Nachtgestalten

Jahr
1998
Laufzeit
103 min
Genre
Bewertung
9
9/10
von Sarah Bräuer / 9. Januar 2011

Es wird Nacht in Berlin. Der Papst ist auf dem Weg in die Stadt. Ein Segen?
Nicht für Andreas Dresens’ Nachtgestalten. Auch wenn für die obdachlose Hanna (Meriam Abbas) die Nacht segenreich beginnt, als sie einen Hundertmarkschein in ihrer Mütze findet. Zusammen mit dem Geld ihres Freundes Victor (Dominique Horwitz) wollen sich die beiden Penner eine Nacht im Hotel inklusive Frühstück und warmer Dusche leisten. Gar nicht so einfach, ein Zimmer zu finden. Jetzt, wo der Papst .....
Der Möchtegern - Karrieremann Peschke (Michael Gwisdek) soll eigentlich für seinen Boß jemanden vom Flughafen abholen. Doch mit der Begegnung zwischen ihm und dem kleinen Feliz (Ricardo Valentim) beginnt eine Verkettung unglücklichster Zwischenfälle, die die beiden in dieser Nacht 2-3mal durch die ganze Stadt befördert. Berlin ist groß .....
Jochen, das Landei in Person und auf der Suche nach der käuflichen Liebe, wird schon bei seiner Ankunft am Bahnhof seiner Tasche entledigt. Doch diesen ’Mann’ mit aufgesetztem Kuhblick scheint gar nichts aus den Badelatschen zu hauen. Auch nicht, dass die minderjährige Patty ihm für Geld ihre Dienste anbietet, obwohl ein Blinder sieht, dass das Mädel ’nen Schuß braucht. Für die beiden, den edlen Ritter und den gefallenen Engel, beginnt eine Odysee durch die dunkelsten Löcher Berlins .....

Wenn man auch stark geneigt ist, zu mutmaßen, dass der ’deutsche Episodenfilm’ furchtbar IN ist, darf man „Nachtgestalten“ auf keinen Fall als schnöde Modeerscheinung bezeichnen. Und wenn man sich vielleicht noch so sehr fragt, in welcher Kiste deutsche Filmemacher dieses Genre entdeckt haben. 
Dazu ist das ganze Projekt viel zu sehr durchdacht, wurde viel zu viel Herz in die Geschichten und vor allem in die Charaktere gesteckt. Natürlich wollte Dresen ein Bild dieser besonderen Stadt wiedergeben. Doch geht es in diesem Film nicht wirklich um Berlin. Vielmehr ist Berlin die Basis oder, schöner gesagt, ein hervorragender Nährboden, der die Multikultur einfach schon vorgibt, welche man braucht, um hier alle Charaktere unter einen Hut zu bringen. Einfach, um blöde Zwischenfragen zu vermeiden.

Wenn Dresen mit der Handkamera Pennern, Asylbewerbern, Junkies, Yuppies, Punks, Ausländern, Freaks, Touristen, Skinheads und Prostituierten durch die Nacht, allesamt auf der Suche nach dem kleinen Glück, folgt, entsteht ein melancholisches Bild. Jedoch ohne erhobenen Zeigefinger. Unterstützt wird dieser Eindruck durch die ungeschminkte Nähe, wie man sie sonst aus Dokumentarfilmen kennt. So kommen einige Szenen gänzlich ohne Dialoge aus, da Personen und Bilder für sich sprechen.
Das liegt nicht zuletzt an den schauspielerischen Glanzleistungen. Eine großartige Meriam Abbas, welcher man ohne Umschweife abnimmt, sie verbringe ihr Leben lang schon auf der Platte. Dialoge, wie für sie gemacht, in denen sie sekundenschnell aufbraust, dass einem der Atem stockt.
Michael Gwisdek wurde für seine Rolle als Peschke mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet. Eine Figur, die ein Widerspruch in sich ist und somit unbeschreiblich, und dabei den humoristischen Part übernimmt - während der Papst als Running Gag für die nötige Satire sorgt, wenn man abwechselnd von einer Geschichte in die andere taucht.

Drei Geschichten mit vielen kleinen Nebenhandlungen, miteinander verwoben und zusammengehalten durch die beiden P’s: Papst und Punks, in denen es ausschließlich um diejenigen geht, die man in unserem Sprachgebrauch nur zu gerne als Verlierer bezeichnet. Unglaublich, wie Dresen es durch unkommentierte Bilder in 103 Minuten schafft, so vielen Einzelaspekten Platz einzuräumen, und ohne, dass ein Wort zuviel geredet wurde.
Andreas Dresen erhielt für sein Werk den Deutschen Filmpreis in Silber. Für einen Film, in welchem man die Figuren tatsächlich kennenlernt, um sie dann mitzunehmen.


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