Sicko

Originaltitel
Sicko
Land
Jahr
2007
Laufzeit
116 min
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Frank-Michael Helmke / 30. Januar 2011

Michael Moore ist wieder da. Drei Jahre, nachdem er mit "Fahrenheit 9/11" in den (vergeblichen) Kreuzzug gegen die Wiederwahl von George W. Bush zog, knüpft sich der berühmteste und kontroverseste Dokumentarfilmer der Welt nun ein anderes heißes Eisen der amerikanischen Politik vor: Das Gesundheitssystem. Die Thematik allein dürfte schon dafür sorgen, dass "Sicko" bei weitem nicht so viel Beachtung finden wird wie sein Vorgänger, dessen Kritik an der amerikanischen Außenpolitik auch international auf viele offene Ohren stieß - was nicht zuletzt die Goldene Palme in Cannes bewies. Das ändert allerdings nichts daran, dass "Sicko" ein stärkerer Film als "Fahrenheit 9/11" ist und deutlich näher zu Moores bislang bestem Werk "Bowling for Columbine" aufschließt.

Was die rein innenpolitische Thematik von "Sicko" auch für uns Mitteleuropäer interessant und auf eigenwillige Weise unterhaltsam macht, sind die im Vergleich zu den hiesigen Verhältnissen unglaublichen Zustände der Krankenversorgung im reichsten und mächtigsten Land der Welt: Zu Beginn zeigt Michael Moore einen von 50 Millionen Amerikanern, die nicht krankenversichert sind. Der Mann hat sich bei einem Arbeitsunfall eine Fingerkuppe ganz und eine halb abgesägt. Nun musste er sich entscheiden: Für 60.000 Dollar Operationskosten den einen, oder für 12.000 Dollar den anderen Finger retten?
Doch nicht die Unversichten sind Moores Thema, sondern die vermeintlich Versorgten, die sich im amerikanischen Versicherungssystem trügerisch gut aufgehoben fühlen. Doch im Mutterland des modernen Kapitalismus wird die Gesundheit nicht von gesetzlichen, sondern von privaten Versicherungsunternehmen gemanagt (ein staatliches Gesundheitssystem wird in deren PR-Propaganda als "socialized medicine" bezeichnet - der erste Schritt auf dem Weg in den Kommunismus). Und was deren Bestreben nach Gewinnmaximierung für schockierende Auswirkungen hat, dokumentiert Moore mit zahlreichen Einzelfällen und Aussagen ehemaliger Mitarbeiter der Konzerne: Da werden Bewerber mit bestehender Krankengeschichte gar nicht erst angenommen, und wenn es zu einem Schadensfall kommt, werden alle nur erdenklichen Schlupflöcher gesucht, um eine Zahlung zu verweigern. Dabei scheint man um wirklich keine Ausrede verlegen, und die Versicherten müssen am Ende die horrenden Behandlungskosten doch selber tragen - oder eben sterben….
Aufrecht erhalten wir dieses ausbeuterische System natürlich durch politischen Einfluss: Laut "Sicko" kommen in Washington auf jeden Kongress-Abgeordneten vier Lobbyisten der Gesundheits-Industrie, zu der neben den Versicherungen auch noch die Pharma-Konzerne gehören, die dank der Bush-Regierung inzwischen die Preise für ihre Medikamente frei bestimmen dürfen. Und wer den politischen Aufstand probt, wird eben eingekauft: Hillary Clinton wollte in ihrem ersten Jahr als First Lady eine große Gesetzes-Initiative für eine staatliche Krankenversicherung starten. Heute gibt es im amerikanischen Senat nur einen Politiker, der mehr Wahlkampf-Spenden von der Gesundheits-Lobby bekommt als sie.

Wie schon in "Bowling for Columbine" reist Moore auch hier in andere Länder, um die dortigen Gesundheitssysteme als Vergleich heranzuziehen. Wie gehabt geht es zu den Nachbarn nach Kanada und zu den transatlantischen Brüdern in England, sowie vor allem nach Frankreich, das Land mit dem besten Gesundheitssystem der Welt. Moore bleibt dabei seinem bekannten und unterhaltsamen Stil mit dem sarkastisch-satirischen Unterton treu und gibt sich erneut als etwas tapsiger Naivling, der in den fremden Ländern ungläubig nach dem Fehler im System sucht und ganz verdattert feststellt, dass es keinen gibt.
Natürlich ist das vereinfacht dargestellt, denn auch in den hier portraitierten Gesundheitssystemen gibt es Mängel. Doch Moore geht es nicht um deren tiefe Analyse, sondern um das so oder so absolut zutreffende Argument: Dort geht es viel besser zu als daheim in den USA. Moores zahlreiche Kritiker, die ihm Simplifizierung, Unsachlichkeit und mangelnde Recherche vorwerfen, werden auch bei "Sicko" genug Futter finden, um sich weiter aufzuregen.
Was nichts daran ändert, dass auch "Sicko" in seinem eigentlichen Anliegen ein sehr erfolgreicher und sehr guter Film ist. Hier geht es nicht um eine sachliche, dokumentarische Analyse, sondern um Film als politisches Pamphlet, als Propaganda - das geht auch im positiven Sinne. Denn es ist unbestreitbar, dass dieses Thema in den USA Aufmerksamkeit braucht, dass eine öffentliche Debatte zwingend nötig ist, wenn sich an den (für eine führende Industrienation) indiskutablen Zuständen in absehbarer Zeit etwas ändern soll. Wer Michael Moore als Populist beschimpft, dem kann man nur Recht geben. Aber in den USA, einem Land ohne sozialpolitische Protestkultur, braucht es solche Populisten, um die Meinungsmacherei zu beeinflussen, eine Debatte auszulösen und ihr eine Richtung zu geben. Das hat in der amerikanischen Demokratie Tradition. Wenn Michael Moore keine Proteste auslösen würde, hätte er seinen Job nicht richtig gemacht.

Und den macht er hier erneut verdammt gut, besonders als er gegen Ende des Films eine seiner brillanten Aktions-Ideen umsetzt: Er chartert in Miami ein Boot und belädt es mit Feuerwehrleuten und freiwilligen Helfern vom "Ground Zero", die für ihre aufopferungsvolle Arbeit nach dem 11. September als nationale Helden gefeiert wurden. Doch durch die lange Zeit im Staub der Trümmer haben sich die Helfer Lungenkrankheiten zugezogen, für deren Behandlung ihre Versicherungen nun nicht aufkommen wollen. Moore möchte sie an einen Ort bringen, wo Amerika seine größten Feinde mit kostenlosen, allumfassenden und vorbildlichen medizinischen Einrichtungen umsorgt, von denen Normalbürger nur träumen können - Guantanamo Bay. Wie zu erwarten kommen sie da natürlich nicht rein, aber wo man schon mal auf Kuba ist, testet Moore mit seinen 9/11-Helden das Gesundheitssystem dieses Mitgliedstaates von Bushs "Achse des Bösen". Was folgt, sind Szenen vollkommener Fassungslosigkeit, wenn zum Beispiel eine Frau für ein medikamentöses Spray, für das sie zuhause 120 Dollar pro Pumpe bezahlt, in der kubanischen Apotheke umgerechnet 5 Cent auf den Tresen legen muss.

Da überwiegt dann selbst bei abgeklärten Mitteleuropäern das Mitleid für die ausgebeuteten kleinen Leute, als dass man verächtlich daran denkt, dass die breite amerikanische Bevölkerung mit ihrer überheblichen "Wir sind die Größten"-Ignoranz gegenüber dem Rest der Welt selbst Schuld daran ist, wenn sie nichts davon weiß, wie es anderswo zugeht. So gibt Michael Moore auch allen hiesigen Anhängern des populären Anti-Amerikanismus, für den er in der Alten Welt ja auch zur Galionsfigur geworden ist, wieder ordentlich Futter. Und mit denen darf sich auch jeder neutralere Zuschauer bei "Sicko" vor allem an dem Gefühl erfreuen, das es hier bei uns so viel gerechter und demokratischer zugeht. Das ist zur Abwechslung ja auch mal ganz schön.

Wer an Moores einzigartigem Stil Freude hat, wird an "Sicko" sicher auch dann Gefallen finden, wenn das Thema nicht direkt ansprechend wirkt. Und für alle politischen Stammtisch-Plauderer und Hobby-Anti-Amerikanisten ist er ohnehin Pflichtprogramm, bei dem man dank Moores satirischem Witz auch desöfteren ungläubig lachen kann, zum Beispiel bei Moores abschließendem Tipp für seine amerikanischen Mitbürger, wenn sie ernsthaft krank werden: Heirate einen Kanadier, oder geh nach Kuba.

Bilder: Copyright

Mann geht dieser Klops mir mit seinen populistischen Verdrehungen und seinem Holzhammer Weltbildchen auf die Cookies.

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9
9/10

Ich habe die Premiere von Moores neuen Film am Dienstag abend gesehen und muss sagen, dass ich den film klasse fand. Im direkten Vergleich mit Moores besten Werk "Bowling for Columbine" ist "Sicko" fast so gut, aber was das 10. auge verhindert, ist, dass die ersten 20 Minuten des Films etwas lahm verlaufen und dann erst das gewohnt geniale Michael Moore - Feeling aufkommt. Ab da wird es Klasse und der Humor kommt dann auch wie nicht zu kurz. Allerdings sind in dem Film einige Szenen, die sehr traurige Schicksale von Leuten berichten. Kann jedem, dem Michael Moores Filme gefallen, nur raten, sich auch seinen neuesten Film anzusehen und sich von seinem Filmestil mitreißen zu lassen.

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2
2/10

Widerlich polemisierender, populistisch durchkalkulierter Dreck. Dass man heutzutage immer noch auf diesen Typen reinfällt...

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8
8/10

Zugegeben sind Micheal Moores Filme populistisch. Aber wer geht heute noch in einen seiner Filme mit objektivem journalistischen Anspruch? Michael Moore will polarisieren - was ihm auch gelingt. Viele scheinen zu vergessen, dass seine Produktionen in erster Linie auf den US-Markt zugeschnitten sind und dort natürlich auch anderes aufgenommen werden als hier. SICKO ist in vielerlei Hinsicht eines seiner besten Werke. Die Schicksale der Betroffenen scheinen besser recherchiert als in BOWLING FOR COLUMBINE und berühren sogar. Dass er wieder den 11.9. in seinen Film nehmen musste ist für Europäer natürlich inzwischen lästig. Doch wie gesagt ist es ein Film der die US-Amerikaner bewegen soll. Darum verwendet er diesen, für Patrioten, wunden Punkt. Alleine, dass er es wagt zu behaupten Kuba habe ein besseres Gesundheitssystem als die USA ist fast revolutionär, aufrüttelnd und im Vergleich zu den Staaten auch wahr. Der Film ist unterhaltsam und regt zum Denken an. Und sei es nur sich darüber aufzuregen, welche Fakten Moore bewusst wegfallen ließ. Michael Moores Filme bleiben nun einmal DOCUTAINMENT.

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7
7/10

@ Lucio & @ Julia

Habt ihr beiden rumblökenden Vollnasen mal darüber nachgedacht, dass dieser Film in erster Linie für den amerikanischen Markt produziert wurde. Das die merkbefreiten Bewohner der "Supermacht" nun eher auf solche emotionstriefenden Filme abfahren, welche auf den amerikanischen Durchschnitts-IQ (irgendwo zwischen 8 und 9 - n' Stuhl hat 10) abgestimmt sind, als sich durch die nüchternen Darstellung eines reinen Dokumentarfilmes oder politischen Magazins zu bilden, sollte einem durch Meinungsvielfalt geprägten und nicht der "Pisageneration" angehörenden Menschen nun doch mal irgendwo einleuchten.

An Eurer Stelle würde ich dann mal nicht hier den Kommentar als Shoutbox für geistig Minderbemittele verstehen, sondern mir vorm Betätigen der Tastatur mal Gedanken machen, sie hinterfragen und wenn siche letztendlich Schlüssigkeit einstellt meinen Senf dazugeben.

Anderfalls sollte Ihr es frei nach Dieter Nuhr halten:

"Wenn man keine Ahnung hat, ..."

Zum Film!

Bedingt durch den typischen Michael Moore Style, durch den er sich immer wieder in den Mittelpunkt des Geschehens drängt (soll man mögen oder nicht), gerät teilweise der Kernpunkt des Themas - das amerikanische Gesundheitssystem - stellenweise ein bischen ins Abseits. Ganz schlimm find ich die Szenen, wo die armen Helfer hinterher in Cuba bei der Feuerwehrwache auflaufen. Was zum Teufel hatte das mit dem Thema an sich zu tun???

Das war übelster "SoapOperaaufdieTränendrüsendrückStyle" und nun wirklich mehr als daneben.

Aber ob man den guten Michael Moore mit seinen manchmal fragwürdigen Art sich und somit den Film darzustellen mag oder auch nicht, eins steht fest:

Die Information kommt beim Zuschauer an.

Und so wurde mir nach dem Film wieder mal eins klar. Wie gut das ich in diesem Land lebe, mit seinem -zugegeben- teueren sozialen Netz, und nicht in diesem Land der unbegrenzten (Koppschüttel) Möglichkeiten.

Fazit!

knappe 7 Augen

PS.: das Michael Moores Stil manipulativ ist steht ausser Frage, ich gehe aber davon aus das die Fakten korrekt recherchiert sind

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8
8/10

Das ein so reiches Land wie die USA mit seinen eigenen Menschen so umgeht ist schon mehr als Peinlich. Gut das Moore nicht auf Deutschland gezeigt hat, den hier gehts ja auch Bergab mit dem Gesundheitswesen ! Man denke da nur an die Strompreise die schon wieder von der Geldgeilen Industrie erhöht werden, bald ist auch Strom ein Luxusgut hier, sorry ich drifte ab !
Es ist aber schon sehr bezeichnend das ein Staat seine Menschen so verkommen läßt. Leute die sich aufgeopfert haben am 9. September mitzuhelfen und die dann Krank wurden, nochmals in Arsch zu treten ist schon unter aller Sau. Das Schlimme, Cuba das ach so Feindlich Arme Land behandelt dann die US-Bürger ohne große Kosten, das ist echt Ironie oder gar Sarkasmus, so würd ich mich jedenfalls dann fühlen als US-Bürger dort... und wenn es so weiter geht haben wir den MIST auch in Deutschland !

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diddi schrieb "nun eher auf solche emotionstriefenden Filme abfahren, welche auf den amerikanischen Durchschnitts-IQ (irgendwo zwischen 8 und 9 - n' Stuhl hat 10)"

allein durch diese aussage qualifizierst du dich enorm ! bitte schreibe noch mehr kritiken !

kleiner tipp vllt. nicht nur dokumentationen über amerika anschauen sondern vllt auch einfach mal mit ein paar amerikanern reden - und nicht unbedingt der person mit der bierbong - es gibt auch andere

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@Storm
«Leute die sich aufgeopfert haben am 9. September mitzuhelfen ...»

Bei was haben die dann geholfen?

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8
8/10

also ich fand den Film sehr interessant, manchmal ergfreifend und selten daneben. Jetzt wünsch ich mir nur noch einen Film über Europa. Würde mich brennend interessieren was es denn nach Ansicht von Moore hier aufm Kontinent so auszusetzen gibt.

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8
8/10

schon interessant, daß selbst deutschland anscheinend ein ziemlich beschissenes gesundheitssystem hat. in england und frankreich wird das einfach von den steuern bezahlt? na die lassen sich auch nicht alles gefallen, so wie die "blöden" deutschen.
deutschland ist sowieso der große verlierer in europa, bzw. durch europa.
kann man in jedem urlaub am eigenen leib erleben.

na-gegenüber den usa wohl noch ein paradies - zumindest was das gesundheitssystem angeht. trotz aller polemik und konstruktion -
eine echt witzige collage. und ich bin wohl einer der dummen, die sich davon provozieren lassen
++

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10
10/10

Er greift mit diesem Film gewisser maßen jedes Gesundheit System an das nicht wie das Kanadische, Englische oder Französische ist.
Wie dem auch sein, ich werde bei meinen nächsten Besuch in die USA eine Zusatzversicherung abschließen...:-))

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