Miller's Crossing

Originaltitel
Miller's Crossing
Land
Jahr
1990
Laufzeit
110 min
Genre
Bewertung
von Frank-Michael Helmke / 14. November 2010

1990 war das Jahr der Gangster und ihrer Filme. In "Goodfellas" eiferten Robert DeNiro und Joe Pesci inmitten ihres brutalen, desillusionierenden Ambientes um das Prädikat skrupellosester Gangster und wurden auf halber Strecke von Ray Liotta überholt. In "Der Pate III" kehrte Al Pacino als Michael Corleone zurück und führte Andy Garcia in die romantisch-tragische Welt der Mafia ein. Noch im selben Jahr gedachte Pacino eine Selbstparodie zu starten und spielte den Obermacker in der extravaganten Comicverfilmung "Dick Tracy", wofür er sogar eine Oscar-Nominierung einheimste. Insgesamt sieben Nominierungen vereinte die parodistische Gangsterfilm-Hommage auf sich, und auch die beiden ernsthaften Genre-Vertreter durften sechs bzw. sieben Nominierungen auf sich vereinen. Ein Gangsterfilm jedoch geriet ob des Erfolgs der drei anderen gänzlich unter die Räder, erhielt beim Publikum nur mangelhafte Berücksichtigung und bei den Preisverleihern gar keine: "Miller's Crossing".
Während sich die drei obengenannten, erfolgreichen Varianten jeweils auf eine Sicht der Mafia und des Gangstergenres im Allgemeinen beschränkten, wusste "Miller's Crossing" alle drei in sich zu vereinen: Ein bisschen verklärt-melancholische Romantik ähnlich "Der Pate III", harte Brutalität gemäß "Goodfellas" und (Selbst)Ironie wie "Dick Tracy". Warum der Film trotzdem der Erfolg versagt blieb, könnte man damit erklären, dass "Miller's Crossing" der erste Film der Coens war, der sich dem Mainstream ein bisschen näherte, ohne wirklich Mainstream zu sein. So schien "Miller's Crossing" zwischen zwei Stühle gefallen zu sein. Er befriedigte weder den überzeugten Independent-Filmanhänger noch den durchschnittlichen Kinogänger. Das ist schade, denn eigentlich ist "Miller's Crossing" ein rundum gelungenes Filmerlebnis geworden, eines der herausragenden Werke der Coen-Brüder und für Freunde des Gangsterfilmgenres ohnehin unbedingt sehenswert.

Eine kleinere Stadt irgendwo im Osten der USA, zur Zeit der Prohibition. Der irische Gangsterboss Leo (Albert Finney) regiert über die Stadt wie ein König, an seiner Seite: sein schweigsamer Handlanger Tom Reagan (Gabriel Byrne). Johnny Caspar (Jon Polito), ein geschwätziger Gangster, fordert aufgrund eines Zwischenfalls den Kopf des Juden Bernie Bernbaum (John Turturro), doch Leo verweigert Caspar diese Gefälligkeit. Er liebt die Schwester von Bernbaum, Verna (Marcia Gay Harden). Damit beschwört Leo eine Fehde zwischen ihm und Caspar herauf, in dessen Schusslinie alsbald Tom Reagan gerät. Er trifft sich nämlich heimlich mit Verna, sympathisiert jedoch eher mit dem Gedanken, Bernie aus dem Feld räumen zu lassen. So versucht er sowohl Leo als auch Caspar zu manipulieren, gerät obendrein an Bernbaum persönlich und muss zusehen, dass Verna nichts erfährt. Eine blutige Eskalation der Situation scheint da nur eine Frage der Zeit, zumal Reagan bis zum Hals in Spielschulden steckt und der Stadtpate Leo den machthungrigen Caspar unterschätzt hat.

Es beginnt mit einem Monolog. Der aufgebrachte Johnny Casper hält ein Selbstgespräch über Charakter und legt so seine ganz eigenen Ansichten zu diesem Thema dar. Mit selbstgefälligem Blick lauscht ihm Pate Leo, während ein schweigsamer Tom Reagan sich im Hintergrund hält. Der Anfang erinnert an "Der Pate" (und nicht nur, weil in dessen Eröffnungssequenz ein Berater namens Tom Hagen im Hintergrund stand), doch Caspar ist nicht der hilflose Italo-Amerikaner, der um eine kleine Gefälligkeit bittet und Leo ist nicht der Pate, der sich die Hand küssen lässt. Der Monolog artet in ein Streitgespräch aus und Caspar stürmt mit einer mehr oder weniger verdeckten Kampfansage aus dem Zimmer. Allein dieser Monolog sagt viel über den Charakter des Films aus. Vor schöner Kulisse darf sich Caspar aufregen: Holzverkleidete Wände, Tapeten und Ledersesseln schmücken das geräumige Zimmer. Da kommt "Pate"-ähnliche Romantik auf. Der Monolog jedoch ist giftig und nicht ohne hintergründigem, typisch schwarzen Coen-Humor. Und das anschließende Streitgespräch verweist schon darauf, dass sich diese Geschichte blutig entwickeln wird. So ist "Miller's Crossing" romantisch, zynisch und brutal. Mag diese Umschreibung vordergründig widersprüchlich erscheinen, ergänzen sich diese verschiedenen Elemente in Wahrheit hervorragend.
Die Story ist komplex. Nicht, weil die Geschichte so verworren wäre, sondern weil das Storytelling eher kompliziert angelegt ist. Das kann man dem Film als Negativpunkt auslegen, muss man aber nicht. Die Coens nähern sich einer eher üblichen Gangsterstory auf ganz anderem Wege und lassen lange nicht durchblicken, wer auf welcher Seite steht. Nach dem Abspann weiß man das bei einigen immer noch nicht, was die Gewissheit unterstreicht, dass hier jeder für sich gekämpft hat. Dieser Umstand markiert den großen Unterschied zu "Der Pate", hier gibt es keinen Familienzusammenhalt, keine Loyalität. Das eigene Leben ist den Protagonisten wichtig, nicht das des anderen. Dadurch könnte man "Miller's Crossing" Kälte und Leere vorwerfen, denn richtige Identifikationsfiguren bietet er somit eigentlich nicht. Gabriel Byrne, der Hauptdarsteller, wechselt die Fronten öfter als so manch einer seine Unterhosen in der Woche. Dank seines zurückhaltenden, nuancierten Spiels weiß er trotzdem die Sympathien oder zumindest die Faszination des Zuschauers bei sich zu halten. Byrne liefert eine bemerkenswerte Performance ab und vermag es, den Zuschauer zu manipulieren wie Tom Reagan seine Nebenmenschen manipuliert. Das macht ihm zum gefährlichsten und interessantesten Charakter der Handlung, denn wider besseren Wissens fiebert man mit ihm mit.
Bemerkenswert sind aber auch die überdurchschnittlichen Leistungen der anderen Darsteller: Albert Finney als Gangsterboss Leo, der von allen am ehesten noch über so etwas wie ein Herz verfügt. Jon Polito als sein cholerischer Herausforderer Johnny Caspar. John Turturro als der durchtriebene und feige Bernie Bernbaum oder Marcia Gay Harden als seine Schwester Verna, die so harmlos nicht ist, wie sie auf den ersten Blick erscheint und es durchaus auch versteht die Männer um sich herum zu manipulieren. Die herausragenden Darstellerleistungen heben den Film weit über Durchschnitt. "Miller's Crossing" gelingt es, durch Blicke, Gesten oder Worte immer wieder Menschlichkeit und Gefühle aufblitzen zu lassen, die die Charaktere eigentlich verbergen wollen. Das macht die Klasse von besonders guten Darstellern und auch eines besonders guten Drehbuches aus. Mag die Geschichte so einfallsreich nicht sein: die Art, wie sie erzählt wird und die Dialoge, die für sie geschrieben wurden, sind einfach eine Klasse für sich.
Inszenatorisch spielt "Miller's Crossing" in der obersten Liga mit. Dank geschickter Kameraführung und detailverliebter, wenn auch zugegebenermaßen realitätsferner Ausstattung kommt eine besondere Gangsterfilmromantik auf, was einen gelungenen Kontrast zum zynischen und kalten Ton der Geschichte und Charaktere zu bilden weiß.
Die Brutalität hält sich gemessen an der FSK 18-Einstufung in Grenzen und im Bereich des Erträglichen. Es ist vielmehr löblich, dass "Miller's Crossing" nichts beschönigt, die Brutalität auch bewusst als solche darstellt, ohne in voyeuristische Details abzugleiten. Warum gerade dieser Film so hart eingestuft wurde, erscheint gemessen an anderen Filmen schwer nachvollziehbar. "Goodfellas" steht ihm jedenfalls in Sachen Brutalität in nichts nach und der schwarze Humor von "Miller's Crossing" ist nicht so vordergründig, dass man dies als Anlass für eine FSK 18 hätte nehmen können. Vielmehr erscheint "Miller's Crossing" wie ein Krimidrama, denn eine schwarze Krimikomödie. Dass die Coens die Sache mit einer gewissen Ironie angegangen sind, dient hier nur zum Guten, lockert sie doch das finstere Ambiente ein wenig auf und nähert sich der genretypischen Story somit auch aus einer eher ungewohnten Perspektive.

"Miller's Crossing" ist ein redlich anspruchsvolles, rundweg gelungenes und visuell besonders ansprechendes Krimidrama geworden, das sich vor anderen Vertretern seines Genres nicht zu verstecken braucht, zumal "Miller's Crossing" dank seiner Vielschichtigkeit gar als bester Gangsterfilm des Jahres 1990 gelten darf. Die Mischung aus Film Noir, Drama, Krimi, üblichem Gangsterfilm und ein bisschen schwarzer Komödie überzeugt und beschert dem geneigten Cineasten in Verbindung mit der Coen-eigenen Skurrilität und Originalität ein großartiges Filmerlebnis.


10
10/10

Ein klasse Film, schlägt die anderen Coen-Filme um Längen aus dem Feld. Und eine Besetzung, wie sie besser nicht sein könnte, mit gestandenen Darstellern wie Albert Finney oder relativen Newcomern wie Gabriel Byrne und Marcia Gay Harden ein echter Diamant.
Gabriel hätte mindestens ne Oscarnominierung verdient!

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