Filmszene-Special: Interview mit "American Honey"-Regisseurin Andrea Arnold und Hauptdarstellerin Sasha Lane

von Volker Robrahn / 12. Oktober 2016

honey 0Ihr erster in den USA gedrehter Film ist eine Überraschung: Mit dem 164 Minuten langen Road-Movie „American Honey“ gewann die britische Filmemacherin Andrea Arnold („Fish Tank“) dann auch prompt den Spezialpreis der Jury bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes. Zusammen mit der von ihr entdeckten Hauptdarstellerin Sasha Lane besuchte Arnold auch das Filmfest Hamburg und anschließend trafen sich Beide mit Filmszene zum Interview.

Andrea Arnold: Es ist Sonntag und es regnet. Eklär mir doch mal, warum es in Hamburg eigentlich immer regnet.

Filmszene: Na ja. Hamburg nimmt ja für sich in Anspruch die „britischste“ Stadt Deutschlands zu sein. Und da muss sich dann halt auch das Wetter ähneln… Dein neuer Film spielt allerdings in der Sonne Amerikas. So wie ich es verstanden habe, habt Ihr dabei selbst – ähnlich wie die Magazine-Crew im Film - wochenlang in billigen Motels gelebt und die Gegend entlang der Straße sehr genau kennengelernt. Wie stark spiegelt „American Honey“ daher auch den persönlichen Blick von Andrea Arnold auf Amerika wieder?

Andrea Arnold: Nun, es muss zwangsläufig zu einem guten Teil mein persönlicher Blick sein, da es nun mal mein Film ist. Ich war schon immer sehr neugierig auf Amerika, bin mit der amerikanischen Popkultur und deren Filmen aufgewachsen. Wobei ich mir als Kind nie hätte vorstellen können dort überhaupt mal hinzukommen. Das Land jetzt sogar zu einem Teil erforschen zu können ist deshalb eine sehr aufregende Sache und ich bin sehr glücklich dass ich das machen konnte. Ich hatte zwar auch vorher Freunde In New York und anderswo, aber das hier war doch nochmal etwas völlig anderes. Ich kann eigentlich keinen Film machen, wenn ich die Geschichte nicht wirklich „fühle“ und deshalb war es notwendig selbst diese „Road Trips“ zu machen, einfach um eine Verbindung herzustellen.

Sasha, ist es Andrea denn Ihrer Meinung nach gelungen, das Land und die Umstände richtig einzufangen?

Sasha Lane: Ja, das denke ich schon. Ich bin selbst in diesem Teil Amerikas aufgewachsen, also glaube ich das auch beurteilen zu können. Als jemand der von außen kommt muss man schon Einiges neu lernen, denn das Leben in den Midlands ist ganz anders als in den großen Städten an den Küsten. Aber die „Outsider“ haben viel Respekt gezeigt und sind in ihrer Darstellung fair geblieben, meine ich. Es ist ein sehr guter Blick auf das Land und die aktuelle Situation, definitiv.

Ich war doch sehr erstaunt von diesem „Geschäftszweig“, bei dem junge Leute als Zeitschriftenverkäufer durchs Land ziehen. Wie verbreitet ist das denn und lohnt es sich wirklich?

arnold 1Andrea Arnold: Das ist auch genau das was mich so fasziniert und mein Interesse geweckt hat. Diese Gangs von Jugendlichen fahren einfach los und versuchen ihre Hefte zu verkaufen. Die Leute kommen von überall her, rotten sich zusammen und leben ihren ganz persönlichen amerikanischen Traum. Und obwohl es eine sehr kleine, eigene Welt ist reflektiert sie doch ziemlich genau den größeren Rahmen, in dem es im Grunde genauso zugeht– nur natürlich oft mit anderen Summen. Die Auflagen von Zeitschriften und anderen Druckerzeugnissen gehen zwar seit Jahren zurück, aber das ändert nichts daran, dass es nach wie vor Massen von Jugendlichen gibt, die davon leben. Als wir im Mittelwesten nach Drehorten suchten, haben uns die Bewohner erzählt, dass diese Kids ständig bei ihnen an der Tür klingeln würden. Und das funktioniert deshalb, weil man letztlich gar nicht die spezielle Zeitschrift kauft sondern einfach die Leute unterstützen möchte, die sie anbieten – wenn die sympathisch und überzeugend auftreten.

Sasha, was hast Du durch dieses Filmprojekt noch über diesen Teil deines Landes gelernt?

Sasha Lane: Nichts, ich wusste bereits alles. Das ist ja der Grund weshalb ich so begierig darauf war jetzt so etwas wie diesen Film zu machen. Von dem Leben das darin gezeigt wird war ich jahrelang umgeben und kannte es, aber es war mir wichtig, dass auch dieser Teil Amerikas mal präsentiert wird, dass die Leute ihn zu sehen bekommen.

Was war denn der Moment, an dem für Dich klar wurde „ja, ich möchte diese Rolle unbedingt spielen“? Und möchtest Du jetzt dauerhaft im Filmgeschäft bleiben, mit dem Du vorher ja nichts zu tun hattest?

Sasha Lane: Ganz am Anfang war da eher der Gedanke, dass ich so etwas wie diese Geschichte gerne im Kino sehen möchte. Die Aussicht, sogar ein Teil davon zu sein war natürlich noch aufregender. Während des Drehs habe ich dann sehr schnell dieses „Wow“-Gefühl bekommen und festgestellt, dass ich das unheimlich gerne mache. Auch die Reaktion der Leute jetzt ist spannend und ich bin schon ein wenig stolz darauf. Was die „Filmindustrie“ angeht, so ist es ganz klar mein Ziel, es etwas anders anzugehen, es auf eine sehr persönliche und ehrliche Art zu betreiben. Für mich ist es jedenfalls kein „Geschäft“ und sollte auch nicht als solches betrachtet werden. Es bedeutet mir aber sehr viel und deshalb bin ich hier. 

sasha 1Wie viel von der Filmfigur „Star“ steckt in Sasha Lane?

Sasha Lane: Ich bin ihr schon sehr, sehr ähnlich. Das hat natürlich auch eine große Rolle gespielt, dass ich mich meiner Figur so stark verbunden gefühlt habe. Und ich glaube auch, dass wenn ich mich so stark mit ihr identifizieren kann, es vielen Zuschauern genauso geht und sie beim Anschauen des Filmes laut ausrufen „das bin ich!“.

Wenn ein Film mehr als 160 Minuten läuft, denkt man oft reflexartig „Oh, das ist aber ein Statement, hier möchte der Regisseur etwas aussagen. War von vornherein klar wie lang der Film werden wird oder hat sich das einfach während der Dreharbeiten ergeben?

Andrea Arnold: Die Diskussionen rund um die Länge von Filmen sind schon sehr interessant. Es gib ja tatsächlich meist einen gewissen Druck, dass man eine bestimmte Laufzeit lieber nicht überschreiten sollte. Was ich ziemlich albern finde, denn warum sollte es da feste Regeln geben? Und es wird immer Leute geben, für die der Film tatsächlich zu lang ist, aber die würden das auch schon bei zwei Stunden Laufzeit sagen. Was „American Honey“ angeht, so denke ich, dass die Länget eine Reflektion auf die unverfälschte Reise ist, die wir zeigen. Es hat auch damit zu tun, dass ich viele verschiedene Typen im Film zeigen wollte und dass die zu ihrem Recht kommen. Das ist mir tatsächlich wichtiger als irgendwelche vermeintlichen Regeln einzuhalten.

Sasha Lane: Es kommt auf die Einstellung an, mit der man in den Film geht. Am besten einfach entspannen, sich zurücklehnen und sich von der Geschichte mit auf die Reise nehmen lassen – dann achtet niemand mehr auf die Zeit.


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