Interview

Originaltitel
Interview
Land
Jahr
2007
Laufzeit
84 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Patrick Wellinski / 11. Juni 2010

 

Für den investigativen Journalisten Pierre Peders (Steve Buscemi) heißt es heute Nacht: Zurück zu den Wurzeln. Obwohl in Washington D.C. die Regierung samt Staatsoberhaupt zu kippen droht und sich so für einen alten Hasen wie ihn ein wahrer journalistischer Knüller zusammenbraut, ist er in New York. Sein Chefredakteur hat ihm ein Interview aufgezwungen. Doch im feinen Restaurant wartet kein Staatsoberhaupt oder ein politischer Funktionär auf ihn. Nein, es erscheint (und zwar mit erheblicher Verspätung) niemand geringeres als Katya (Sienna Miller), ihres Zeichens Model, Schauspielerin und vor allem Highsociety-Skandalpromi. Schnell wird ersichtlich, dass weder der eine noch der andere wirklich Lust auf dieses Interview hat. Tatsächlich scheint es zunächst auch so, als ob das Treffen schnell enden würde. Doch ein kleiner Unfall führt dazu, dass beide sich in Katyas riesengroßem Loft wieder finden. Für eine Nacht sitzen sie hier gemeinsam fest. Aus der anfänglichen Abstoßung wird nach und nach ein teuflisches Katz-und-Maus-Spiel, bei dem beide allmählich die Masken fallen lassen.

In den Niederlanden galt er lange Zeit als 'Enfant terrible' und gleichzeitig auch als künstlerischer Visionär. Theo Van Gogh drehte insgesamt 32 Filme, doch der ganz große internationale Erfolg blieb aus. Als er 2004 auf offener Straße von einem fundamentalen Islamisten umgebracht wurde, gingen die Bilder um die Welt. Beim New Yorker Filmfestival beschlossen daraufhin einige enge Freunde und Produzenten van Goghs, seinen ganz großen Wunsch post mortem zu erfüllen: Drei Van Gogh-Filme sollten mit internationalen Stars neu gedreht werden. Der erste Film dieser Trilogie heißt "Interview" und kommt nach einer ausgiebigen Festivalreise nun auch in die deutschen Kinos. Als prominenter Pate für dieses Projekt konnte Schauspieler Steve Buscemi ("Fargo", "Ghost World") gewonnen werden. Der Darsteller übernahm aber nicht nur die männliche Hauptrolle, sondern schrieb auch an der Drehbuch-Adaption mit und führte Regie.

Buscemi inszeniert "Interview" sehr dicht an dem niederländischen Original von 2003. Er hat ein sehr schönes Gespür für die klaustrophobische Atmosphäre, die sich während des Abends zwischen den beiden Protagonisten entwickelt. Doch es ist nicht der visuelle Charakter des Films der einen packt. Es ist viel mehr die intelligente Auseinandersetzung über den Schein und die Lüge in den heutigen Medien, vor allem aber auch die Suche nach den Grenzen zwischen diesen beiden Ebenen, die sich schon nach kurzer Zeit als äußerst fließend erweisen. Wenn Katya zum Beispiel im Laufe des Abends immer mehr von der befragten zur fragenden Person mutiert, muss auch Pierre einige dunkle Geheimnisse lüften.
"Was ist dein schlimmstes Vergehen?", fragt Katya einmal. Dann bricht es aus dem Journalisten plötzlich und ohne Vorwarnung heraus. Er erzählt die Geschichte von ihm und seinem Bruder, die als Korrespondenten während des Kosovokrieges die Massenvergewaltigungen an einer Gruppe von Frauen ziemlich direkt miterlebten. Eine Schilderung, die das ganze Grauen und die Unmenschlichkeit des Krieges hervorbringt. Und Katya hält mit der kleinen Digicam drauf. Aber ist das auch wirklich die Wahrheit? Ist es zum Beispiel wahr, wenn Katya von Heiratsplänen mit ihrem Freund erzählt, oder Pierre einen mittelschweren Zusammenbruch erleidet, als er Katya koksend im Bad erwischt. Seine Tochter, so meint er, wäre an diesem Zeug zu Grunde gegangen. Sie ist daran gestorben. Wenn in diesem Augenblick scheinbar eine Annäherung zwischen Pierre und Katya stattfindet, jedenfalls suggerieren das die Bilder, dann wird dieser Eindruck sofort im Keim erstickt.
Wir sehen Pierre an Katyas Laptop sitzen. Er entdeckt ihre Tagebücher und kann seiner Neugier einfach nicht nachgeben. Seine Entdeckungen wecken in ihm die alten, fast schon verbrauchten investigativen Instinkte. Sind das etwa die Gedanken einer suizidgefährdeten Person? Er will Katya damit konfrontieren. Aber auch jetzt wissen wir als Zuschauer nicht was hier wirklich Wahrheit oder eiskalt durchprogrammierte Lüge ist. Noch weit weniger als Pierre können wir Katya einschätzen, denn der Film nimmt immer die Perspektive des Journalisten an. Sie, und Sienna Miller spielt dies fantastisch, vollzieht eine knallharte Wandlung vom dümmlichen Paris Hilton-Verschnitt zum manipulierenden Machtweib. Eines wird schnell klar, so dumm wie wir uns sie zu Beginn noch vorgestellt haben, ist diese Frau mit Sicherheit nicht.

Und so geht es in dieser whiskeydurchtränkten Nacht immer wieder hin und her. Der Zuschauer bekommt ein über weite Strecken außergewöhnlich konsequentes Kammerspiel zu sehen und ein Darstellerduo, welches sich nie in die Karten sehen lässt. Es ist wunderbar, wie herrlich ahnungslos der Betrachter von einer Seh- und Betrachtungsmöglichkeit in die nächste geworfen wird und sich so haltlos bis zum Ende einfach dem Sog der Atmosphäre hingeben muss. Auch die Reminiszenzen an den verstorbenen geistigen Vater des Projektes sind unübersehbar. So hält auf der Straße ein Lastwagen mit dem Schriftzug "Van Gogh Transports" und wenn Pierre mit seiner Digicam Katyas Wohnung filmt, finden sich auf ihrem Schreibtisch Fotos und Privataufnahmen von Van Gogh und seiner Frau. Eine schöne und vor allem unaufdringliche Huldigung des Niederländers.
Am Ende meint man alles durchschaut zu haben, aber warum sehen wir Steve Buscemi im Taxi seelenruhig nach Hause fahren und nicht voller Panik zurück ins Loft rennen? Es könnte ihm das ganze Leben, die Karriere und seine Reputation kosten, denn das was er noch später in dieser ereignisreichen Nacht vor dem Kameraauge und auch vor Katya beichtete, ist nichts weiter als ein skrupelloses Verbrechen. War auch das gelogen? Was wir am Ende wissen oder, besser gesagt, was wir zu wissen glauben, beschränkt sich auf kleine Fetzen und Momentaufnahmen. Der Film versucht erst gar nicht Partei für eine Seite zu ergreifen. Es ist jedem selbst überlassen, wem er nun glauben möchte oder auch nicht. Doch sich Festlegen würde nach Aussage und Intention von "Interview" heißen, den medialen Lügenbildern glauben zu schenken. Doch es ist ja nicht immer die korrekte Antwort auf die es ankommt. Manchmal sollte man einfach glücklich darüber sein, dass hier jemand die richtigen Fragen stellt.


8
8/10

Großer Film, grandiose Schaupsieler.

Jedoch: sprachlich verkorkste Kritik. Was ist denn da passiert?

Permalink

Ein feiner Film. Eine sparsame Serenade über Charaktäre, deren Egoismen und Zustände. Steve Buscemi, viele kennen wohl nur sein Gesicht und grandioses Mimenspiel, doch hier bekommt man einen guten Einbick über sein schauspielerisches Können.

Bitte mehr davon.

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