Intime Fremde

Originaltitel
Confidences trop intimes
Land
Jahr
2003
Laufzeit
104 min
Genre
Release Date
Bewertung
6
6/10
von Beatrice Wallis / 1. Januar 2010

Was haben ein Steuerberater und ein Therapeut gemeinsam? Im besten Falle können beide gut zuhören. Steuerberater William (Fabrice Luchini) beherrscht das Zuhören perfekt. Alleinstehend und zurückgezogen lebt er in seiner Wohnung, die er genauso wie das Büro, die Klienten und sogar die Sekretärin von seinem Vater geerbt hat. Doch eines Abends nimmt sein geordnetes und übersichtliches Leben eine plötzliche Wendung, als eine Frau (Sandrine Bonnaire) in seinem Büro auftaucht und darauf beharrt einen Termin bei ihm zu haben. Ohne Umschweife beginnt sie intime Details aus dem schwierigen Zusammenleben mit ihrem Mann zu erzählen. Hektisch und pausenlos rauchend breitet sie ihr Leben vor William aus, der ihr zunächst irritiert und wenig später fasziniert lauscht. Im Verlaufe des Gesprächs beginnt er zu begreifen, dass sie keineswegs zu ihm wollte, sondern zu Dr. Monnier, dem Analytiker, der seine Praxis am anderen Ende des Ganges hat. Hin und her gerissen behält er sein Geheimnis zunächst für sich und vereinbart mit seinem Gast sogar einen weiteren Termin. Vom schlechten Gewissen geplagt, versucht er Anna bei ihrem nächsten Treffen die Wahrheit zu sagen, doch sie lässt ihn gar nicht zu Wort kommen. Oder kennt sie die Wahrheit schon längst? Sind ihre Geschichten überhaupt wahr? Zwischen den beiden so gegensätzlichen Personen entspinnt sich ein mysteriöses und zugleich zärtliches Einverständnis, das nicht nur die Sekretärin misstrauisch macht, sondern zugleich Annas eifersüchtigen Ehemann auf den Plan ruft, der seine ganz eigene Version der Geschichte hat.

Was nach einer kleinen, aber feinen Geschichte klingt, wirkt bedauerlicherweise im Ganzen langatmig und lädt bisweilen zum gedanklichen Abschweifen ein. Die Schuld dafür, und das sei hier gleich erwähnt, liegt sicherlich nicht bei den Schauspielern, die eine wunderbare Vorstellung geben - allen voran die Hauptdarsteller Sandrine Bonnaire und Fabrice Luchini als ungleiches Paar. Beide stehen zum ersten Mal gemeinsam vor der Kamera und ihr Zusammenspiel erweist sich als tadellos. Anna wird von einer vielseitigen Bonnaire gespielt, die sie als offenes und zugleich merkwürdig undurchschaubares Wesen darstellt. Innerhalb einer Bandbreite vom naivem Mädchen bis zur geheimnisvollen Frau haucht sie ihrer Figur viel Leben ein und gibt ihr die Undurchsichtigkeit, die sie innerhalb der Geschichte braucht. Sie fasziniert William, ohne dass dieser weiß, ob Annas Erzählungen wahr sind oder nicht. Sein Leben hat sich durch Anna verändert, es hat einen neuen Mittelpunkt erhalten und William, dessen Leben so lange ohne Höhen und Tiefen war, beginnt vor lauter Glück sogar im Flur zu "In the Midnight Hour" zu tanzen. Er ist der eigentliche Sympathieträger des Films. Luchinis zurückhaltendes Spiel, sein Beobachten, sein Schwanken zwischen Faszination und Phlegma ist wunderbar anzuschauen. Die Nebenfiguren sind dabei hauptsächlich amüsante Untermalung, wie der klaustrophobische Klient des Analytikers, den Anna zum Fahrstuhlfahren bringt, oder die ewig Soaps sehende Concierge.
Leider springt der Funke trotz dieses großen Aufgebots an Schauspielkunst nicht über und der kammerspielartige Film, der hauptsächlich in Williams Büro spielt, entwickelt wenig Charme (wozu auch der unbefriedigende Schluss seinen Beitrag leistet). Bisweilen verkörpert "Intime Fremde" sogar das Klischee eines französischen Arthaus-Films, der, mit andeutungsreichen Dialogen versehen, vor allem durch gepflegte Langeweile unterhält. Obwohl der Film stellenweise wie ein Thriller inszeniert ist, und sich bemüht, Spannung mit der Undurchsichtigkeit von Annas Person (Weiß sie von Anfang an, dass William kein Therapeut ist? Hat sie die Situation inszeniert? Welche Rolle spielt ihr Mann?), oder der wirklich gelungenen Kameraarbeit zu erzeugen, reicht all das noch nicht aus, um den Zuschauer wirklich bei der Stange zu halten.
Etwas unentschlossen pendelt der Film zwischen anspruchsvollem und unterhaltsamem Kino, kann sich nicht recht entscheiden, und es gelingt ihm auch keine Kombination beider. Für einen unterhaltsamen Kinoabend ist der Film zu ruhig und zu maßvoll auf die inszenierten Dialoge der Hauptdarsteller reduziert, für den anspruchsvollen Geschmack sind die Gespräche teilweise etwas zu flach.
Insgesamt sehr schade, denn man hätte sich von dem vielseitigen Filmemacher Leconte, der sich hierzulande vor allem mit Werken wie "Der Mann der Friseuse", "Die Verlobung des Monsieur Hire" und "Das Parfum von Yvonne" einen Namen machte, aber auch leichte Komödien und Kostümfilme gedreht hat, mehr gewünscht. Insgesamt daher nur ein durchschnittlicher Film mit überdurchschnittlichen Darstellern.


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