Herzlichen Glückwunsch, Mumpitz-Praktizierende Alberne Ahnungslose (MPAA) - Eine Jubiläumsbilanz

von Simon Staake / 18. Juli 2011

Bringt die Kerzen und den Champagner, Filmfreunde, denn seit nunmehr 40 Jahren beglückt uns das Ratings Board der "Motion Picture Association of America" (MPAA) nun mit intelligenten und nachvollziehbaren Bewertungen und Altersfreigaben, die oftmals über Wohl und Weh eines Films und seines minderjährigen Publikums entscheiden. Denn was liegt zwischen einem frisch zeugungsfähigen Jüngling und einem Paar nackter Brüste auf der Leinwand, außer der MPAA und ihrer Alterseinstufungen. PG 13, R, NC-17 - diese Begriffe sagen leider auch hierzulande immer mehr Leuten etwas, weil sich Filme hinten und vorne verbiegen müssen, um den strengen Vorlagen der MPAA zu genügen. Fremd- und Selbstzensur, kompromittierte künstlerische Anliegen, Ausschluss des Zielpublikums, frustrierte Regisseure und Filmemacher, frustriertes Publikum, Schnittmuster ohne Wert - all dies hat man nun schon gesehen, alles auf der Suche nach dem heiligen Gral des amerikanischen Massenkinos: das PG 13-Rating, das auch die zahlungsfreudigen Teenagerjungs ins Kino lässt ("PG 13" bedeutet, dass Zuschauer über 13 Jahren ohne Begleitung eines Erziehungsberechtigten den Film besuchen dürfen). Für die etwas raueren Action- und Gewaltstreifen bleibt das Ziel jeder Selbstverstümmelung das R-Rating (bei dem Jugendliche unter 17 Jahren einen Erziehungsberechtigten als Kino-Begleitung brauchen), damit man bloß nicht für einen Pornofilm gehalten wird - denn in der öffentlichen Wahrnehmung kriegen nur solch unzüchtige Streifen das böse NC-17 Rating, das generell niemandem unter 17 den Kinoeintritt gewährt. Nur das böse Wort "Zensur" darf natürlich nicht fallen, schließlich geht es hier ja - wie beim deutschen Äquivalent der FSK - um "freiwillige Selbstkontrolle". Im Klartext: Wir zensieren, bevor es andere tun.

Die Geburt der MPAA vor 40 Jahren war daher auch äußerst begrüßenswert als eine einzige Instanz, der man Filme zur Prüfung vorlegte. War es doch vorher notwendig, den jeweiligen Film Dutzenden regionaler Institutionen - die meisten von ihnen kirchlich oder rechtskonservativ-politisch - vorzulegen, um dann zu sehen, wie jene eigenmächtig Filme verboten, verbannten oder per Zensurschnitt vermurksten.
Leider hat sich aber die MPAA seitdem einen Ruf für immer absurdere Entscheidungen und Richtlinien erarbeitet, die gerade heute schwer nachzuvollziehen sind. Wer mehr über die Vorbehalte der MPAA gegen "abnorme" (Zitat) Inhalte erfahren will, sollte sich Kirby Dicks Dokumentation "This Film is Not Yet Rated" ansehen, der die Scheinheiligkeit und Verlogenheit der MPAA in drastischem Maße vorführt.
Hier wird etwa klar, dass schwuler Sex viel viel schlimmer ist als heterosexueller, und folglich statt einem R-Rating grundsätzlich das den kommerziellen Tod bedeutende NC 17-Rating bekommt. Auch der fragwürdige Umgang mit Gewaltdarstellungen wird angesprochen, der ja oft für Fans der Horror- und Action-Genres fatale Folgen hat. Die Zahl der ursprünglich als R geplanten und dann für ein kassentauglicheres PG-13

Rating verwässerten und oftmals stümperhaft geschnittenen Filme im Horror- und Actionbereich ist riesig. Und ironischerweise haben die Finanzjongleure in Hollywood dank des florierenden DVD-Markts sogar noch Wege gefunden, mit ihrer Selbstzensur zusätzlich Kasse zu machen - indem man mit nachgeschobenen "Director's Cuts" oder "Unrated"-DVDs die enttäuschten Genre-Fans für ein paar Sekunden mehr Film noch mal extra zahlen lässt. Die Leidtragenden bleiben Kinofreunde auf der ganzen Welt, denn die kriegen auf der Leinwand eben auch nur die prüden Resultate der US-Moral-Heuchelei vorgesetzt.

Der fast schon absurde Umgang der filmindustriellen Selbstzensur mit den zwei großen Reizthemen Sex und Gewalt funktioniert in den USA dabei genau verkehrt herum als hierzulande. Während man in Deutschland mit nackten Tatsachen wenig Probleme hat, mit exzessiver Gewalt aber schon, funktioniert es in den USA umgekehrt. Da wird millimetergenau um Brustwarzen und Pobacken herum geschnitten und -gefilmt, und profanes Vokabular - so realistisch und authentisch es auch sein mag - ist im Prinzip genauso schlimm. Wie sehr man diese Prüderie übertreibt, davon kann vor allem Independent-Regisseur Kevin Smith ein Lied singen, oder besser: ein ganzes Album.

Der Kampf mit der MPAA um die Bewertung seines Erstlings "Clerks" schuf Mitte der 1990er einen historischen Präzedenzfall, als dem Film ein NC-17 Rating einzig aufgrund der sehr expliziten Dialoge drohte - den Sittenwächtern wurde hier entschieden zuviel geflucht. Dass sich in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten grundsätzlich nichts geändert hat, zeigte jüngst die lächerliche Debatte um Smiths neuen Film "Zack and Miri make a Porno". Allein das Wort "Porno" im Titel ist für manchen Moralapostel der MPAA offenbar schon Grund genug, rot anzulaufen, und so wurde ein zwar provokantes, an sich aber völlig harmloses Poster zensiert und auch in mehreren Anläufen nicht zugelassen. Smith nahm's mit Humor und karikiert nun auf dem offiziellen Poster mit liebevollen Strichmännchen die absurde Entscheidung der MPAA. Wie auch im Falle von "Clerks" dürfte Smith die Gratispublicity kaum geschadet haben.

Ärgerlich bleibt aber nicht nur die Scheinheiligkeit, mit der dort gearbeitet wird, sondern auch die Willkür und Ungerechtigkeit der Entscheidungen, die mehr als deutlich vom schnöden Mammon geleitet werden. Dass etwa Independentfilme viermal häufiger harte Ratings bekommen als Studioproduktionen hat denn auch nur bedingt mit dem Inhalt zu tun. Denn die MPAA wird natürlich von niemand anderem finanziert als den großen Filmstudios selbst, und die Hand die einen füttert, beißt man nicht. Man nagt allerhöchstens spielerisch am kleinen Finger. Und so kommen von großen Studios finanzierte Filme wie der Folter-Porno "Hostel" (der, ebenso wie die für ihre Gewalt-Exzesse berühmt-berüchtigte "Saw"-Reihe, unfassbarer Weise ein R-Rating bekam) mit Dingen davon, die bei kleineren Filmen von kleineren Studios sofort der Schere zum Opfer fallen.
Wie sehr man sich der Starpower und dem großen Geld Untertan macht, zeigen zwei Superheldenfilme dieses Jahres. "Hancock" und "The Dark Knight" waren Filme, deren Inhalt eigentlich schon über das PG-13 Rating hinausgeht, deren Budgets in dreistelliger Millionenhöhe aber keine andere Bewertung zuließen, um ihnen nicht von vornherein die Chance zur Refinanzierung an der Kinokasse zu nehmen. Offenbar findet es die MPAA okay für die Jugend, dass in "Hancock" der Titelheld dutzende Male als Arschloch bezeichnet wird und jemandem androht, er werde seinen Kopf in den Arsch eines anderen stecken, was dann auch prompt - natürlich abseits der Kamera - passiert. Und "The Dark Knight", dessen Gewaltszenen wirkten wie um ein PG-13 Rating herum geschnitten, verströmte auch ohne fließendes Blut eine solch brutale Atmosphäre, dass ein ähnlich gelagerter Independentfilm mit allerhöchster Sicherheit ein R-Rating bekommen hätte.

Vollends lächerlich machte sich die MPAA mit einem weiteren Superheldenfilm, dem für März 2009 anstehenden "Watchmen". Man beanstandete den Trailer, weil in einer Einstellung von weniger als einer Sekunde (!) eine Figur eine Waffe frontal in die Kamera richtet, was laut MPAA-Statuten verboten ist. Offensichtlich eine Regel, die sich noch aus den Anfangstagen der Filmkunst nährt, als das Publikum beim "Großen Eisenbahnraub" (1903) in Panik verfiel, als ein Cowboy von der Leinwand sozusagen ins Publikum schoss. Dass seitdem ein Jahrhundert vergangen ist und heutige Kinozuschauer längst nicht mehr dem Irrglauben verfallen, dass tatsächlich etwas aus der Leinwand herauskommen könnte, scheint die MPAA geflissentlich zu ignorieren.
Eine alberne Regel, die nochmals verdeutlicht, wie weltfremd und die Intelligenz des Publikums beleidigend die MPAA mit den ihnen vorgelegten Filmen umgeht. "Watchmen"-Regisseur Zack Snyder nahm den peinlichen Vorbehalt immerhin mit Humor - und änderte die Waffe per CGI nachträglich in ein Walkie Talkie um. Genauso wie einst Steven Spielberg, der bei der Jubiläums-DVD-Auflage von "E.T." alle Waffen im Film durch Funkgeräte ersetzen ließ, um seinen Klassiker noch ein bisschen familienfreundlicher zu machen. Mit digitaler Tricktechnik ist heutzutage halt fast alles möglich. Nur schade, dass man nicht auch die MPAA und ihre skandalösen Entscheidungen einfach am Computer entfernen kann. Vielleicht in den nächsten 40 Jahren…. (14.11.2008)


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