Tuvalu

Jahr
1999
Laufzeit
92 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Frank-Michael Helmke / 28. Dezember 2010

„In den meisten Filmen ist sehr wenig Kino. Ich nenne das ‚Fotografieren von redenden Leuten‘. Wenn man im Kino eine Geschichte erzählt, sollte man nur Dialog verwenden, wenn es nicht anders geht. Man sollte dem Visuellen immer den Vorrang vor dem Dialog geben.“                                          Alfred Hitchcock

Der Besuch in einem altmodischen Badehaus und dieses Zitat von Altmeister Hitchcock waren wohl die grundlegenden Inspirationen für „Tuvalu“, das Spielfilmdebüt des ehemaligen Kurzfilmers Veit Helmer. Ein Film, dessen Entstehung sich über Jahre hin zog, obwohl die Drehzeit gewöhnliche 70 Tage betrug. Helmer wollte alles perfekt haben, seine Vision haargenau in die Realität umsetzen. Das bedeutete monatelanges Suchen nach der richtigen Kulisse und jahrelanges Suchen nach den richtigen Darstellern. Als Ergebnis dieser Tour de force steht nun ein Film, der auf etwa einem Dutzend Festivals mit Lob und Preisen überschüttet wurde, und generell als ein ganz wichtiger Schritt für das deutsche Kunstkino hochgejubelt wird. In der Tat ist es so, daß „Tuvalu“ ein sehr außergewöhnlicher Film ist, den es in dieser Form noch nicht gab. Es ist aber auch so, daß vor lauter Kreativität ganz elementare Dinge außer acht gelassen wurden. Aber von vorne.

Als erstes gilt es, sich von unserer Welt als solches zu verabschieden: „Tuvalu“ spielt irgendwo und irgendwann, hat aber keinen realen Hintergrund. Zwischen den Ruinen einer Stadt steht ein altes, baufälliges aber sehr schönes Badehaus. Der Besitzer ist erblindet, aber ein stolzer Mann, der seine Bademeister-Tätigkeit nicht aufgeben möchte. Und so spielen sein Sohn Anton und die Kassiererin Martha Tag für Tag regen Betrieb im Schwimmbad vor, mit Türen klappern und einem Tonband, von dem lustiges Kindergeschrei tönt, obwohl in Wahrheit nur zwei oder drei Badegäste da sind. Eines Tages taucht die junge Eva mit ihrem Vater, einem ehemaligen Kapitän, im Schwimmbad auf, und natürlich verliebt sich Anton in sie. Doch das Glück hat kaum eine Chance: Antons böser Bruder Gregor reißt mit seinen Geschäftspartnern das letzte Wohnhaus der Gegend ab, und setzt nun alles daran, auch das Badehaus seines Vaters dem Erdboden gleich zu machen. Dazu ist jedes Mittel recht: Sabotage, Verleumdung, Mord. Es entbrennt ein Kampf um die Erhaltung des Schwimmbads, die Zuneigung von Eva, und um die wertvolle Maschine, die im Schwimmbad das Wasser beheizt.

Wer Veit Helmer ärgern möchte, der bezeichnet „Tuvalu“ als Schwarz/Weiß-Stummfilm, denn genau das ist er nicht, aber als genau das behält man ihn in Erinnerung. Die ursprünglich in Schwarz/Weiß gedrehten Filmrollen wurden auf Farbfilm kopiert, so daß jede Szene einen sehr matten Grundfarbton hat (gelb, grün, rot, blau). Was an der primär farblosen Optik nicht viel ändert. Stummfilm stimmt auch nicht, denn obwohl das Drehbuch weniger Dialogworte enthält als der Film Minuten lang ist (es wird hauptsächlich gesprochen, um den Charakteren ihre Namen zuzuordnen), hat er doch eine sehr detailliert ausgearbeitete Tonebene, die laut Regisseur mindestens soviel transportiert wie die visuellen Elemente. Also ein Fast-Schwarz/Weiß-Fast-Stummfilm.
Das klingt jetzt ein bißchen sarkastisch, ist nicht ganz so böse gemeint, aber dennoch ein Kritikpunkt: „Tuvalu“ ist als ein Experiment filmischer Erzählkunst sehr einfallsreich, durchaus interessant und komplex betrachtbar. Was fehlt ist eine Handlung. Der große Hitchcock, der Teil von Helmers Inspiration zu sein scheint, hat kaum einen Film gemacht, der nicht in gewisser Weise experimentell war oder mit mindestens einer Kinokonvention gebrochen hat: Die Hauptdarstellerin nach einer halben Stunde abstechen (Psycho), der Kamera einen Aktionsradius von drei Metern lassen (Das Fenster zum Hof), den Film ohne sichtbare Schnitte inszenieren (Cocktail für eine Leiche). Das alles waren waghalsige Experimente, aber sie gipfelten alle in Filme, die ihre Zuschauer primär durch ihre Handlung fesselten. Bei seiner ausartenden Experimentierfreude hat Helmer genau dies vergessen: „Tuvalu“ ist, strikt von der Handlung her, langweilig und einfallslos.
Die ganze Geschichte strotzt nur so von erzählerischen Allgemeinplätzen und Konflikt-Stereotypen: Der Kampf um die Gunst des Vaters, das Duell zweier Brüder um die Liebe eines Mädchens, die Überwindung der eigenen Ängste, der Konflikt zwischen Idealen und Geschäft, Lust, Betrug, Vertrauen, Mißtrauen, Existenzängste, Wunschträume. Alles wird so peinlich unsubtil zusammengepresst, daß man das Gefühl hat, Helmer hat sich einfach eines simplen Plot-Bausatzes bedient, alle Elemente verwurschtelt und dann seinen wahren Elan auf die kreative Umsetzung verwandt. Schade.

Die Suche nach den passenden Darstellern erwies sich auch deshalb als so schwierig, weil die Anforderungen natürlich enorm waren: Durch das vollständige Fehlen von Dialog muß alles über die Mimik transportiert werden, und das erfordert im klassischen Stummfilm-Sinne ausdrucksstarke Gesichter, die den entsprechenden Charakter selbständig definieren. So ist es denn auch: Ein Blick ins Antlitz der Darsteller reicht, um die grundlegenden Züge der Figuren vorhersehen zu können. Der Rest geschieht über ein expressives Mienenspiel, bei dem große Augen, offene Münder und faltige Stirnen Konjunktur haben. Stummfilm funktioniert nur über Over-Acting, auch wenn das heutzutage eigentlich ein Unwort ist.

„Tuvalu“ gehört zu den Filmen, die nur ein kleines, aber sehr dankbares Publikum finden. Manch einer wird sich ob der grandiosen Innovation der Inszenierung gar nicht mehr einbekommen, und die interpretativen Ebenen sind in ihrer Vielschichtigkeit ganz sicher atemberaubend. Dennoch hat Helmer die von Hitchcock erwähnte Zielsetzung verfehlt: Er hat dem Visuellen den Vorrang vor dem Dialog gegeben, aber dabei vergessen, eine vernünftige Geschichte zu erzählen. Man nenne mich altmodisch und reaktionär, aber für mich hat ein wirklich guter Film etwas mehr zu sagen als „Guck mal, wie toll ich aussehe.“ Was bleibt ist ein Film, den man sich gerne ansieht, aber nicht gerne guckt.


10
10/10

Für Daniel, fürs Verständnis ;)

Veit Helmer sagt:
"Der Film ist mein Kind, und ich habe das Gefühl,
dass es sehr verletzlich ist. Angst, dass es von seinen Klassenkameraden
gehänselt wird, weil es anders ist."

Für mich ein ungewöhnlicher Film voller nicht gewöhnlicher Situationen.
Der Film ist fast ohne Dialoge, allein das wunderbare Spiel der Darsteller hauchen ihm Leben ein und machen Tuvalu in jedem Land dieser Welt verständlich. Eine tragisch-komische Geschichte wird hier sehr charmant und kurzweilig erzählt.

Hinschauen ist hier gefragt und das nicht so wie manche Menschen in 3 Stunden Bücher lesen. Einfach mal hinschauen...

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10
10/10

Ich hab diesen Film vorgestern gesehen und war hingerissen.
Nach Art von "Charlie Chaplins" Filme, nur mal eine andere Art
und Thema.

Kann als Symbol für den Sieg der romantischen Liebe über
das rücksichtslose Fortschrittsdenken verstanden werden, auch wenn die zwei Liebenden sich am Ende ein neues Paradies suchen müssen!

Wer von diesem Film nicht gefesselt wird, hat sich von dem Filmniveau des Einheitsbreies der Großen im Filmgeschäft nicht erheben können.

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10
10/10

Durch Zufall bin ich am Samstagabend in "tuvalu" gelandet,
als ich mit meinem NUR italienisch sprechenden Freund das
dt. Fernsehprogramm nach Guckbarem durchsuchte.
Tuvalu war klasse! Praktische Völkerverständigung, viel Humor
und mal was ganz anderes!
Mehr davon!!!

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10
10/10

An Emy Mayking: Der Chor ist bulgarisch, der Film selbst wurde in Bulgarien gedreht.

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10
10/10

Ich kann mich da eigentlich nur anschließen, ich fand den Film absolut klasse! Einerseits ist das eine ernste Geschichte, andererseits ist er super lustig und super schön verfilmt!
Ich würd auch sagen: SOLCHE FILME SOLLTE ES VIEL ÖFTER GEBEN!

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10
10/10

Ich bin ja begeistert!
ich wußte ja nicht, daß es so viele Fans gibt! habe den Film vor ca.9 Jahren in einer Studentenkneipe gesehen. Begeisterung total! Fand nach 3 Jahren das Video und hab den Film ca. 10 mal gesehen.
Sagt doch alles, oder?
Ich muß aber gestehen, meine bessere Hälfte gehört zu den Gegnern.
Also entweder Lieben oder Hassen!

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9
9/10

Einfach ein schöner Film, voller Poesie, die in unserem Leben so oft fehlt!

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10
10/10

Das ist ein wahnsinnig toller Film, für ein kleines Publikum, aber extrem sehenswert. Unrichtig ist es zu behaupten, der Film habe keine Handlung oder sei langweilig. Natürlich hat dieser Film eine ausgearbeitete Handlung, er erzählt eine in sich stimmige Geschichte, nur eben mit völlig anderen Mitteln, als wir heute gewohnt sind.

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