Defendor

Originaltitel
Defendor
Land
Jahr
2010
Laufzeit
97 min
Genre
Bewertung
von René Loch / 16. November 2010

Nennen wir sie mal simplifizierend "Trailer-Menschen". Ihre Aufgabe ist es, so viele Zuschauer wie möglich ins Kino zu locken. Das schaffen sie einerseits, indem sie die besten Witze, Effekte und Wendungen eines fertigen Films kompakt in zwei Minuten verbraten, und andererseits durch vorsätzliche Täuschung. Da wird aus Shyamalans Mystery-Drama "The Village" mal eben ein Monster-Horrorfilm, aus Tarantinos dialoglastiger Kriegs-Farce "Inglourious Basterds" ein inoffizieller "Kill Bill Vol. 1"-Ableger und aus "Defendor", dem Erstlingswerk des bislang wenn überhaupt nur als Darsteller bekannten Peter Stebbings, ein blutärmeres "Kick-Ass"-Rip-Off. Irgendwo aber auch verständlich - lockt so ein Action-Unfug doch sicher mehr Leute an als das, was "Defendor" ja eigentlich ist.

Zunächst einmal ist der Defendor (Woody Harrelson) ein Superheld, zumindest nach eigener Auffassung. Er lebt hinter einer Defendoor, fährt einen Truck mit Defendog vorne dran und sagt den Schurken in der Stadt den Kampf an. Mit Murmeln, Bienenschwarm, Zitronensäure und markigen Onelinern bewaffnet zieht er nachts los und kommt meist mit mehr Glück als Verstand glimpflich, manchmal sogar siegreich davon. Zwangsläufig gerät er jedoch irgendwann einmal an die Falschen und wird dabei übel zugerichtet. Die junge Prostituierte Kat (Kat Dennings, "Nick & Norah") nimmt sich seiner an und begleitet ihn nach Hause. Dort lernt sie den Mann hinter der Maske kennen: Arthur Poppington, einen Arbeiter beim Bau mit einem IQ von unter 80, dessen Mutter, ebenfalls eine Prostituierte, während seiner Kindheit spurlos verschwand. Seitdem macht er Jagd auf Freier und Zuhälter, und ganz besonders auf Captain Industry - Erzfeind von Defendor und unter diesem Namen auch nur in Arthurs Phantasie existent. Mit einer Mischung aus Mitleid und Eigennutz beschließt Kat, ihm zu helfen, und führt ihn auf die gefährliche Spur von "Captain Industry".

Somit sollte auch geklärt sein, worum es sich bei "Defendor" definitiv nicht handelt: um launigen Action-Spaß. Mögen die ersten Minuten, in denen der lausige Batman-Verschnitt durch Mülltonnen kriecht und Murmeln auf Bösewichte schießt, noch diese Richtung andeuten, so wird spätestens ab dem Zeitpunkt, wo Defendor erstmals die "Maske" fallen lassen muss, klar, dass es sich bei der Hauptfigur um ein ziemlich armes Würstchen und demzufolge bei diesem Film auch um alles andere als einen locker-flockigen Klamauk handelt.
Von Gegnern und Polizisten verlacht, von seinen wenigen Freunden bemitleidet und von seiner ihm zugewiesenen Psychiaterin (Sandra Oh, "Grey's Anatomy") ernsthaft besorgt beobachtet - das ist der wahre Defendor. Ein Mann auf dem geistigen Level eines Kindes, der selbst gar nicht mitbekommt, dass er kein Superheld, sondern eine Lachnummer ist. Endgültig das Lachen im Halse stecken bleibt dem Zuschauer jedoch, wenn Defendor so richtig brutal auf die Fresse bekommt und ihm die Zähne rausfliegen. Und das ist beileibe nicht das Schlimmste, was ihm im Laufe des Films widerfährt.

Leider scheitert dieser vielversprechende Ansatz ein wenig daran, dass sich Autor und Regisseur Stebbings nicht so recht entscheiden kann, ob er sich einfach nur hemmungslos über diesen Trottel lustig machen möchte (also extrem schwarzer Humor) oder ob er vom Zuschauer Mitleid ob dieses tragischen Charakters erwartet. Im Endeffekt ist es wohl eine Mischung aus Beidem. Das muss natürlich nicht grundsätzlich schief gehen (siehe "Adams Äpfel", in dem Mads Mikkelsen eine ähnlich lächerlich-bemitleidenswerte Figur verkörperte), hier trifft Stebbings aber einfach nicht den richtigen Ton. Einige Gags sitzen zwar richtig gut, doch der sporadisch-latente Druck auf die Tränendrüse ist schon allein deshalb nicht von Erfolg gekrönt, weil die Charakterzeichnung viel zu oberflächlich und schablonenhaft bleibt. Zudem kommt bei der zentralen Krimi-Story niemals ernsthaft Spannung auf und fallen Stebbings generell auch keine sonderlich bemerkenswerten inszenatorischen Ideen ein.

Das klingt nun vielleicht schon wieder schlimmer als es wirklich ist - denn letztlich scheitert "Defendor" bloß am eigenen Anspruch, nämlich daran, eine vermeintliche Superhelden-Geschichte zu erzählen, die in Wahrheit die Geschichte einer einsamen, tragischen Gestalt ist, und gleichermaßen amüsiert wie bewegt. Hervorragend gelingt Stebbings hingegen der Realismus-Aspekt. Mag "Defendor" auch stellenweise etwas zäh sein, so ist er zumindest weitgehend glaubwürdig. Wenn sich ein Möchtegern-Superman beispielsweise mit der organisierten Kriminalität anlegt, dann geht es ihm selbstverständlich irgendwann einmal an den Kragen, und es gelingt ihm nicht, sich durch irgendeinen dummen Zufall aus der Angelegenheit herauszuwinden. Andererseits lassen sich seine gelegentlichen Erfolge auch dadurch erklären, dass er wahrscheinlich seit Kindertagen Schießübungen betreibt und allerlei technische Hilfsmittel selbst zusammen bastelt.
Großen Anteil an diesem erstaunlich realistischen Erscheinungsbild trägt natürlich Woody Harrelson, der seit Jahren nicht nur gefühlt, sondern tatsächlich etwa einmal pro Quartal mit einem neuen Film ins Kino oder auf den Heimkino-Markt kommt. Der wandlungsfähige Darsteller, der sich im diesjährigen Oscar-Rennen der Überperformance von Christoph Waltz geschlagen geben musste, zeigt einmal mehr, dass man mit ihm im Prinzip nicht aufs falsche Pferd setzen kann. Mal zeigt er sich von seiner ernsten Seite ("The Messenger", "Sieben Leben"), mal gibt er den Hampelmann ("The Big White", "Zombieland"). In "Defendor" spielt er beides, sowohl den sich lächerlich machenden Idioten als auch das bemitleidenswerte Opfer einer schwierigen Kindheit. Gerade auch aufgrund der Tatsache, dass sich der Film selbst nie festlegt, wo genau er eigentlich hin möchte, erweist sich das als extrem schwierige, aber gut gemeisterte Rolle. Als seine "Partnerin" fungiert Kat Dennings, von deren süßer Unschuld aus "Nick & Norah" nicht mehr viel übrig geblieben ist - eingeführt wird sie als Prostituierte, die einem Freier einen Blowjob verpasst.

"Defendor" balanciert auf einem schmalen Grat zwischen pechschwarzer Komödie, die einen an sich liebenswerten Helden ein ums andere Mal fast verrecken lässt, und Drama, das einen geistig zurückgebliebenen Normalo, der sich jedoch für einen Superhelden hält, thematisiert. Es ist diese Unentschlossenheit, die "Defendor" zu einem interessanten, nicht aber zwangsläufig sehenswerten Film macht. Denn um wirklich zu überzeugen, ist der Film einerseits nicht witzig genug und bleibt andererseits zu sehr an der Oberfläche.


6
6/10

Mir hat der Film durchaus gefallen. Wer auf etwas schwerere Kost steht der sollte mal einen blick riskieren. Kein Feel Good Movie oder Brain Off Kino sonder ein Drama.

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