Mit Jorge möchte man nicht tauschen: Sein Bruder sitzt im Gefängnis, sein bester Freund macht eine sexuelle Identitätskrise durch und Jorge selbst hat immer noch nicht die Liebe fürs Leben gefunden. Für zusätzlichen Frust sorgen sein Job als Hausmeister eines Wohnblocks und vor allem die Tatsache, dass er seit sieben Jahren alleine für die Pflege seines aufgrund eines Schlaganfalls leicht geistig behinderten Vaters zuständig ist. Das mag insgesamt nach einer ziemlich deprimierenden Geschichte klingen, die noch dazu in ihrer unwahrscheinlichen Ausgangssituation wenig mit dem Leben der meisten Kinobesucher gemeinsam haben dürfte. Warum sich also "dunkelblaufastschwarz" anschauen - deutet der Titel ja auch nicht gerade heitere Kinounterhaltung an?
Tatsächlich sind es wohl auch weniger die konkreten Lebensumstände
Jorges, mit denen man sich hier identifizieren kann; dafür
dürfte aber die Situation, für die diese stehen, so manchen
Zuschauern bekannt vorkommen - vor allem denjenigen, die wie Jorge
Mitte zwanzig sind und denen Probleme wie die Suche nach der eigenen
Identität und dem roten Faden im eigenen Leben bekannt vorkommen,
ebenso wie die wichtige Erkenntnis, dass diese Suche wohl nie ganz
abgeschlossen sein wird.
In "dunkelblaufastschwarz" beschäftigt die Suche
nach Sinn und Selbstbestimmung alle Protagonisten. Jorges Bruder
Antonio lernt im Gefängnis Paula kennen, verliebt sich in sie
und möchte ihr den Wunsch nach einem Kind und der damit möglichen
Aufnahme in die Mutter-Kind-Station
des Gefängnisses gerne erfüllen. Da er aber zeugungsunfähig
ist, bittet er Jorge um Hilfe, der schließlich einwilligt,
mit Paula zu schlafen. Nach und nach fühlt Jorge sich immer
mehr zu der jungen Frau hingezogen, hat aber gleichzeitig noch starke
Empfindungen für seine Jugendliebe Natalia.
Daniel Sánchez Arévalo, der das Drehbuch zu "dunkelblaufastschwarz"
schrieb und damit auch sein Debüt als Regisseur eines Kinofilms
gab, stellt hier sein Können als Filmemacher nicht nur mit
den einfühlsamen Dialogen, die er seinen Protagonisten in den
Mund legt, unter Beweis, sondern auch mit der ruhigen Erzählweise.
Obwohl die Handlung auf keinen spannenden, dramatischen Höhepunkt
zuläuft und man größtenteils lediglich zum Zeugen
der Unterhaltungen von Menschen mit ihren eigenen Sorgen und Problemen
wird, fühlt man sich von Beginn an ins Geschehen hineinversetzt.
Zu verdanken ist dies nicht nur den intelligenten Dialogen, sondern
auch Hauptdarsteller Quim Gutiérrez, der durch seine zurückhaltende,
aber glaubwürdige Spielweise dem Zuschauer die Identifikation
mit Jorge erleichtert.
Der Film erzählt einfach, wo die handelnden Personen gerade
in ihrem Leben stehen, ohne dabei in irgendeiner Hinsicht zwanghaft
originell sein zu wollen. Gerade diese Unaufdringlichkeit ist es
aber, die ihn so sympathisch macht. Langsam ist er mit Sicherheit
- manch einem vielleicht zu sehr - doch ganz sicher nicht langweilig.
Dafür sorgt auch der wohldosierte Einsatz nie unpassend wirkenden
Humors, etwa wenn Jorges bester Freund vom Hochhausdach aus den
Masseur im Nebengebäude beobachtet, der seinen männlichen
Kunden weit mehr als nur den Rücken massiert. Spielerisch
balanciert der Film dabei zwischen Drama und Komödie, was mit
dazu beiträgt, dass er einem das Gefühl gibt, hier das
wahre Leben gezeigt zu bekommen; in dieser Hinsicht erzielt "dunkelblaufastschwarz"
eine ähnliche Wirkung wie Zach Braffs "Garden State".
Das jederzeit mögliche Umschlagen von der Tragik zur Komik
und umgekehrt sowie das Bewusstsein, dass sich das eigene Leben
stets in der Schwebe zwischen beidem befindet, dies soll der Filmtitel
zum Ausdruck bringen. Mit dem Begriff "dunkelblaufastschwarz",
so erklärt das Pressematerial zum Film, sei ein Seelenzustand,
eine ungewisse Zukunft, eine Farbe, die sich abhängig von Licht
und Stimmung verändert, gemeint. Dass es oft so wenig zu sein
scheint, was einen von der Erfüllung seiner Wünsche und
Ziele und damit dem Aufhellen einer düsteren Gemütslage
trennt, wird in "dunkelblaufastschwarz" durch zwei Glasscheiben
symbolisiert: Die eine trennt im Gefängnis Antonio von Paula,
die andere Jorge von dem Anzug im Schaufenster eines Geschäfts,
der für ihn ein besseres Leben symbolisiert, den er sich aber
nicht leisten kann.
Daniel Sánchez Arévalo hat es geschafft, eine an sich
ziemlich belanglose Geschichte durch gut geschriebene Dialoge, die
einem die Charaktere und ihre Beziehungen nahe bringen, eine unaufdringliche,
aber wirksame Erzählweise und eine die Stimmung passend unterstreichende
Filmmusik zu einem warmherzigen Stück Kino zu machen, das die
Gefühlswelt der heutigen Mitzwanziger beschreibt.
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