Moolaadé - Bann der Hoffnung

Originaltitel
Moolaadé
Jahr
2005
Laufzeit
120 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Patrick Wellinski / 5. März 2011

Zunächst die Fakten: "Jedes Jahr werden weltweit nach Schätzungen von UNICEF zwei Millionen Mädchen an ihren Geschlechtsorganen beschnitten, das sind 6.000 am Tag. Viele von ihnen leiden ihr Leben lang unter schweren körperlichen und seelischen Schmerzen. UNICEF ruft Regierungen und religiöse Führer der betroffenen Staaten in Afrika, im Nahen Osten und in Asien dazu auf, den Kampf gegen diese grausame Tradition zu verstärken. Auch in den Industrieländern müssen Mädchen aus Immigrantenfamilien besser geschützt werden (...)."
Quelle: UNICEF

Der Anfang des Films: Ruhig und beschaulich wird das alltägliche Leben eines kleinen afrikanischen Dorfes gezeigt: Menschen die Wasser holen gehen, Kinder die spielen, Frauen die vor den Hütten fegen. Alles ist in Bewegung. Und da, mitten in diesem unspektakulären Treiben, rennen vier kleine Mädchen in einen Hof. Und wie in einem Kinderspiel fallen sie vor einer Frau auf die Knie. Die Frau trägt den wunderbaren Namen Colle Gallo Ardo Sy (Fatoumata Coulibaly) und wird von den vier kleinen Mädchen angefleht, sie vor der bestehenden Beschneidungszeremonie zu schützen.
Umgehend wird Colle der Ernst der Lage bewusst, und auch gegen einige Einwände spricht sie über ihren Hof den Schutzbann "Moolaadé" aus. Schon bald entbrennt ein Streit zwischen den rituellen Priesterinnen und der sturen Colle Ardo, die schon vor sieben Jahren verhinderte, dass man ihre eigene Tochter beschneidet. Doch als dieser Konflikt die bevorstehende Heirat ihrer Tochter gefährdet, muss sich Colle ernsthafte Gedanken über ihre Tat machen.

Wo hört die Tradition auf, wann tritt die Religion oder der Glaube an Selbstbestimmung in den Hintergrund? Wie stark ist das Spannungsfeld zwischen verstaubten Wertevorstellungen und der Moderne? Dies sind die essenziellen Fragen, mit denen sich der 83-jährige afrikanische Regiesseur Ousmane Sembene in seiner vierten Regiearbeit befasst. Und wie es sich für den ersten und seit 45 Jahren unabhängig produzierenden Filmemacher Schwarzafrikas gehört, inszeniert er sein selbst geschriebenes Drehbuch auf eine ungeheuer feine und minimalistische Art und Weise. So wird das "Moolaadé", eine Art Asylrecht, mit einem bunten Seil symbolisiert, dass ganz schlicht auf Fußhöhe durch das Eingangstor zum Hof gespannt wird. Wie gesagt, keine großen unheimlichen Zaubersprüche und Funkenschläge, nur puritanischer Minimalismus.
Die religiöse Beschneidung von Mädchen gehört zu den weltweit am kontroversesten diskutierten Glaubensfragen. Das Großartige an Ousmanes filmischer Bearbeitung dieses heiklen, diffizilen Themas ist, dass er es nicht mit reinster brachialer Gewalt durcharbeiten will. Vielmehr nutzt er seine herrlich vielschichtigen Charaktere dazu, die verschiedenen Positionen in diesem Streit anzunehmen. Unter seiner Regie werden gesprochene Dialoge fast zu Melodien und das Aufeinandertreffen der Parteien mutet stellenweise wie ein Tanz an. Es ist ständig Bewegung und eine ungeheure vorantreibende Energie in "Moolaadé".

In diesem schon fast als Kammerspiel in Szene gesetzten Film ist es ein äußerst genialer Schachzug, den Mikrokosmos des Dorfes als Parabel auf die unzähligen Fraktionen in diesem Konflikt einzusetzen. Hier, wo ein Mann noch mehrere Frauen haben darf und ein lumpenverkaufender Söldner eine große Attraktion darstellt, stellt Colles Widerstand gegen die offensichtlich veraltete Tradition eine klare Position dar. Ihre Beweggründe, das Schützen von nachfolgenden Generationen vor den gleichen Qualen, die sie selber erlitten hat, sind immer nachvollziehbar und bekommen nie den Nachgeschmack eines plakativen Martyriums. Und die Männer? Die halten sich zunächst brav heraus. So sagt der Stammeshäuptling, als ihm von dem Streit berichtet wird, auf den ersten Blick resigniert, auf den zweiten dann doch eher pragmatisch: "Beschneidung? Zum Glück ist das Frauensache." Doch der Konflikt holt auch die Männer bald von ihrem selbst errichteten Thron.
Ousmane bezieht klar Stellung, dass wird auch in der fulminant metaphorischen Schlusseinstellung deutlich. Ihm gelingt zwar kein Werk mit monumentalen Ausmaßen, aber immerhin ein sehr wichtiges.

Was bleibt ist leider die bittere Erkenntnis, dass "Moolaadé" zwar ein wirklich vorzügliches und hervorragendes Stück Film ist, aber auch nur ein äußerst begrenztes Publikum erreichen wird. Es bleibt eine Entdeckung für die Arthauskinos, die auch richtigerweise das Filmplakat mit den zahlreichen Auszeichnungen des Films bestückt haben (u.a. Gewinner der Sektion "Un Certain Regard" in Cannes). "Moolaade" ist ein farbenprächtiges, äußerst temperamentvolles Kinovergnügen, an dem wieder mal viel zu viele Leute vorbeigehen werden. Für all jene, die eine Wissenslücke schließen und sich einmal eine rein afrikanische Kinoproduktion ansehen wollen, bleibt "Moolaadé" als eine hervorragende Filmwahl absolut empfehlenswert.


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