Moonlight Mile

Originaltitel
Moonlight Mile
Land
Jahr
2002
Laufzeit
117 min
Genre
Release Date
Bewertung
6
6/10
von Benjamin Hachmann / 5. März 2011

Um die ernsthafte Auseinandersetzung mit Leben, Liebe und Tod schlägt die Mehrzahl der Filmschaffenden gemeinhin einen großen Bogen; in den Werken des Regisseurs Brad Silberling jedoch spiegelt sich eine besondere Affinität gegenüber diesem anspruchsvollen Themenkreis wieder. Bereits in seinem Erstlingswerk "Caspar" (1995) lassen sich hierfür latente Spuren auffinden, als ein computeranimierter Geist mit seinem Dasein hadert, sich auf die Suche nach menschlichem Kontakt begibt und Freundschaft mit Christina Ricci schließt. In der "Stadt der Engel" (1997) verliebt sich Himmelsbote Nicolas Cage - analog zu "Caspar" auch er ein entmaterialisiertes Wesen - in die Menschenfrau Meg Ryan. Er opfert für diese Liebe seine Unsterblichkeit und lernt kurz darauf die Trauer als elementaren Bestandteil des irdischen Lebens kennen.
In "Moonlight Mile" vertieft Silberling nun die Entwicklung seiner persönlichen Leitmotive, allerdings verlässt er zum ersten Mal die Pfade des Transzendentalen, um die Erkundung des Umgangs mit dem Tod einer geliebten Person nunmehr auf einer weltlichen Ebene fortzusetzen:
Der Film spielt im Jahre 1973 in Cape Anne, einer fiktiven Kleinstadt im Staate Massachusetts. Joe Nast (Jake Gyllenhaal) sieht seine Zukunftspläne unversehens über den Haufen geworfen, als seine Verlobte Diane drei Tage vor der geplanten Hochzeit zufälliges Opfer eines brutalen Gewaltverbrechens wird. Dennoch möchte Joe auch nach der Trauerfeier in die Rolle des Mannes schlüpfen, welche ihm ursprünglich zugedacht war und in seinen Augen vom unmittelbaren Umfeld erwartet wird: Die des pflichtbewussten, durch den Tod beraubten Beinahe-Ehemanns und des perfekten Fast-Schwiegersohns von Ben (Dustin Hoffman) und Jojo Floss (Susan Sarandon). Daher verweilt er zunächst bei den trauernden Eltern, bezieht ein Zimmer in deren Haus und wird Teilhaber an Bens Firma. Doch mit der neuen Rolle verhält es sich wie mit einem Anzug aus dem Kaufhaus: sie sitzt ganz gut, ist aber nicht maßgeschneidert. Als Joe diese Erkenntnis mit der Zeit dämmert, und zu allem Überfluss eine andere Frau in Gestalt der Postangestellten Bertie Knox (Ellen Pompeo) vollkommen unerwartet in sein Leben tritt, sieht er sich hin- und hergerissen zwischen zwei widersprüchlichen Möglichkeiten: soll er sich weiterhin selbstlos verstellen oder die Maskerade beenden und dem Ruf seines Herzens folgen?

Wer bei "Moonlight Mile" einen Film erwartet, der aufgrund seines Inhalts mit den üblichen melodramatischen Gefühlsausbrüchen und erhöhtem Taschentuchverbrauch aufwartet, wird sich überrascht sehen. Regisseur Silberling erzählt eine in ihrer Grundkonstellation sentimental anmutende Geschichte in eher unbeschwertem Tonfall und scheut sich nicht, noch eine Prise trockenen Humors anzureichern. Im Hinblick auf die Ernsthaftigkeit des Sujets klingt dies zunächst befremdlich, aber dass der Film gerade durch seinen Bruch mit der Konvention eine seriöse Auseinandersetzung mit der Thematik sucht, wird bereits zu Beginn deutlich, als Silberling resolut - und dennoch mit einer subtilen Komik - den Unterschied zwischen öffentlicher und privater Trauer herausarbeitet.
Während bei der Beerdigung alles in förmlichen Bahnen und gemäß der Etikette verläuft, sehen wir Dianes Mutter nur wenige Augenblicke später dabei zu, wie sie die von mitfühlenden Freunden geschenkten Bücher mit vermeintlich wirkungsvollen "Aufbautipps" methodisch in den brennenden Kamin wirft. Susan kritisiert die gut gemeinte Hilfe von Außenstehenden und die unbeholfene, in ihrer Wirkung verpuffende Artikulation von Beileidsbekundungen. Die vorgebrachten Worthülsen können den eigenen Verlustgefühlen nicht gerecht werden.
Dem Tenor der frühen Sequenz folgend, die eine präzise Trennlinie zwischen dem erwarteten Verhalten coram publico und den tatsächlich eintretenden Emotionen zieht, zeichnet der Regisseur ein präzises Portrait der individuellen Auswirkungen von Dianes Ableben. Da Silberling nicht am Offensichtlichen, sondern mehr am Verborgenen interessiert ist, erfolgt die Inszenierung der Konflikte subtil und leise, eher nachdenklich als aktionsfreudig. So lässt sich zum Beispiel die Seelenlage von Dustin Hoffman zeitweise an den unterschiedlichen Reaktionen auf das Klingeln des Telefons ablesen. Es ist der Verdienst eines großartig aufspielenden Ensembles, die Figuren in all ihrer persönlichen Befindlichkeit darzustellen, sie durch kleine Gesten Dinge erzählen zu lassen, die man nicht in Worte fassen kann, und die Handlung mit einer nie pietätlos wirkenden Komik zu versehen.
Besonders positiv fällt dabei die Ausgewogenheit der Charaktere auf. Zwar ist die sich anbahnende Romanze zwischen Joe und Bertie unabdingbar für die innere Balance der Handlung, aber Silberling erweist allen Beteiligten den gleichen Grad an Aufmerksamkeit. Sein Drehbuch enthält sowohl in der Konversation wie im Monolog Schlüsselszenen für alle Beteiligten, so dass Dustin Hoffman und Susan Sarandon, die hier die wohl besten schauspielerischen Leistungen seit langer Zeit abliefern, nie zur reinen Hintergrundstaffage verkommen (gleiches gilt für Holly Hunter, die hier leider nur in einer kleinen, aber interessanten Nebenrolle als Rechtsbeistand der Eltern auftaucht).
Was dem Film ebenfalls zu Gute kommt, ist der Sprung zurück in die siebziger Jahre; in eine Zeit, als Nixon im Weißen Haus war und der Krieg in Vietnam tobte. Die im Amerika dieser Jahre vorherrschende wirtschaftliche Stagflation und die im Krieg erlittenen Verluste an Menschenleben passen perfekt ins Gesamtgefüge der Handlung und sind wichtiger Bestandteil vieler Charaktere (Bens Betrieb steht vor der finanziellen Pleite, Berties Freund gilt seit Monaten als vermisst). Aber auch die kontemplative Ebene, die der Film zweifellos einschlägt, wird durch die Loslösung von der Gegenwart und den Rückgriff auf eine andere Dekade deutlich in den Vordergrund gestellt.
Dennoch muss man "Moonlight Mile" auch Schwächen anlasten: Der Umstand, dass die Zuschauer die verstorbene Verlobte nie zu Gesicht bekommen, stellt zwar ein ambitiöses Unterfangen dar, der vollkommene Verzicht auf jegliche emotionale Verbindung zu Diane führt aber als ungewollter Nebeneffekt leider dazu, der Handlung mit einer gewissen Distanz zu folgen. So löblich es sein mag, einen Film zu realisieren, der in seinen besten Momenten zu einem Diskurs über den Umgang mit Trauer avanciert, so bedauerlicher ist es, wenn er den Zuschauer die überwiegende Zeit seltsam unberührt lässt. Freilich sehen wir allen Beteiligten dabei zu, wie sie versuchen, mit der veränderten Situation klarzukommen, das Geschehene zu verarbeiten und trotz aller Querelen einen neuen Anfang zu finden, doch durch das Übermaß rein introspektiver Ausrichtung verflacht auch die Spannungskurve. Und wer sich nicht auf diese Form des Erzählkinos und der ihr zugrunde liegenden Problematik einlassen kann, läuft Gefahr, frühzeitig aus dem Filmerlebnis auszusteigen.
Aber auch die Teile des Publikums, welche beim Betreten des Kinos die Hoffnung auf einen wirklich profunden Einblick in das Wesen der Trauer im Gepäck haben, könnten enttäuscht reagieren, da die Regie mit fortschreitender Zeit doch den dramaturgisch etablierten Regeln folgt und eines vorhersehbaren Endes nicht entbehren kann.
Was bleibt, ist ein Film, dessen Art der Annäherung an ein filmisch noch nicht ausgelotetes Thema begrüßenswert ist, und der trotz der genannten negativen Kritikpunkte dennoch mehr Wahrheit enthält, als viele seiner vergleichbaren Vorgänger.
Silberling, der das Drehbuch nach einem autobiographischen Vorfall verfasste (seine ehemalige Freundin, die amerikanische Fernsehschauspielerin Rebecca Schaeffer, wurde im Jahre 1989 von einem Fan getötet), ist sich der widersprüchlichen und beizeiten verwirrenden Gefühle, die der Tod eines Menschen hervorzurufen vermag, wohl bewusst. Seine Figuren erfahren um die kathartische Wirkung, die ein unvermitteltes, noch nicht einmal beabsichtigtes Lachen nach Tagen der inneren Anspannung auslösen kann, und der Regisseur entpuppt sich als wahrer Optimist, wenn er suggeriert, das auch ein unvermittelter Schicksalsschlag der Ausgangspunkt für eine gewinnbringende Metamorphose sein kann.
Aufgrund dieses Wissensvorsprungs kann man dem ungekünstelten "Moonlight Mile", der ebenso wie die "Stadt der Engel" eine Ode an das Leben ist, nicht wirklich böse sein. Schade nur, dass ihm der intendierte Realismus schlussendlich zum Nachteil gereicht, da er aufgrund des Mangels an Poesie weit weniger Unterhaltungswert vorzuweisen hat als Silberlings vorangegangene Werke.


8
8/10

Einer meiner liebsten filme nach brokeback Mountain ^^ gruß an alle fans ;*

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