Sehnsucht

Originaltitel
Sehnsucht
Jahr
2006
Laufzeit
88 min
Genre
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Patrick Wellinski / 29. Januar 2011


Sehnsucht, dieses Wort beschreibt das unwiderstehliche Begehren, das man einem Menschen oder einer Sache entgegenbringt. Es gibt Menschen, die an diesem Gefühl zerbrechen, nicht selten führt Sehnsucht in der Kunst und Literatur in den Tod (zum Beispiel Goethes jungen Werther). Die junge deutsche Regisseurin Valeska Grisebach ("Mein Stern") widmet sich in ihrem ersten abendfüllenden Kinofilm nun ebenfalls diesem intensiven Gefühl und zeigt den Leidensweg eines jungen Mannes aus Brandenburg, der an seinem Herzen zerbricht.

Markus (Andreas Müller) ist Kfz-Mechaniker, Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr und liebt seine Frau Ella (Ilka Welz) über alles. Er führt ein glückliches Leben in der brandenburgischen Provinz. Doch bei einem Feuerwehr-Fest in einem anderen Dorf verbringt Markus eine Nacht mit der Kellnerin Rosa (Anett Dornbusch). Es kommt wie es kommen muss: Markus verliebt sich in Rosa und verschweigt seine Ehe mit Ella. Schon bald hält er dieses Doppelleben nicht mehr aus.

Was sich auf den ersten Blick anhört wie ein gewöhnliches Ehebruchdrama, bekommt durch die langsame, gefühlvolle Erzählweise Grisebachs eine fast schon mythische Aura. Der Film zeigt einen Mann, der das Glück geschenkt bekommt, zwei Frauen lieben zu dürfen. Ein Geschenk zweifelsohne, aber leider von unserer Gesellschaft nicht akzeptiert. Valeska Grisebach, die schon in ihrem Debütfilm "Mein Stern" zwei Teenager die große Liebe entdecken ließ, beschäftigt sich mit dem Begehren eines Mannes und zeigt dabei, dass auch das größte Herz zerbrechen kann.
Dabei stellt sie Markus nicht als Übeltäter dar. Es ist die große Kunst der Berlinerin, sich ihren Charakteren mit größtmöglicher Nähe zu zuwenden, ihre Seelenlandschaften nach Außen zu kehren und sie uns so sicht- und spürbar zu machen, dass wir in den Bildern förmlich aufgehen. Bestes Beispiel jene eindrucksvolle Szene, als Markus zum tiefsehnsüchtigen "Feel" von Robbie Williams tanzt. Sein Körper bewegt sich in der Feuerwehruniform zunächst geschmeidig, um dann mehr und mehr mit den Rhythmen der Musik zu verschmelzen. Pure Kino-Magie.

Ein weiteres Wunder des Films ist es, dass Grisebach alle Rollen mit Laiendarstellern (oder, wie sie es lieber nennt, "nicht professionelle Darsteller") besetzt hat. Es ist wohl ihrer präzisen und einfühlsamen Arbeit mit diesen Menschen zu verdanken, dass alle drei Hauptdarsteller mehr als nur überzeugen. Sie ziehen das Publikum ganz schnell in ihren Bann, allen voran Andreas Müller als Markus, der sein inneres Zerwürfnis ungemein authentisch zu transportieren vermag. Dabei wird die poetische Stille, die teilweise die Bilder beherrscht, von äußerst abstrakten Dialogen durchbrochen. Kein Wunder: die Figuren in "Sehnsucht" sind überlebensgroß gezeichnet und reden überhöht, um der Geschichte ihren magischen Moment zu bewahren.

All das wird von Bernhard Keller, dem Kameramann, in makellose, fast schon zerbrechliche Bilder gepackt. Man ergötzt sich an so gut wie jeder Einstellung und ist hingerissen von den tiefgründigen Spannungsfeldern, die zwischen den Protagonisten entstehen. Die Leere der brandenburgischen Provinz erscheint immer wieder in einem wunderschönen mystischen Licht. Keine Tristesse, keine betrunkenen Obdachlosen und keine Arbeitslosenhochburg. Brandenburg erscheint als traumhafte Kulisse für dieses Schicksalsdrama.
Es gibt keinen sichtlichen Schwachpunkt in diesem Film. Wieso man deshalb nicht gleich zur Höchstpunktzahl greift? Weil man der Regisseurin durchaus noch besseres und größeres zutrauen darf. Man sollte ihr deshalb nach oben hin noch ein wenig Spielraum lassen.

"Sehnsucht" ist ein stilles, meisterhaft inszeniertes Drama. Am Ende fassen Kinder ganz im Stile des antiken Chors das Geschehene zusammen, und spätestens dann bekommt die Geschichte das Antlitz einer griechischen Tragödie. Man sollte es ruhig riskieren und sich für diesen Film ins Programmkino verirren, denn ein derartig sinnliches Erlebnis für Kopf und Geist bekommt man im Kino nur sehr selten geboten.

 
Bilder: Copyright

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