Jugend ohne Jugend

Originaltitel
Youth without Youth
Jahr
2007
Laufzeit
124 min
Genre
Release Date
Bewertung
4
4/10
von Simon Staake / 11. Juni 2010

Hier ist ein Comeback, mit dem keiner mehr gerechnet hat. Francis Ford Coppola, der die 70er Jahre mit einer Reihe von legendären Meisterwerken definierte (von "Der Pate" bis "Apocalypse Now"), sitzt wieder im Regiestuhl. Vor über zehn Jahren machte er mit dem deprimierend mittelmäßigen "Der Regenmacher" seinen letzten Film und verschwand dann im Vorruhestand, wo es sich auch mit den Verkäufen aus seinem Weingut annehmbar leben ließ. Nachdem der "Regenmacher" - also ein Anwalt, der seiner Firma Geldregen einbringt - auch Coppola endgültig finanziell saniert hatte (der Regisseur hatte seine eigene Produktionsfirma 1982 mit dem Megaflop "One from the Heart" ruiniert und dann 15 Jahre als Auftragsregisseur verbringen müssen, um seine Finanzen wieder in den Griff zu kriegen), verbrachte der den Großteil der letzten Dekade damit, das persönliche Großprojekt "Megalopolis" auf die (wackligen) Beine zu stellen. Aber sein Film über ein utopisches New York musste erst nach den Anschlägen des 11. September 2001 überarbeitet werden und letztendlich wollte dann keiner das ehrgeizige Projekt finanzieren.

Doch während der endlosen Vorbereitung seines gescheiterten Projekts fand er eine Novelle des rumänischen Autoren Mircea Eliade, und beschloss dann die Adaption dieses Stoffes als günstiger Low Budget-Film mit Miniteam in Europa, um größtmögliche künstlerische Freiheit bei kleinstnötigstem Budget zu gewährleisten. Offenbar fühlte er sich auch inspiriert von "Der Untergang", da er gleich drei der Darsteller übernahm.
Mit ihnen erzählt Coppola uns die Ende der 1930er Jahre beginnende Geschichte des 89-jährigen rumänischen Linguistikprofessors Dominic Mattei (Tim Roth), der auf der Straße vom Blitz getroffen wird. Als er im Krankenhaus zu sich kommt, ist er zwar vorerst stumm und erinnerungslos, aber sein Körper ist der eines Mannes Mitte Dreißig. Dank des freundlichen Professors Staniulescu (Bruno Ganz) kommt Mattei nicht nur recht schnell wieder auf die Beine, sondern kann auch den Nazis entkommen, die von ihm gerne das Geheimnis der Verjüngung erfahren würden. Im italienischen Exil trifft er dann eine junge Frau (Alexandra Maria Lara), die einer Liebe aus seiner Jugend bis aufs Haar gleicht. Diese Frau, Veronika, ist ähnlich wie er vom Schicksal auserwählt, besonders zu sein. Wie er wird sie vom Blitz getroffen und bekommt fortan Anfälle, nach denen sie sich für eine indische Hirtin aus dem 7. Jahrhundert hält. Und bei jedem ihrer Anfälle scheint sie geistig weiter zurück in die Vergangenheit zu reisen, zurück zum Anbeginn der menschlichen Sprache. Ein Geschenk für den Linguisten Mattei, der ausgerechnet zu diesem Thema sein Opus Magnum vorlegen will. Doch Mattei, fasziniert von seinem Studienobjekt und gleichzeitiger Liebhaberin, muss bald erkennen, dass die Zeit ein tückischer Spieler ist….

Gleiches muss auch Coppola selbst erkennen. Gewonnene und verlorene Zeit, das ist nicht nur eins der vielen Themen des Films, es ist auch der Modus Operandi seines Schöpfers. Denn der Mann, der sich verjüngt und zurück in die Zeit geht, ist natürlich Coppola selbst. Hier ist ein fast 70-Jähriger, der die Zeit 40 Jahre zurückdrehen will, um als Regisseur noch mal ganz von vorne anzufangen. Der vielleicht das Angebot, einen Weltbestseller über eine Mafiafamilie zu verfilmen ausschlägt, und stattdessen die Art Filme machen will, die er als Jugendlicher so geliebt hat und die ihn inspiriert haben, überhaupt Regisseur werden zu wollen. Europäische Filme. Kunstfilme. Europäische Kunstfilme.
Und einen europäischen Kunstfilm, das hat Coppola hier gedreht. Ein Film, in dem weder Amerika noch amerikanische Figuren eine besondere Rolle spielen, der dafür aber ein halbes Dutzend europäische Länder abklappert und seine Hauptrollen mit europäischen Stars besetzt. Und Kunstfilm, weil Coppola sich hier nicht nur thematisch schwer bepackt hat, sondern auch stilistisch nicht nur völlig Klassisches darbieten will. Da wird das Bild schon mal auf den Kopf gestellt, oder auf die Seite. Über den Status einer Spielerei kommen diese Momente trotzdem nicht hinaus.

Und dann natürlich die Themen. Unter mysteriöser Verjüngung, Seelenwanderung, Regression in alte Seelenzustände, linguistischer Spurensuche und allerlei anderem Philosophischem zu den Themen Zeit, Liebe und Schicksal tut es Coppola offenbar nicht mehr. Als wolle er jedes kommerzielle Projekt, dass er in den letzten 25 Jahren gedreht hat, mit übermäßig schwierigen, willentlich diffusen Themen negieren, versteigt sich Coppola hier in einen metaphysischen Alptraum aus Philosophie und Mystizismus.
Was an sich ja gar nicht uninteressant wäre, wäre Coppola nicht der vollkommen falsche Mann für den Job. Ihm fehlt es an der simplen Eleganz und Subtilität, auch der erzählerischen Intelligenz, um diesen schwierigen Themen Herr zu werden. Zuweilen entgleiten ihm ganze Sequenzen ins lächerlich Cartoonhafte. Besonders negativ fällt dabei, irgendwie ganz Hollywoodtypisch und wie nicht anders zu befürchten, die Nazi-Sequenz auf. Vom verrückten Wissenschaftler, der im Frankenstein-artigen Labor Kühe mit Stromstößen quält um für Hitler Supersoldaten zu schaffen, bis hin zur Mata Hari mit Hakenkreuzstrapsen hat Coppola hier ein Sammelsurium von schlechten Klischees zusammengetragen, dass den Film nach einer ansprechenden ersten halben Stunde einen gehörigen Schubs ins Alberne verpasst, von dem er sich auch nie wieder so recht erholt. Von jemandem, der der Besetzungsliste nach ganz offensichtlich "Der Untergang" gesehen hat, darf und muss man da mehr erwarten.
Zumal er wie gesagt der Geschichte so unabsichtlich den Boden der Ernsthaftigkeit soweit entzieht, dass auch nachfolgende zunehmend absurdere Plotwendungen eher albern als intellektuell stimulierend wirken. Wenn etwa Alexandra Maria Lara später im Nachthemd zitternd in prähistorischen Lauten zischt und schreit, überlegt man denn doch, ob es nicht Zeit wird, Pater Merrick oder einen anderen Exorzisten zu Rate zu ziehen. Und gehässig angesichts des Themas könnte man auch noch anmerken, dass die Zeit auch gegen Coppola selbst arbeitet, denn mit zähen zwei Stunden ist "Jugend ohne Jugend" auch deutlich zu lang ausgefallen.

Ob der unfreiwilligen Komik und der thematischen Gezwungenheit fällt leider auch die zentrale Liebesgeschichte platt und unüberzeugend aus, auch wenn man natürlich von Alexandra Maria Lara unmöglich nicht verzaubert sein kann. Diese ist der eigentliche Trumpf des Films, denn einen Jungstar mit Potenzial ins rechte Licht rücken, das kann Coppola immer noch. Und Lara erhellt bei jedem ihrer Auftritte die Leinwand mit Charisma und Energie. Zu schade, dass Rolle und Film nicht mehr hergeben.
Gleiches gilt auch für den anderen deutschen Export, Bruno Ganz (auch wenn ganz korrekterweise Lara ja - wie passend - Rumänin ist und Ganz Schweizer). Der darf als netter Doktor auftreten, ohne dass seine Rolle jetzt sonderlich wichtig oder interessant wäre, und nach einem Viertel der Laufzeit ist er dann auch ganz schnell verschwunden. Hauptdarsteller Tim Roth ist solide, aber sein Mann ohne Alter bleibt als Figur zu wenig greifbar, als dass er sich in seiner Darstellung über das Material erheben könnte. Denn das bleibt schlicht und einfach schwach, will offenbar ein halbes Dutzend Geschichten gleichzeitig erzählen und erzählt so keine richtig und scheint sich hauptsächlich in der eigenen Difusität zu wälzen.

Die Intention war ohne Zweifel gut, aber Coppola hat sich mit "Jugend ohne Jugend" schrecklich vertan. Manche Leute sollten eben doch keine prätentiösen Kunstfilme über sich verjüngende rumänische Linguisten drehen, sondern welche über Mafiosi, Abhörspezialisten oder durchgedrehte Soldaten. Man darf ihm seine hehren "Zurück zum Indiefilm"-Ziele anrechnen, ebenso wie die Tatsache, dass auch dieses Werk trotz allem zumindest interessante Momente hat. Und selbst bei kleinem Budget ("American Zoetrope", Coppolas Firma, darf Projekte nur für unter sechs Millionen Dollar produzieren) sehen bei ihm Filme noch aus, als hätten sie viel mehr gekostet, auch weil er geschickt traditionellen Film und Digitalvideo einander ergänzend benutzt.
Aber das ändert nichts daran, dass "Jugend ohne Jugend" nicht das grandiose Comeback ist, auf das man gehofft hat, und schon gar nicht die intelligente, kunstvolle Philosophieabhandlung, die sich der Regisseur wohl selbst vorgestellt hat. Trotzdem schön, dass der junge Alte es noch mal ernsthaft versucht hat.


10
10/10

Es ist das erst mal, dass ich mit einer filmszene.de kritik nicht einverstanden bin.

Youth without youth ist schlicht genial. Wie Its all about love, den ich auch für genial halte.

Optisch blieb mir die Spucke weg, und die Story...poah: fesselnd und esoterisch und berührend. Viele Einstellungen sehen aus wie fürs Theater gemacht. Coppola schwingt sich mühelos durch die Genres, mal hier mal dort verweilend, dass eine Hetz ist. Vielleicht ein Grund meines Enthuses: Ich selbst hab ähnliche Gedanken wie Tim Roth, die Vorstellung etwas sein ganzes Leben so harnäckig zu verfolgen, dass es dich verrückt macht. Und die Sprache, nun, sie hat alle Voraussetzungen dafür. Wohl denkt der Mensch erst, seit er sprechen kann.

Youth without youth müsste man im Meer vergraben und nicht mehr hervorholen - und ihn sich am Sterbebett wieder ansehen. Mal schaun, ob ich das schaffe.

Vielen Dank für Zulesen.

Weiter so, dem filmszeneteam.

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