Madagascar

Originaltitel
Madagascar
Land
Jahr
2005
Laufzeit
86 min
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Matthias Kastl / 21. Juni 2010

Nachdem Dreamworks mit "Große Haie - kleine Fische" erfolgreich seine jüngere Zielgruppe verstört hatte, war mit "Madagaskar" nun Wiedergutmachung angesagt. Um diesmal auch ja nichts falsch zu machen und nebenbei erfolgreich die Wartezeit auf den nächsten Aufguss der "Shrek"-Saga in 2007 zu verkürzen, entschied man sich bei Katzenbergs Animations-Schmiede für ein scheinbar narrensicheres Konzept: Man platziere ein Ansammlung gutmütiger und niedlicher Tierchen in ein exotisch-buntes Paradies-Setting. Das Ergebnis ist zwar über weite Strecken dann auch ein wirklich charmanter und kinderfreundlicher Kinospaß, kommt allerdings auch ein wenig zu uneigenständig und glattpoliert daher, um mehr als nur einen kurzweiligen Lückenfüller auf dem Weg zum nächsten Oger-Abenteuer abzugeben. Und zusätzlich offenbart "Madagaskar" im Schlussdrittel dann leider auch, dass Dreamworks noch immer so seine Schwierigkeiten damit hat, unterschiedliche Altersgruppen gleichermaßen erfolgreich anzusprechen.

"Madagaskar" schildert die Geschichte von vier vierbeinigen Freunden (das vorlaute Zebra Marty, der sich selbst vergötternde Star-Löwe Alex, die hypochondrisch veranlagte Giraffe Melman und das gutmütige Flusspferd Gloria), deren komfortables Leben in New Yorks Central Park Zoo eine mehr als abenteuerliche Wende nimmt. Dem Rat einer radikalen Pinguin-Fraktion folgend entscheidet sich der gelangweilte Marty, aus dem Zoo auszubrechen und sich auf die Suche nach der sagenumwobenen Wildnis zu begeben. Alex, Melman und Gloria folgen Marty in die Freiheit, allerdings nur um diesen schnellstmöglich wieder zur Vernunft zu bringen. Ihr Vorhaben scheitert und die vier Freunde finden sich, Tierschutzgruppen und einer Pinguine-Revolte sei Dank, letztendlich am Strand von Madagaskar wieder. Die Wildnis vor Augen sieht sich Marty am Ziel seiner Träume, doch insbesondere Alex steht einem Leben ohne Luxus und voller Gefahren eher skeptisch gegenüber.

Manch älterer Zuschauer dürfte sich bei "Madagaskar" nostalgisch an die Zeichentrickserien seiner Kindheit zurückerinnert fühlen. Figuren wie Bugs Bunny, Road Runner oder Coyote wuselten damals über den Bildschirm, oft mit dem Ziel körperliches Leid zu verbreiten oder diesem zu entkommen. Diese nostalgischen Erinnerungen sind kein zufälliges Beiprodukt des Filmes, geben die Macher von "Madagaskar" doch ganz offen zu, mit ihrer Animationstechnik Cartoon-Legenden wie Chuck Jones oder Tex Avery Tribut zollen zu wollen.
Die Konsequenz sind relativ abstrakt animierte Hauptfiguren, deren übertrieben cartoonhaftes Aussehen die Feinheiten im Erscheinungsbild der realen Vorbilder wissentlich ignoriert, was dem Charme der Figuren aber keinen Abbruch tut. Realismus war ja schon in den Zeiten von Road Runner nicht das erklärte Ziel von Cartoons, zum Glück für den Coyoten, und so spielen dann auch in der 3D-Welt von "Madagaskar" die meisten Naturgesetze keine Rolle. Alex, Marty und Co. stolpern so vollkommen unversehrt durch eine ganze Reihe von Slapstick-Elementen, bei denen schon einmal das ein oder andere Körperteil eine eher unnatürliche Form annimmt, letztendlich aber natürlich selbst extremste Situationen unbeschadet überstanden werden.

Der hohe Slapstick-Faktor entpuppt sich allerdings als etwas zweiseitiges Schwert. Denn während mehrmaliges Kopfanschlagen oder Stolpern das jüngere Publikum zweifellos begeistern mag, führt es auf die Dauer bei älteren Semestern zu leichten Ermüdungserscheinungen. Dass diese relativ erfolgreich aufgefangen werden liegt allerdings nicht an den wieder einmal zahlreichen Anspielungen auf Filmklassiker, die in "Madagaskar" oft etwas zu mechanisch und konstruiert wirken (insbesondere im Falle "Planet der Affen" und "American Beauty"). Nein, die große Stärke von "Madagaskar", die jung und alt gleichermaßen erfolgreich anspricht, ist der Reichtum des Filmes an charmanten, witzigen und die Sympathien im Sturm erobernden Figuren.
Das trifft nicht nur auf die vier illustren Hauptcharaktere zu, sondern bezieht sich insbesondere auf das goldene Händchen der Macher in Punkto Nebenfiguren. King Julian (im Original wundervoll gesprochen von Ali G.) und sein Adjutant geben ein herrlich uneiniges Paar ab und das niedlich-aggressive Pinguin-Team avanciert gleich zum eigentlichen Highlight des Filmes. Die Ankunft der Pinguine in ihrer "Heimat" gehört zu den besten Lachern eines Filmes, der jede seiner Figuren genügend Aufmerksamkeit und Humor zukommen lässt, damit diese erfolgreich vom Zuschauer ins Herz geschlossen werden können. Dem Charme des niedlich-sympathischen Treibens auf der Leinwand kann sich so auch der "erwachsene" Zuschauer nicht entziehen, der dazu auch noch eine flotte Inszenierung, viel Dialogwitz und eine überzeugende Leistung der Synchronsprecher serviert bekommt.

So fühlt man sich bei all der Liebe für die Figuren des Filmes ein bisschen unwohl dabei, doch wieder mahnend den Zeigefinger heben zu müssen. Denn bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass Dreamworks' Konzept für "Madagaskar" zu deutlich auf einem Grundsatz beruht: Bloß keine Risiken eingehen. So sind die Figuren in "Madagaskar" schon sehr deutlich an die der "Shrek"-Reihe angelehnt. Ein gutmütiger riesiger Löwe und ein etwas aufgedrehtes Zebra, kommt uns das nicht irgendwie bekannt vor? Die Wahl ihrer Synchronsprecher, im Original Ben Stiller und Chris Rock, verstärkt mit "Blick" auf die Stimmen von Shrek (Mike Myers) und Esel (Eddie Murphy) diesen Verdacht. Dazu wird der niedliche Kulleraugenblick des gestiefelten Katers aus "Shrek 2" eins zu eins auf einen kleinen Lemuren übertragen, was einmal erfolgreich war wird ja schon auch ein zweites Mal funktionieren.
Tut es auch, aber das Mixen von altbekannten Zutaten lässt dann eben doch die Frische und den Reiz vermissen, welche "Shrek" zu einer Perle seines Genres haben aufsteigen lassen. "Madagaskar" ist im Endeffekt auch schon wieder eine Spur zu nett und harmlos, die Doppelbödigkeit eines "Shrek" sucht vor allem der erwachsene Zuschauer vergebens. So zeugt die Geschichte von "Madagaskar" auch nicht gerade von einem Übermaß an Einfallsreichtum, eine relativ simple "Fisch aus dem Wasser"-Variation, die nur dank dem Charme ihrer Figuren am Leben gehalten wird. Gleiches gilt für die animierten Hintergründe des Filmes, die im Vergleich zu Werken wie "Findet Nemo" doch relativ leblos wirken, was aber dank quirliger Protagonisten im wahrsten Sinne des Wortes in den Hintergrund tritt.

So scheint das Urteil gefällt. "Madagaskar" mag vielleicht nicht das Kreativste und Einfallsreichste sein, was das Licht der Animationswelt in den letzten Jahren erblickt hat, doch der Film hat allemal genug Tempo, Charme und Witz, um vor allem das jüngere Publikum knapp anderthalb Stunden lang blendend zu unterhalten. Wäre da nicht diese ärgerliche Storywendung im Schlussdrittel, die Geschworenen würden dieses Urteil einstimmig unterschreiben. Für das erwachsene Publikum mag diese Wendung die interessanteste des ganzen Filmes sein, die im Vergleich zum harmlosen Rest des Filmes geradezu intellektuell wirkt, aber wer sich einmal kurzzeitig in die Haut eines sechsjährigen Kindes versetzt, sollte dessen Schrecken angesichts der Ereignisse auf der Leinwand gut nachvollziehen können. Welcher Kinderfilm hat schon jemals seine sympathisch-charmante Hauptfigur im letzten Drittel zu einem, aus Kindersicht, schockierenden Monster verwandelt? Welcher Kinderfilm würde diese Figur dann auch noch auf die verbleibenden Figuren hetzen?
Nachdem "Madagaskar" über 60 Minuten lang das jüngere Publikum mehr als gut unterhalten hat, und "Große Haie - kleine Fische" erfolgreich in Vergessenheit geraten scheint, zeigt sich Dreamworks erneut als wenig feinfühlig gegenüber seinen kleineren Zuschauern. Das Ende versöhnt dann zwar wieder die Kleinen, doch dieser Fauxpas lässt einen ernsthaft an der Effizienz von Dreamworks' Testvorführungen zweifeln.

So bleibt ein fader Beigeschmack bei einem ansonsten sehr charmanten und kurzweiligen Familienfilm, der allerdings noch um einiges hätte besser ausfallen können, wenn man bei Dreamworks etwas mehr Mut zum Risiko gezeigt hätte. So reicht es letztendlich zwar immer noch zu einer Empfehlung für einen unterhaltsamen Kinoabend, gleichzeitig hat Dreamworks aber auch genug Gründe, seiner Kreativabteilung ein paar Nachhilfestunden aufzutragen.


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