Sunset Boulevard

Originaltitel
Sunset Blvd.
Land
Jahr
1950
Laufzeit
110 min
Genre
Regie
Bewertung
von Frank-Michael Helmke / 20. Juni 2010

Hollywood-Filme über Hollywood sind so selten, wie sie gut sind. Mit jedem Streifen, der einen kritischen, zynischen Blick hinter die glänzenden Fassaden der Traumstadt wirft, kommt ein Schwung Anekdoten daher über Leute, die die Produktion verdammten und verhindern wollten. Hollywood als Institution ist abhängig von der Illusion immerwährender Glückseligkeit: Wer es hier zu etwas bringt - so muss das breite Publikum neidvoll glauben - lebt das Leben, von dem wir nur träumen können. Dass auch Hollywood eine Kehrseite hat, wird systematisch verschwiegen und unter den Teppich gekehrt, und so ist der Aufruhr bei Filmen wie z.B. Robert Altmans "The Player" groß, der den Glamour mit einer Hand hinweg fegt, während die andere bereits in kräftigen Strichen die emotionslose Schacherei hinter den Kulissen aufdeckt. Hollywood-Filme über Hollywood sind selten, weil es genug Mächte in der Stadt der Träume gibt, die sie verhindern wollen, und so gut, weil sie sich einer Welt annehmen, die in ihren verborgenen Funktionsweisen noch faszinierender ist als ihre öffentlichkeitswirksame Oberflächenpolitur.

Den Gipfel der Hollywood-Filme über Hollywood bildet unbestreitbar "Sunset Boulevard" von Billy Wilder, einem der größten und ganz sicher vielseitigsten Regisseure aller Zeiten, der Klassiker oberster Kategorie in einem halben Dutzend grundverschiedener Genres ablieferte. Veröffentlicht im Jahr 1950 kam "Sunset Boulevard" einem nie da gewesenen Skandal gleich, denn Wilder wagte einen Blick auf etwas, was die Großen von Hollywood aus guten Gründen am liebsten tot geschwiegen hätten: Das Schicksal vergessener Stars, von der Unterhaltungsmaschine benutzt, hochgejubelt, gemelkt, ausgespuckt und verdrängt. Hollywood macht seine Stars nicht nur reich und berühmt. Es macht sie auch kaputt - und manchmal sogar wahnsinnig.
Der alternde Star in "Sunset Boulevard" heißt Norma Desmond (Gloria Swanson). Zu Zeiten des Stummfilms eine der großen Damen der Leinwand, verlor die Filmindustrie mit dem Beginn des Tonfilms das Interesse an Norma und ihrem überdramatischen Spiel, und vergessen von der realen Welt und abgeschottet in ihre eigene Illusion ewigen Ruhms lebt Norma nun - allein mit ihrem Butler Max (Erich von Stroheim) - in einem zerfallenden Anwesen am Rande Hollywoods. Den erfolglosen Drehbuchautor Joe Gillis (William Holden) verschlägt es nur ganz zufällig auf das verfallende Anwesen dieser vergessenen Diva, und ähnlich zufällig bleibt er länger als geplant - als Desmond von seinem Beruf erfährt, engagiert sie ihn für die Überarbeitung ihres selbstverfassten Comeback-Skripts. Das ist natürlich eine einzige Katastrophe, doch Gillis nimmt den Auftrag an, um den erbarmungswürdigen Ex-Star um ein paar arg benötigte Dollar zu erleichtern. Doch das Spiel dreht sich schnell herum: Immer weiter lässt sich Gillis von der ebenso charismatischen wie irrsinnigen Leinwandgröße in ihr bizarres, privates Universum einspannen und wird schließlich zu ihrem Spielball und Liebhaber - eine Rolle, aus der er sich kaum wieder befreien kann, ohne eine Katastrophe herbei zu führen.

"Sunset Boulevard" ist durchsetzt mit hochbrisanten Parallelen zur Realität, die letztendlich entscheidenden Anteil an der Explosivität des Stoffes hatten. So ist das Schicksal von Hauptdarstellerin Gloria Swanson beinahe deckungsgleich mit dem der fiktiven Norma Desmond - ein ehemaliger Stummfilmstar, der in der Ton-Ära kaum noch Engagements erhielt und von Fans und Produzenten vergessen einer großen Karriere nachtrauerte (als Norma Desmond an einer Stelle den legendären Regisseur Cecil B. DeMille besucht, trifft damit auch Gloria Swanson erneut auf den Inszenator ihrer größten Triumphe). Umso erstaunlicher und bewundernswerter Swansons unglaubliche Leistung in dieser Rolle, die wohl zu den schwierigsten Parts gehört, die einem Darsteller je abverlangt wurden: Eine Schauspielerin spielt eine Schauspielerin, für die die Grenzen zwischen Leben und Vorstellung so stark verschwommen sind, dass all ihre Reaktionen wiederum wie gespielt wirken, mit der besonderen überzeichneten Theatralik des Stummfilms. Eine Rolle von extremer Vielschichtigkeit, die Swanson mit grandioser Bravour meisterte - und so sich selbst das Denkmal setzte, dass ihr die undankbare Hollywood-Maschinerie verwährt hatte.
Fast noch brisanter jedoch war die Besetzung ihres Butlers und ehemaligen Regisseurs Max von Mayerling mit dem deutschen Regisseur Erich von Stroheim: Wie so viele seiner kreativen Kollegen in den 30ern vor den Nazis nach Amerika geflüchtet, war Stroheim verantwortlich für einige der größten Meilensteine der Stummfilm-Ära - und bekam mit Einsetzen des Tonfilms keine Aufträge mehr. Vergessen und ausgestoßen verdingte er sich über Jahrzehnte als Darsteller klischeehafter Nazi-Rollen in niveaulosen B-Filmen - eine nicht enden wollende Beleidigung für eines der größten Talente seiner Zeit. Wenn Stroheim als Max sagt: "Damals gab es drei Regisseure, denen man eine große Zukunft zutraute: Cecil B. DeMille, D.W. Griffith - und mich", dann geht die Trennlinie zwischen Fiktion und Wirklichkeit vollends verloren - denn die beiden Erstgenannten sind in der Tat in allen Filmgeschichtsbüchern festgeschrieben als die Großmeister ihrer Ära, während Stroheim als vergessenes Genie zusehen musste, wie andere den Ruhm einkassierten. Aus seiner Vorstellung in "Sunset Boulevard" spricht so viel Bitternis, so viel stille Verzweiflung, das es beizeiten kaum zu ertragen ist.
Dieser Film tut weh, gerade weil er so grausam nah an der Realität ist. Fast schon beiläufig wird eine Szene von Norma Desmonds Bridge-Runde eingestreut, eine kleine Versammlung ehemaliger Stummfilmstars, die Gillis verächtlich als "Wachsfiguren" bezeichnet. Dass einer der dort Versammelten die Komödien-Legende Buster Keaton ist, der in den jungen Jahren des Films quasi im Alleingang den Grundstein der Situationskomik legte, verdeutlicht mit einem kleinen Seitenhieb nochmals die erbarmungslose Härte, mit der alte, verdiente Stars in die Nichtbeachtung abgeschoben werden. Ein Antiserum gegen den schönen Glanz der Traumfabrik, wie es wirksamer kaum sein kann. Und gerade deshalb damals solch ein rotes Tuch für System-Giganten wie den Studioboss Louis B. Mayer (von Metro-Goldwyn-Mayer), der sich nach einer Preview des Films echauffierte, wie es sich dieser Mr. Wilder erlauben kann, die Hand zu beißen, die ihn füttert. Woraufhin der in der Nähe stehende Regisseur antwortete: "Mr. Mayer, I'm Mr. Wilder, and you can go and fuck yourself."
In einem weiteren Subplot greift Wilder ebenfalls die verlogene Hollywood-Maschinerie an: In der Figur der Betty Schaefer - eine ambitionierte Drehbuchlektorin, die mit Gillis' Hilfe ihr erstes eigenes Skript verfassen will - bündelt Wilder den Idealismus der wenigen Kreativen Hollywoods, die wirklich noch gute, besondere Filme machen wollen. Gillis' lapidarer Kommentar "Ah, you're one of those ‚Message' kids" verdeutlicht die Desillusionierung des alten Hasen, der schon lange verstanden hat, dass es so nicht läuft. Verkaufen kann man nur die einfachen, konformistischen Schema-Storys, und aufrechte, herzensgute Menschen wie Betty werden in Hollywood doch nur ausgenutzt und kaputt gemacht. Schöne, heile Scheinwelt.
Inhaltlich bereits eine Abrechnung bitterer Härte und Brillanz, schwingt sich "Sunset Boulevard" schließlich in seiner Gestaltung zu einem wahren Geniestreich auf: Beginnend mit dem berühmten Tracking-Shot zur Eröffnung, der am titelgebenden Straßenstein anfängt und bei einer Leiche im Swimmingpool endet, erweist sich "Sunset Boulevard" als minutiös durchkomponiertes Gesamtkunstwerk, in dem die Gestaltung der Räumlichkeiten von Norma Desmonds Anwesen und die Beleuchtung und Inszenierung von ihr selbst mindestens ebenso viel zur Zeichnung der Geschichte beitragen wie die Story selbst. Der latente bedrohliche Gothic-Look des gesamten Hauses sorgt, kombiniert mit der geradezu vampirhaft erscheinenden Norma (die quasi nicht nur bildlich gesprochen das Leben aus Holden aussaugt), für ein stetes, leichtes Schaudern und weiß die bizarr-morbide Stimmung des Casa Desmond umso spürbarer umzusetzen. Bis hin zur wahrlich legendären Schlusseinstellung mit Norma Desmonds Abschiedssatz "Mr. DeMille, I'm ready for my close-up", der den Zuschauer in seiner kühlen Konsequenz ein letztes Mal erschauern lässt.

"Sunset Boulevard" mag ein Zeugnis über die Unmenschlichkeit des Hollywood-Systems sein, gleichzeitig ist es aber auch ein trauriges Denkmal an die großen Zeiten der Traumfabrik. Filme wie dieser werden heutzutage nicht mehr gemacht. Nicht nur, weil es sich keiner mehr traut, sondern auch, weil niemand mehr weiß, wie es geht. Oder, wie Norma Desmond selbst konstatiert, als Gillis bei ihrer ersten Begegnung meint "You used to be in silent pictures. You used to be big": "I *am* big. It's the *pictures* that got small."

 

 

 


ein unvergleichliches dokument mit der sich gloria swanson ein denkmal setze. aber auch eine dankbare rolle für große schauspielerinnen: die leistung von glenn close in der musical fassung von sunset boulevard ist mit derjeniger der swanson ebenbürtig.

Permalink

10
10/10

Vielen Dank, für den Tip! Der Film ist wirklich sehr gut.

Permalink

10
10/10

Einer der besten Filme aller Zeiten! Ein Muss für jeden "noir-Film"-Fan!

Permalink

9
9/10

Ich habe diesen Film für meine Abschlussarbeit verwendet. Ein wirklich gelungenes Exemplar der Film Noir-Ära. Ein sehenswerter Klassiker, der endlich mal Hollywood aufs Korn nimmt und die Realität, oder eine wahrscheinliche Realität des damaligen Filmbusiness', darstellt. Man merkt, nichts hat sich gross verändert. Auch früher war mehr Schein als Sein. Ein sehr aufschlussreicher Film.

Permalink

10
10/10

mein absoluter lieblingsfilm, einfach genial in jeder hinsicht.

Permalink

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Aufgabe prüft, ob du menschlich bist um Bots zu verhindern.