Es geschah in einer Nacht

MOH (52): 7. Oscars 1935 - "Es geschah in einer Nacht"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 23. April 2024

Die 1935 für den Oscar nominierten Filme “Imitation of Life“ und “Die Rothschilds“ sorgten in unseren letzten beiden Ausgaben ja angesichts sehr nachdenklich stimmender Themen nicht gerade für Leichtigkeit. Zum Abschluss dieses Oscar-Jahrgangs ändert sich das glücklicherweise, denn mit dem Siegerbeitrag “Es geschah in einer Nacht“ kommt heute jede Menge gute Laune ins Haus.

Es geschah in einer Nacht

Originaltitel
It Happened One Night
Land
Jahr
1934
Laufzeit
105 min
Regie
Release Date
Oscar
Gewinner "Outstanding Production"
Bewertung
10
10/10

Erst kürzlich habe ich in dieser Reihe angesichts von “Der dünne Mann“ ja über die Last hoher Erwartungen gesprochen, wenn man zum ersten Mal auf einen von allen Seiten hochgelobten Filmklassiker trifft. So konnte man ja schon fast ein bisschen in Sorge sein ob zu viel Vorschusslorbeeren auch bei “Es geschah in einer Nacht“ die Erwartungen hier in unerfüllbare Höhen schrauben würden. Schließlich schrieb dieser 1935 eindrucksvoll Oscar-Geschichte und gewann als erster von insgesamt bisher erst drei Filmen (es folgten nur noch “Einer flog über das Kuckucksnest“ und “Das Schweigen der Lämmer“) die sogenannten “Big Five“-Awards der Academy: “Bester Film“, “Beste Regie“, “Bestes (adaptiertes) Drehbuch“, “Bester Hauptdarsteller“ und “Beste Hauptdarstellerin“.

Ganz nebenbei gilt “Es geschah in einer Nacht“ dann auch noch als stilbildend für ein komplettes Genre (die Screwball-Komödie) und soviel Legendenstatus schraubt die potentielle Fallhöhe des Films natürlich ordentlich nach oben. Aber all die Sorge verpufft hier schon innerhalb weniger Minuten angesichts großartiger Dialoge und einer schon fast magischen Leinwandchemie zwischen den beiden Hauptfiguren. Man packe obendrauf noch die leichtfüßige Inszenierung von Regisseur Frank Capra und fertig ist einer dieser zeitlosen Filmklassiker, den man sich zur Aufmunterung am Besten an einem tristen Winterabend gönnt. Auch wenn der kleine Skeptiker in mir zumindest einmal kurz den Zeigefinger heben muss, da dann doch ein ganz kleines Haar in dieser sonst so traumhaft zubereiteten Filmsuppe schwimmt.  
 


Jede Menge Haare in der Suppe finden dagegen unsere beiden Hauptfiguren Ellie und Peter, wenn sie in “Es geschah in einer Nacht“ an einander denken. Ellie (Claudette Colbert, “Cleopatra“, “Der lächelnde Leutnant“) ist eine vom Leben verwöhnte Bankierstochter, deren gerade geschlossene Hochzeit mit dem reichen King Westley (Jameson Thomas) dem eigenen Vater (Walter Connolly) ein Dorn im Auge ist. Eingesperrt auf einer Yacht möchte dieser seine Tochter zur Vernunft bringen, doch Ellie flüchtet und löst damit nicht nur einen handfesten High-Society-Skandal sondern auch eine umfangreiche Suchaktion aus. Ihr Plan unerkannt mit dem Bus nach New York zu ihrem geliebten King Westley zu gelangen gerät aber in Gefahr, als der gerade arbeitslos gewordene Reporter Peter (Clark Gable) neben ihr Platz nimmt und schon bald die Geschichte seines Lebens wittert. In der Angst ansonsten aufzufliegen versucht sich Ellie mit dem ihr völlig unsympathischen Peter zu arrangieren, der wiederum auch nicht wirklich viel Freude am Austausch mit der aus seiner Sicht komplett verzogenen Millionärstochter hat. Aber so eine Busfahrt dauert ja ein Weilchen und bietet darum genug Zeit, um die gegenseitige Abneigung ja vielleicht doch noch einmal zu überdenken.  

“Es geschah in einer Nacht“ gilt als Aushängeschild und Vorreiter der Screwball-Komödie – einem Genre, das seine Blüte in den 1930er und 1940er Jahren erlebte und heute vor allem mit Schauspieler und Schauspielerinnen wie Cary Grant oder Carol Lombard assoziiert wird. Der Begriff “Screwball“ stammt dabei ursprünglich aus dem amerikanischen Baseball und bezieht sich auf eine besonders ausgefallene Wurftechnik. Schon bald setzt sich in der damaligen Zeit der Begriff in der amerikanischen Gesellschaft auch als Bezeichnung für ebenso ausgefallene Zeitgenossen durch und genau auf solche trifft man in einer Screwball-Komödie reichlich.
 


Vereinfacht gesagt könnte man die Screwball-Komödie also als eine sich etwas auf die Schippe nehmende Variation der romantischen Komödie bezeichnen, ausgestattet mit eher exzentrischen Figuren, deutlich schnippischeren Wortwechseln und einer kleinen (manchmal auch großen) Portion Slapstick. Gerade anhand von “Es geschah in einer Nacht“ lässt sich aber noch ein weiterer spannender Aspekt beobachten. Der hier schon oft erwähnte Hays Code, der in den USA ein moralisch einwandfreies Filmerlebnis garantieren sollte, stand während der Produktion des Films kurz vor der verpflichtenden Einführung. Spätestens jetzt war es also mit der früher durchaus gezeigten Freizügigkeit endgültig vorbei und das Thema Sex im Film von nun an ein ganz heißes Eisen.

Ganz konkret sorgte das bei Filmen der damaligen Zeit dafür, dass männliche und weibliche Figuren zum Beispiel auf keinen Fall mehr im gleichen Bett liegen durften – egal ob verheiratet oder nicht. Einen so grundlegenden Aspekt des menschlichen Lebens aber nun komplett auszuklammern schien auch angesichts der Interessen des Publikums keine gute Idee zu sein. Die Screwball-Komödie hatte dafür ihre ganz eigene Lösung parat, wie “Es geschah in einer Nacht“ wundervoll zeigt. Die extrem feindselige Beziehung der zwei Hauptfiguren lässt diese nämlich gerade zu Beginn immer wieder wie wilde Stiere die Hörner aneinander reiben und sorgt so alleine durch die zahlreichen Wortgefechte für eine gewisse erotische Spannung. Nichts drückt aber dieses Spannungspotential besser aus als das wohl berühmteste Motiv des Filmes: die Mauer von Jericho.  
 


Neben der Busfahrt verbringen Peter und Ellie vor allem viel Zeit in Motels. Da man sich nur ein Zimmer leisten kann spannt Peter als anständiger Kerl eine Wäscheleine zwischen beiden Betten, sorgt mit einer Decke für Sichtschutz und nennt das Konstrukt die “Mauer von Jericho“. Und wer im Religionsunterricht aufgepasst hat und die passende Legende aus der Bibel kennt ahnt schon, dass dieses “Mauerwerk“ vermutlich dem langsam ansteigenden erotischen Verlangen der beiden Sturköpfe nicht gewachsen sein wird. Genau damit spielt der Film nun clever, in dem er immer wieder mit der möglichen (im wahrsten Sinne des Wortes) Grenzüberschreitung kokettiert. Einmal flüchtet Ellie zum Beispiel schnell auf ihre Seite, als Peter sich mit humorvollen Bemerkungen vor ihr seiner Kleider zu entledigen beginnt. Ein anderes Mal sieht man wiederum Ellie sich alleine und gedankenversunken auf ihrer Seite durchaus lasziv im Mondlicht ausziehen, während Peter ruhig in seinem Bett liegt. Der Film ist voll von solchen offensichtlichen und auch weniger offensichtlichen Anspielungen, während es gleichzeitig aber über die ganze Laufzeit nicht mal einen richtigen Kuss zu sehen gibt. Weswegen der einflussreiche Filmkritiker Andrew Sarris den Film auch einmal sehr passend als “sex comedy without the sex“ beschrieb.

Aber genug der Theorie, denn auch ohne alle diese verkopften Hintergrundanalysen hat man mit diesem Film einfach jede Menge Freude. Die Wortgefechte sind von Autor Robert Riskin großartig geschrieben und stecken voller cleverem Witz und netten Einfällen. Oft ist dabei einfach auch herrlicher Quatsch dabei, wenn Peter zum Beispiel über seine patentierte Huckepack-Technik, den perfekten Anhalterdaumen oder die richtige Reihenfolge beim Kleiderausziehen philosophiert. Umgekehrt erntet er für seine selbstverliebten Monologe stets wundervoll-sarkastische Seitenhiebe von Ellie, woraus sich eine tolle Reibungsenergie und jede Menge Spaß für das Publikum entwickelt. Dieses ständige sich gegenseitig Dissen ist die pure Freude, funktioniert aber auch nur so gut, weil man mit beiden Darstellern einen absoluten Glücksgriff gezogen hat.
 


Die große Ironie dabei ist die Tatsache, dass Colbert eigentlich gar keine Lust hatte im Film mitzuspielen und noch am Ende überzeugt war gerade im schlechtesten Streifen ihrer Karriere mitgewirkt zu haben. Davon ist im Film aber gar nichts zu merken, wobei eine “Den Film wird sowieso keiner sehen“-Haltung gerade bei dieser schnippischen Figur vermutlich Gold wert war. Colbert schafft es auf jeden Fall einem die verwöhnte Millionärstochter mit unglaublicher Energie, tollem Timing bei den Dialogen und einer niedlichen Dosis Naivität schnell ans Herz wachsen zu lassen. Was für eine großartige Schauspielerin Colbert war zeigt sich aber auch alleine schon bei einem Blick auf das Jahr 1935, in dem sie ja auch noch in zwei weiteren Oscar-Kandidaten (“Cleopatra“ und “Imitation of Life“) jeweils komplett unterschiedliche Rollenprofile ebenfalls mit absoluter Bravour meisterte.   

Als ihr Gegenüber brilliert ein weiteres Schwergewicht der Schauspielkunst. Auch Gable begeistert mit seinem natürlichen Charisma, unglaublicher Energie und großartigem Timing. Und auch er schafft es wundervoll, seine ja eigentlich schon sehr selbstverliebte Figur mit einer ordentlichen Prise Augenzwinkern einfach sehr charmant wirken lassen. Auch wenn hier und da der für die damalige Zeit typische Macho aus ihm herausbricht, dank breitem Grinsen und jeder Menge Spielfreude kann man ihm dafür nie böse sein. Das Zusammenspiel mit Colbert ist einer dieser Fälle von magischer Leinwandchemie, die man unmöglich planen und eigentlich auch nur bedingt logisch erklären kann. Hier passt eben einfach alles.
 


Nicht ganz unschuldig daran ist natürlich auch Regiemeister Frank Capra, der begnadete Gute-Laune-Film-Onkel Hollywoods. Capra hat einfach ein tolles Händchen dafür eine ansteckende wohlige Grundatmosphäre in einem Film zu etablieren, bei der man sich immer so fühlt, als hätte man sich gerade vor ein wärmendes Kaminfeuer gesetzt. Zu verdanken ist das in “Es geschah in einer Nacht“ auch wieder diesen typischen Capra-Momenten, wenn zum Beispiel die Passagiere des Busses auf einmal alle inbrünstig ein Liedchen trällern oder an einem Bahnübergang Peter seine Liebe für Ellie durch überschwängliches Grüßen mit wildfremden Leuten teilt. Da geht einem einfach das Herz auf, egal wie grummelig man gerade drauf ist.

Die Leistung von Capra ist dabei gar nicht hoch genug zu würdigen, kam der Film nicht nur mit kleinem Budget (wovon das meiste an Colbert ging) daher, man hatte auch nur vier Wochen Zeit für die Produktion und nahezu keine Vorlaufzeit. So reichte es nur für ein paar wenige einfache Sets (stattdessen gibt es viele Außenaufnahmen) und gerade mal zwei unterschiedliche Kleider für die Hauptdarstellerin (für damalige Verhältnisse schon fast grotesk wenig). Aber das hindert Capra und seine Crew nicht daran hier ein Meisterwerk der Kinogeschichte zu schaffen. Nur ein ganz kleines Haar finde ich dann doch noch in der Suppe. So gibt es eine Szene, in der Peter droht das Opfer einer Erpressung zu werden und er sich aus dieser Situation nur dadurch befreit, dass er dem Gegenüber relativ direkt mit möglicher Gewalt gegen dessen Kinder droht. Alles natürlich nur gespielt aber irgendwie zieht dieser Moment zumindest für ein paar Minuten die Stimmung in den Keller, da er einen Schatten auf die sonst so wundervolle Leichtigkeit des Films wirft. Davon erholt man sich hier zwar wieder relativ schnell aber man wünscht sich dann doch, dass diese Szene besser der Schere zum Opfer gefallen wäre.
 


Dieser kleine Aussetzer soll uns aber nicht daran hindern “Es geschah in einer Nacht“ dorthin zu schicken, wo er hingehört: den Filmolymp. Davon zeugen auch die fünf Oscar-Statuen von denen gerade die Auszeichnung als “Bester Film“ angesichts der vorherigen Gewinner völlig aus dem Nichts kam. Das waren bisher nämlich fast ausschließlich aufwendig produzierte und meist episch anmutende Werke gewesen. Hier ist “Es geschah in einer Nacht“ eine sehr willkommene Abwechslung auch wenn das von dem Ruhm völlig überraschte kleine Studio Colombia Pictures daraus natürlich die eher einfallslose Schlussfolgerung zog, sich ab sofort vollkommen auf dieses neue Genre einzuschießen. Bis wir in unserer Reihe auf den nächsten Vertreter der Screwball-Komödie stoßen wird es aber noch etwas dauern und solange kann man nur jedem, der es noch nicht getan hat, ans Herz legen dieses wundervolle Kleinod der Filmgeschichte auf seine Watchlist zu packen. Am besten nach ganz oben.

"Es geschah in einer Nacht" ist aktuell als Blu-Ray, DVD und auf Amazon Prime in Deutschland verfügbar. Alternativ ist der Film auch auf der Webseite des Internet Archive kostenlos abrufbar.

 

Trailer zu "Es geschah in einer Nacht"

 

Claudette Colbert spricht über "Es geschah in einer Nacht" anläßlich des AFI Life Achievement Awards für Frank Capra 1982.


Überblick 7. Academy Awards
Alle nominierten Filme der Kategorie “Outstanding Picture“ der siebten Academy Awards 1935 nochmal auf einen Blick:


Ausblick
In unserer nächsten Folge starten wir in die achten Academy Awards des Jahres 1936 und werden gemeinsam mit Schauspiellegende Kathrine Hepburn etwas melodramatisch.

Bilder: Copyright

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