Überall, nur nicht hier

Originaltitel
Anywhere but here
Land
Jahr
1999
Laufzeit
114 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
6
6/10
von Frank-Michael Helmke / 27. Dezember 2010

Eltern und Kinder haben sich noch nie richtig verstanden. Das ist bei Adele (Susan Sarandon) und Ann (Natalie Portman) August nicht anders. Und weil es immer einfacher ist, diese Probleme von Seiten der Kinder zu analysieren, ist auch Ann die Ich-Erzählerin in diesem Film, und nicht ihre Mutter. Natürlich kann Ann ihre Mutter nicht leiden, und natürlich wirft sie ihr vor, nur ihren eigenen Wünschen zu folgen, und natürlich behauptet ihre Mutter, nur das Beste für sie zu wollen. Das ist alles in allem absolut nichts Neues. Aber das ist auch nicht die Stärke dieses Films.
Ann und Adele ziehen aus einem kleinen Kaff in Wisconsin weg nach Los Angeles. Ann denkt, weil ihre Mutter eine Midlife-Crisis durchmacht, daher ihren Stiefvater sitzen ließ und wieder etwas Schwung in ihr Leben bringen will. Adele behauptet, weil sie nicht will, daß ihre Tochter in diesem Nichts von einer Stadt versumpft, mit einem Nichts von einem Job und einem Nichts von einem Leben. Wer schließlich recht hat, liegt im Auge des Betrachters.
Adele besorgt eine Wohnung in Beverly Hills. Nicht dem edlen Teil von Beverly Hills, aber es liegt noch im Postdistrikt, so daß Ann auf eine gute Schule gehen kann. Ihre Mutter hingegen nimmt einen Job an einer weniger gut betuchten Schule an, und so wird schnell klar, daß die Realität von Los Angeles nicht ganz so aussieht, wie sie es sich vorgestellt hat.
Was folgt ist ein langer Kampf zwischen Mutter und Tochter: Wie Adele versucht, die Träume zu realisieren, die sie für ihre Tochter hat (Schauspielerin werden, was sonst), wie Ann den Mut aufbringt, ihren Vater ausfindig zu machen (der die Familie verließ, als Ann vier Jahre alt war), wie Adele’s Träume und Visionen eine nach der anderen zerplatzen (wobei die Suche nach einem reichen Mann nur ein Aspekt davon ist), wie Ann versucht, sich endlich von ihrer Mutter zu lösen. Alles in allem ist das eine ganze Reihe extrem konventioneller Plotklischees, und kommt auch nicht sehr anders rüber. Die Wendungen sind vorhersehbar, jeder Schicksalsschlag noch eine Nummer dramatischer, und manch ein Zuschauer fühlt sich von dem permanenten Geheule ziemlich schnell genervt. Eins ist klar: Das Drehbuch ist mit Sicherheit nicht der beste Teil von „Überall nur nicht hier“. Einige kleine Ideen sind sehr hübsch eingefügt, beispielsweise Ann’s Geschichte über eine recht außergewöhnliche Kontaktanzeige, die sie mal aufgegeben hat, oder eine sehr elegante und sympathische Anmache, mit der sie sich konfrontiert sieht. Aber im Großen und Ganzen ist die Geschichte völlig unspektakulär: Dem Film mangelt es komplett an echten Höhepunkten, die Handlung plätschert vor sich hin, ohne jemals wirklich einzuschlagen und den Zuschauer zu packen.
Das ist schade, denn ansonsten hat der Film einiges für sich: Susan Sarandon hat die undankbarere Hauptrolle, weil sie von der Ich-Erzählung permanent in die passive Position gedrängt wird, aber durchaus in der Lage ist, dieses auch genau so zu präsentieren. Sie ist das beobachtete Objekt in diesem Film, und ist sich dessen absolut gewahr. Natalie Portman hingegen beweist erneut, daß von ihr in Zukunft noch viel zu erwarten ist. Wer in so jungen Jahren schon so beeindruckende Vorstellungen abliefert (man denke nur an „Leon – der Profi“ oder „Beautiful girls“), der hat mit Sicherheit eine ganz große Karriere vor sich. Darstellerisch gibt es keinen Grund zur Beschwerde.
Auch Wayne Wang weiß mit seinen Charakteren sehr gut umzugehen: Die eindrucksvollsten und aussagekräftigsten Szenen in „Überall, nur nicht hier“ leben von einer subtilen, aber ideenreichen Inszenierung, die erläuternde Dialoge überflüssig macht. Wenn Ann beispielsweise nach ihrem ersten Frühstück in L.A. auf die Straße tritt, eine ganze Reihe Zeitungsboxen und sechs Spuren Autos sieht, dann braucht ihre Mum nicht zu fragen, warum sie weint. Es ist für sie wirklich nicht einfach, von heute auf morgen in eine Großstadt zu ziehen, mal ganz abgesehen davon, daß sie es nie wollte. Es gibt weitere, ähnlich kraftvolle Szenen, die im Prinzip die komplette Aussage des Films alleine tragen, und Ann’s Schlußmonolog eigentlich überflüssig machen. Auf jeden Fall kann man „Überall, nur nicht hier“ nicht den Vorwurf machen, der Regisseur hätte nicht sein bestes gegeben. Aber bei einer eher durchschnittlichen Vorlage ist das oft nicht genug.
Es hat schon zahlreiche Mutter/Tochter-Dramen gegeben, und „Überall, nur nicht hier“ zählt sicher nicht zu den besten. Das liegt auch und vor allem daran, daß der Film es nicht schafft, neue Konflikte zu entwickeln oder wenigstens den alten neue Facetten abzugewinnen. So bleibt der vielzitierte „emotional impact“ die meiste Zeit auf der Strecke und damit auch die Begeisterung des Zuschauers. Ironischerweise vergleicht Adele die Beziehung ihrer Tochter an einer Stelle mit „Zeit der Zärtlichkeit“ und erinnert so schmerzlich daran, was für brillante Filme schon über dieses Thema gemacht wurden. Nicht nur das: „Zeit der Zärtlichkeit“ ist zu einem Bestandteil der amerikanischen (Pop-)Kultur geworden, der in anderen Filmen namentlich zitiert wird. „Überall, nur nicht hier“ wird das ganz sicher nicht gelingen.


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