Plastic Planet

Jahr
2010
Laufzeit
94 min
Regie
Release Date
Bewertung
6
6/10
von Margarete Prowe / 27. Mai 2010

 

Es ist in unserem ersten Schnuller, in unserem Spielzeug, im Auto, es ist eigentlich überall und auch schon in unserem Blut nachweisbar: Plastik. Aber womit umgeben wir uns hier eigentlich so sorglos? Was steckt im Plastik und was tut es mit uns und unserem Heimatplaneten? Diesen Fragen geht der Österreicher Werner Boote in seiner Dokumentation "Plastic Planet" nach und taucht ein in eine unbekannte Welt, in der Intersexfische (mit männlichen und weiblichen Fortpflanzungsorganen) in Flüssen schwimmen, Plastikmüllteppiche im Meer und östrogenartig wirkende Plastikinhaltsstoffe im Blutkreislauf.
Inhaltlich vielfältig und thematisch brisant, leidet "Plastic Planet" leider daran, dass Boote wie ein Mini-Michael Moore mit Konzentrationsstörung wirkt: Mit kindlicher Begeisterung hüpft er planlos über die Kontinente und untersucht mal dies, mal jenes, befragt mal diesen, mal jenen. Und so ist "Plastic Planet" filmisch auch nach mehreren Jahren Drehzeit und Recherche eher eine bunt zusammen gewürfelte Junggesellenpfanne als ein Gourmetgericht.

Werner Boote beginnt biografisch und zeigt Videoaufnahmen seiner Kindheit inmitten von "duftendem" Plastikspielzeug, dass er von seinem Großvater bekam, der in der Kunststoffindustrie arbeitete. Als Erwachsener warnt er nach jahrelanger Recherche vor den potenziellen Folgen unserer bunten Plastikwelt, trifft u. a. Kunststoffproduzenten aus Shanghai, den Entdecker des tausende Quadratkilometer großen Plastikteppichs im Nordpazifik, Charles Moore, den ehemaligen Präsident von PlasticsEurope (dem Verband europäischer Kunstofferzeuger), John Taylor, und die Politikerin Margot Wallström, die Wegbereiterin der wichtigen neuen Chemikaliengesetzgebung REACH (nun muss die Industrie selbst nachweisen, dass ihre Chemikalien unschädlich sind, und nicht mehr die überwachenden Behörden, dass die Stoffe gefährlich sind, wie es bisher der Fall war).

Die Auswirkungen von Plastik auf den Menschen sind schwer absehbar, da in der Regel nicht bekannt ist, woraus dieses eigentlich besteht. Es wird auf Betriebsgeheimnisse verwiesen und so weiß ein Warenproduzent oft gar nicht, was tatsächlich in der Verpackung seiner Waren steckt. Gleichzeitig werden bei der Verbrennung von PVC giftige Dioxine freigesetzt und Weich-PVC kann laut Boote bis zu 70% aus schädlichen Weichmachern (Phtalaten) bestehen. Gerade diese gelten als gefährlich, denn ihre Wirkung reicht von krebserregend über reproduktionstoxisch bis zu fortpflanzungsgefährdend. Manche Phtalate sind in Europa verboten, aber unser Plastik kommt aus aller Welt, so dass dies keine Sicherheit gibt. Bei der Herstellung von Styropor wird krebserregendes Benzol eingesetzt, während PET, aus dem Getränkeflaschen hergestellt werden, gesundheitsschädigendes Acetaldehyd freisetzen kann, das über die enthaltene Flüssigkeit in unsere Körper gelangt.
Besonders Bisphenol A (BPA) wird in "Plastic Planet" beleuchtet: Es handelt sich dabei um eine der meistproduzierten Chemikalien der Welt. Es ist in Autoteilen, CDs, Zahnfüllungen, Lebensmittelverpackungen und in Babyfläschchen enthalten. Es gibt Hinweise darauf, dass BPA bereits in winzigen Dosen die Spermienproduktion verringert, die Entwicklung des Gehirns beeinflusst und Veränderungen des Erbguts bewirkt, deren Auswirkungen sich erst nach Generationen zeigen. BPA verhält sich im Körper wie ein Hormon und wurde im Blut der gesamten Filmcrew von "Plastic Planet" nachgewiesen.

Von visueller Kraft sind besonders die Szenen des Films, in denen Werner Boote Familien in aller Welt ihr gesamtes häusliches Plastik in den Vorgarten stellen lässt und diese erschrocken feststellen, mit wie viel Plastik sie sich umgeben. An diesen Stellen schafft es Boote formvollendet, seinem Publikum nahezubringen, wie allumfassend das Plastik in jedem Winkel unseres Lebens steckt.
Obwohl dieser Film ansonsten eher holprig daherkommt, sollte "Plastic Planet" nicht verdammt werden, da Boote sich mit einem spröden Thema auseinandersetzt, das sich nicht einfach in schockierenden Bildern vermarkten lässt. Erwin Wagenhofer konnte in "We feed the World - Essen global" die Zerlegung von Hühnern präsentieren, Morgan Spurlock nach zu viel Fastfood in "Supersize me" sein schwallartiges Erbrechen zeigen, doch Boote kann noch nicht einmal einfache Lösungen bieten, da der Verbraucher dem Plastik nicht mal eben komplett entfliehen kann, da es einfach überall ist.
Und so gibt es kein Happy End wie bei anderen Dokus, in denen der Verzicht auf Fastfood oder das Einkaufen regionaler Lebensmittel auf dem Ökomarkt ausreicht, um sich wieder gut zu fühlen. Trotzdem gibt es auch hier schon Positives zu berichten: Bootes Recherchen brachten einen Hersteller von Babysaugern, die Bisphenol A enthalten, dazu, diese aus dem Handel zu nehmen.

Der "Duft" neuen Plastiks, den Boote in seiner Kindheit so liebte, ist übrigens ein Zeichen für gesundheitskritische Inhaltsstoffe. Die kann man ja einfach meiden, mag sich manch ein Zuschauer denken. Aber wenn man dann den speziellen Geruch der Innenausstattung seines neuen Wagens einatmet, wird man mit Sicherheit mächtig schlucken müssen.

Bilder: Copyright

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