Führer Ex

Jahr
2002
Laufzeit
107 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Heide Fuhljahn / 8. Januar 2011

Wie wird ein Mensch zum Neonazi? Welche Bedingungen führen dazu, dass ein normaler Mensch, der einmal ein Kind, Jugendlicher nach durchschnittlichem Strickmuster war, zum Rassist wird? Eine von vielen möglichen Antworten zeigt "Führer Ex". Ingo Hasselbach war selbst Neonazi, bis er 1993 aus der rechten Szene ausstieg. Zusammen mit Winfried Bonengel, der im Film auch Regie führt, schrieb er im selben Jahr das Buch "Die Abrechnung", in den USA erschienen unter dem Titel "Führer Ex". Heute arbeitet Ingo Hasselbach als freier Autor, er ist Mitbegründer der Ausstiegshilfsorganisation EXIT. Er lebt nach wie vor im Zeugenschutzprogramm. Zusammen mit Bonengel schrieb er das Drehbuch zum Film "Führer Ex", welcher eine Mischung aus Wahrheit und Fiktion geworden ist.

Die 18jährigen Heiko (Christian Blümel) und Tommy (Aaron Hildebrand) leben in den 80ern in der DDR ein durchschnittliches Jugendleben: wenig Bock auf gar nichts, erste Erfahrungen mit Frauen, rumhängen mit den Kumpels. Sie sind jung, naiv, genervt vom totalitären System, pinkeln auf die Partei-Zeitung "Neues Deutschland" und haben keine Perspektive. Spätestens nach Tommys erstem Gefängnisaufenthalt (er hatte aus Jux die DDR-Flagge verbrannt) ist den beiden klar: sie wollen raus aus diesem Staat. Ihr stümperhafter Fluchtversuch scheitert kläglich, sie werden verurteilt und landen im schlimmsten Zuchthaus der DDR. Hier herrscht brutale Knast-Realität, welche die beiden Jungen überfordert und zum Spielball der dort herrschenden Gruppen macht. Tommy, pragmatisch veranlagt, schafft es noch einigermaßen, an den veränderten Lebensbedingungen nicht komplett zu zerbrechen. Er schließt sich schnell eine Gruppe von Nazis unter der Leitung von Friedhelm Kaltenbach (Harry Baer) an, die zwar Unterwerfung fordern, aber größtmöglichen Schutz bieten. Der sensible Heiko hingegen scheitert am System und läuft geradewegs in jedes offene Messer. Bei seinem Spießrutenlauf wird er schließlich brutal vergewaltigt. Als er der nächsten Peiniger ein Messer in den Bauch rammt, kommt er in Einzelhaft und verliert neben seiner Seele auch langsam den Verstand. Zurück im "normalen" Knast schließt auch er sich dann der Gruppe von Kaltenberg an. Bald gelingt Tommy die Flucht, während Heiko ausharren muss....

Die grenzenlose Inhumanität, auf die beiden Jungs im Knast treffen, und die ihr Leben und ihre Freundschaft unerwartet und nachhaltig prägt, macht "Führer Ex" so glaubwürdig und schockierend und lässt die Zuschauer in Abgründe blicken, die man gerade deshalb nicht sehen möchte, weil sie wahr sein können, und vielen Menschen solcher Gewalt ausgesetzt sind. Nicht nur in der DDR, sondern in den meisten Ländern rund um den Globus. Die Entwicklung der Freundschaft zwischen Heiko und Tommy steht im Fordergrund der Geschichte und macht sie so spannend zum Kino- und nicht zum Dokumentarfilm. Trotz einiger Brüche im Ablauf und geringer Schwächen bei den sonst vielversprechenden Jungschauspielern Blümel und Hildebrand ist hier ein herausragender Film gelungen. Die Stärke des Films, nämlich die persönlichen Erfahrungen von Hasselbach, zeigt sich in der Erschütterung und Beklemmung, mit der die Zuschauer den Kinosaal verlassen.

Bilder: Copyright

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