Never Die Alone

Originaltitel
Never Die Alone
Land
Jahr
2004
Laufzeit
88 min
Genre
Release Date
Bewertung
3
3/10
von Simon Staake / 30. Mai 2010

Bisher fingen ausschließlich gute Filme mit einem toten Erzähler an ("Sunset Boulevard", "American Beauty"), mit "Never Die Alone" nun also auch ein mieser. Drogenhändler ‚King' David (DMX) ist tot. In Rückblenden wird seine Geschichte erzählt, während in der fortlaufenden Handlung in der Jetztzeit die Auswirkungen seines Todes anhand von zwei Figuren gezeigt werden. Da ist zum einen der weiße Schriftsteller Paul (David Arquette), der David zu retten versuchte und dem dieser daraufhin seinen Besitz vermachte. In der geerbten Luxuskarre findet Paul Audiokassetten, auf die David seine Autobiographie gesprochen hat. Diese Kassetten bilden dann plottechnisch das Gerüst für die Erzählung in Rückblenden mit laufendem Kommentar aus dem Off seitens David. Die andere Person ist der junge Schwarze Mike (Michael Ealy), der Mörder Davids, der nun selbst in Schwierigkeiten steckt und den eine unheilvolle Beziehung an David bindet, die der Film einem am Ende als große Überraschung verkaufen will. Leider ist diese nicht nur recht durchsichtig, sondern sie kommt auch zu spät. Da will man zu einem Zeitpunkt einen tragischen Bogen spannen und eine furchterregende Symmetrie aufzeigen, an dem man diesen Film mit seiner nichtvorhandenen Spannungskurve schon längst abgeschrieben hat.

Zumindest ehrenwerte Absichten möchte man den Machern dieses Films unterstellen. Denn man würde ihm schon glauben, dem Ernest Dickerson, dass er vorhatte, einen realistischen Blick auf die afro-amerikanische Gangsta-Kultur zu werfen und gleichzeitig einen schicken Film Noir-inspirierten Gangsterfilm à la "New Jack City" abzuliefern. Immerhin ist der Mann jahrelanger Weggefährte von Spike Lee, hat allerdings auch schon grottenschlechten Mist wie "Bones" rausgehauen. Irgendwas ist hier allerdings gründlich schiefgegangen, denn "Never Die Alone" ist so vollgestopft mit schlechten Klischees, dass man sich fragt, was Dickerson in James Gibsons Drehbuch überhaupt gesehen hat. Was wohl tragisch, kritisch und wichtig sein soll, wirkt bemüht, unkritisch, ärgerlich und völlig irrelevant. Dieser Film wäre gerne Marvin Gaye und "What's going on", ist aber nur 50 Cent und "Get Rich or Die Tryin'".

Das größte Problem von "Never Die Alone" ist nicht wirklich der Hauptdarsteller, sondern die Figur, die er spielt. King David ist ein Mittelklasse-Drogendealer ohne irgendwelche nennenswert positiven oder erinnerungswürdigen Eigenschaften. Warum diesen Menschen zur Hauptfigur eines Filmes machen? Dies steht auch der klassischen Konzeption des Gangsterfilms komplett gegenüber, denn deren Protagonisten sind zwar bisweilen durch und durch boshaft, haben jedoch auch gute oder zumindest interessante Seiten oder ein Mindestgut an Charisma. Das ölige Einschmeicheln Davids bei seinen weiblichen Opfern kann man da kaum gelten lassen. "Er hatte so etwas Nobles" bemerkt die kuriose Figur des Paul, wohl als Vertreter des Publikums geplant, aber langweilig und leider oft auch dämlich agierend. Zwar hat Paul mit David vorher gar nicht gesprochen und sieht nur einen sterbenden Schwarzen in teurem Anzug und mit dicker Karre, aber vielleicht reichen die Statussymbole ja schon, damit jemand "nobel" wirkt. Schließlich ist das im Gangsta-Rap ja auch so.
Der Aufstieg und Fall dieses Möchtegerngroß wird dann wenig eindrucksvoll anhand einiger Einzelepisoden, die meistens das äußerst schäbige Behandeln von Davids Freundinnen beinhalten, erzählt. Dabei ist schon der erzählerische Ausgangspunkt, nämlich das Ablegen einer Lebensbeichte, völliger Unsinn. Angeblich will David Abbitte leisten, aber niemals gibt einem der Film das Gefühl, dass dem wirklich so ist. Bei der Geldübergabe vor seinem Tod ist er genau dasselbe arrogante, großmäulige Arschloch wie zuvor und in seinen Kommentaren aus dem Off lässt sich auch kein Funken Bedauern oder Buße ausmachen. Wie so vieles andere auch, ist dieser Plotstrang mehr Behauptung denn Fakt. Woher rührt überhaupt Davids plötzlicher Sinneswandel? Leider wird darüber kein Wort verloren, genau so wenig darüber, wie David wurde, was er ist. Viele Filme sind zu lang, "Never Die Alone" kommt seine knackige Laufzeit - die ja auch auf drei tragende Figuren verteilt wird - dagegen nicht zu Gute. Es fehlt zu viel. Der episodische Rückblick auf Davids Vergangenheit funktioniert nicht, der Charakter bleibt nicht greifbar und skizzenhaft. Hier muss dann auch noch mal Kritik am Darsteller geübt werden, denn der doch sehr limitierte DMX hätte wohl auch eine vielschichtigere Figur nicht überzeugend darstellen können. Ein Indiz sind die in den Off-Kommentaren dargelegten Motivationen. Anstatt Davids Emotionen zu spielen, behauptet DMX sie einfach mal und gut ist. Paul und Mike, die anderen beiden Hauptfiguren, ja von vornherein äußerst grobstichig angelegt und können daher genau so wenig überzeugen.
Nervig, ärgerlich und komplett kontraproduktiv sind zudem die oben schon erwähnten, sich immer wieder einschleichenden Plattitüden aus dem Leben des Gangstas. Das gute Leben mit Geld und willigen Frauen und dicken Autos, heißa, was ist es schön. Die durchgehend frauenfeindlichen Attitüden, die dieser Film undifferenziert präsentiert, sitzen da nur zu gut neben den anderen lachhaften Klischees. Paul, der weiße Autor, wird "Hemingway" genannt und sitzt natürlich mit Whiskeypulle vor einer dreißig Jahre alten Schreibmaschine. Ganz so, als dürfe ein Autor in einem Film dieser Art keinen Computer besitzen. Gerade in Anbetracht der Zielgruppe dieses Films mit einem der erfolgreichsten Gangsta-Rapper überhaupt in der Hauptrolle erscheint Dickersons Undifferenziertheit fast fahrlässig. Das Ergebnis ist ein Blaxploitationfilm für das 21. Jahrhundert - denkwürdig, aber in keiner der Weisen, die der Regisseur beabsichtigt hat.
Dazu kommt dann noch eine extrem gewöhnungsbedürftige visuelle Form. Dass sich "Never Die Alone" von den hochglanzpolierten Actionfilmen, in denen DMX bisher mitgespielt hat ("Romeo must die", "Born 2 Die"), gewollt abhebt, verweist noch mal auf das Versuchte und symbolisiert das Scheitern. Die grobkörnigen, dunklen und zum Teil unscharfen Einstellungen sollen Realismus und street credibility suggerieren, aber da der gesamte Film so gehalten ist, geht das recht schnell erstens auf die Augen und zweitens auf die Nerven. Genau wie King Davids Geplärre am Ende des Films, er habe so ein außergewöhnliches Leben gehabt. Außergewöhnlich? Außergewöhnlich ist keine der Figuren und schon gar nicht der Film. Außergewöhnlich ärgerlich vielleicht. Aber das kann er ja nicht gemeint haben.

Das bizarre Post Scriptum zu diesem Film liefert übrigens Hauptdarsteller Earl Simmons alias DMX selbst, der in einer unheimlichen Parallele zu Kultrapper Tupac Shakur ("California Love") auch im wirklichen Leben den Gangster gibt. Shakur steigerte sich nach Darstellung eines Drogendealers in Dickersons Debüt "Juice" komplett in die Rolle des coolen Gangsters hinein und lebte fortan das vielgepriesene "thug life", mit bekannt blutigem Ergebnis. So weit wird es mit DMX hoffentlich nicht kommen, aber er ist auf dem besten (soll heißen: schlechtesten) Wege, denn der Darkman darf sich demnächst wegen Drogen- und Waffenbesitzes vor Gericht verantworten. "Never Die Alone" muss sich dagegen vor seinem Publikum verantworten, und da kann es nur ein Urteil geben. Dieser Film verdient es, in leeren Kinosälen allein zu sterben.

Bilder: Copyright

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