Gegenüber

Jahr
2007
Laufzeit
96 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Faustin Vierrath / 18. Januar 2011

Mit Ende 20 kann man sich langsam Gedanken über den Studienabschluss machen. Vielleicht ein bisschen Konstanz in sein Beziehungsleben bringen, überhaupt etwas erwachsener werden. Man kann aber auch einen reifen Film über den Zustand einer Ehe nach 30 Jahren drehen, damit nach Cannes fahren und auf dem Münchner Filmfest mal eben den Preis für das Beste Drehbuch abräumen. Kann man tatsächlich, zumindest wenn man Jan Bonny heißt und Talent hat.

Georg (Matthias Brandt) ist Streifenpolizist - kein Draufgänger in Grün, eher ein bisschen dröge, ein stiller Held, dem Lob und zuviel Aufmerksamkeit peinlich sind: "Der Georg will immer nur helfen", sagen die Kollegen spöttisch und bewundernd zugleich. Im Beruf wird sein Bemühen gebührend belohnt: Nach einem gefährlichen Einsatz, bei dem er seinem hitzköpfigeren Partner Michael (Wotan Wilke Möhring) das Leben rettet, trägt Georgs Vorgesetzter ihm die Beförderung zum Oberkommissar an - eine Verheißung, die noch Unheil bringen wird. Im Privaten dagegen scheitert sein Vorsatz auf dramatische Weise: In der vermeintlichen Bilderbuch-Ehe mit der hübschen Grundschullehrerin Anne (Victoria Trauttmannsdorff), um die Georg allenthalben beneidet wird, ist gelingende Kommunikation unmöglich geworden, entlädt sich blinde Aggression regelmäßig in körperlicher Gewalt. Anne sucht verzweifelt nach Anerkennung, aber ihr diffuses Sehnen bleibt unerfüllt. Die beiden erwachsenen Kinder sind zum Studium ausgezogen, kommen noch pflichtschuldig zum Sonntagsfrühstück und versuchen ansonsten die spannungsgeladene Atmosphäre der elterlichen Wohnung zu meiden. Jeden Mittwoch versammelt man sich im Haus der Großeltern zum Abendessen, einem zynischen Ritual, bei dem Annes Vater gönnerhaft einen Scheck für das Studium der Enkel auszustellen pflegt - eine demütigende Demonstration der Macht gegenüber dem "Versager" Georg, der auf die finanzielle Unterstützung angewiesen ist.

"Gegenüber" erzählt von der entscheidenden Lücke zwischen Verständnis haben und Verstehen, von Scheitern und Neuanfang und davon, wie die Grenzen des Akzeptablen sich unmerklich verschieben, wenn Zärtlichkeit und Gewalt ihre vertraute begriffliche Bestimmtheit verlieren. Dann werden zuweilen Vorwürfe geäußert, die so offenkundig widersinnig sind, dass sich mancher Zuschauer zu einem ungläubigen Lacher hinreißen lässt. Dabei ist es vor allem erschütternd, welchen verstörenden Klang altbekannte und zum Grundbestand harmloser Beziehungskrisen gehörende Floskeln und Fragen haben können, wenn sie in einem Kontext von Gewalt und Abhängigkeit ausgesprochen werden.

Dass es dieser Film dem Zuschauer nicht leicht macht, offenbart er schon in der Eingangsszene: Mühsam versucht man im schummrigen Dunkel einer Tiefgarage, durch die wacklige Handkamera zusätzlich behindert, dem Geschehen zu folgen. Die Dunkelheit, die man zunächst für einen Beleuchtungsfehler halten möchte, wird nie ganz weichen aus dieser Geschichte, in der zwischen trüben Winternachmittagen in einer lichtarmen, beklemmend engen Hochhauswohnung und den Spätschichten eines Streifenpolizisten die Grenzen von Tag und Nacht verschwimmen. Auch der mangelnde Überblick bleibt eine Beschränkung, die der Zuschauer mit den Figuren des Films teilt: Bisweilen ‚verrutscht' der Bildausschnitt wie in einem nicht ganz geglückten Familienvideo.

Ästheten und Bewunderer formaler Innovation wird der Film kaum begeistern: Die Kameraführung wirkt streckenweise fast lieblos unambitioniert; kein origineller Schnitt, keine überraschende Einstellung entzückt das Cineastenherz. Kurz: Das visuelle Erzählen wird in "Gegenüber" nicht neu erfunden. Umso stärker treten die Qualitäten dieses erstaunlichen Debütfilms auf anderen Ebenen hervor: Das ist zum einen der überzeugende Plot, der nach wenigen Längen zu Beginn souverän zu genau dem Verhältnis von Wiederholung und Entwicklung findet, das dem Geflecht aus Routine, Aufbegehren und Zwangsläufigkeit in der erzählten Handlung am ehesten gerecht wird. Nicht umsonst ist "Gegenüber" in Cannes mit einer "Lobenden Erwähnung" bedacht und beim Filmfest München mit dem Preis für das beste Drehbuch ausgezeichnet worden.
Das größte Pfund dieses Films sind aber die Hauptdarsteller, deren eindringlichem Spiel man sich nicht entziehen kann. Dass mit ihrer Leistung leider nicht alle Nebendarsteller mithalten können, verzeiht man da gerne.

"Ihr Jungs seid doch viel stärker als wir Mädchen", belehrt Anne zu Beginn des Films einen Schüler, und der banale Satz klingt noch lange nach, weil er so gar nicht zur erzählten Handlung passen will. Wie komplex und oft schmerzhaft nämlich gegen diese irreführende Binsenweisheit die Wirklichkeit menschlicher Beziehungen ist - und wie komplexitätsgerecht und nah am Schmerz deutsches Kino sein kann -, das stellt "Gegenüber" eindrucksvoll unter Beweis.


Düster, statisch, unsinnlich, humorlos. Kopfgeburt.

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