anderen Z-Boys allgemein als das größte Talent unter ihnen allen anerkannt und somit vielleicht der potentiell großartigste Skater ever, ist in dieser Hinsicht besonders schmerzlich: Sich der kommerziellen Verwertung seines Talents verweigernd, rutschte er ab in die negativen Begleiterscheinungen eines neuen Trends. Zur Produktionszeit des Films war Jay Adams gerade nach diversen Drogendelikten aus dem Gefängnis entlassen worden.
Wie wichtig seine Leistungen und die der anderen Z-Boys für den gesamten Sport waren, wird schon allein durch die Tatsache klar, dass Tony Hawk und Steve Caballero - die größten Skateboard-Legenden der 80er - kurz zu Wort kommen und von ihren eigenen Idolen schwärmen dürfen, eben den Z-Boys. Deren Pionierarbeit ist heute fast wieder vergessen - das ganz große Geld und den Ruhm sackten Leute wie Hawk und Caballero ein, Skaten dreht sich inzwischen nur noch um Höher, Schneller, Extremer. Das Stil-Bewußtsein des alten Zephyr-Teams ist verloren.
"Dogtown & Z-Boys" ist ein mehr als berechtigtes Vermächtnis an die Väter eines Sports, der die Jugend des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts geprägt hat wie kein anderer, und eine Erinnerung daran, dass die größten Helden einer solchen Bewegung meistens nicht die sind, die heute die dicken Werbeverträge unterschreiben.

Bilder: Copyright

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