Ein neuer Anfang... jetzt auch auf DVD - "Star Trek: Deep Space Nine" - Erste Staffel

von Frank-Michael Helmke / 13. August 2011

"Was ist das … Zeit?"
- Ein Wurmloch-Wesen in "Der Abgesandte"

Als 1993 die dritte TV-Serie des Star Trek-Universums auf Sendung ging, begann mit dem neuesten Franchise-Kind "Deep Space Nine" in vielfacher Hinsicht eine neue Ära für den etwas intellektuelleren der beiden großen SciFi-Kosmen - wahrscheinlich sogar aus mehr Gründen, als den Produzenten selbst zunächst bewusst war. Nach dem erstaunlichen Erfolg des Trek-Relaunches mit "The Next Generation" (Rezensionen der bereits vollständig auf DVD erschienen Serie siehe >>> hier) entschied sich die kreative Führungscrew um Rick Berman (der sich nach dem Tode Gene Roddenberrys zum Chef der Franchise aufgeschwungen hatte), mit Ausklingen der TNG-Show bereits das nächste Pferd ins Rennen zu schicken. Für zwei Jahre liefen erstmals zwei Trek-Serien gleichzeitig im Fernsehen, eine Doppelbelastung, welche die Zuschauer zwar nicht in Stürmen, aber doch ausreichend annahmen: Auch wenn es "Deep Space Nine" während seiner gesamten Laufzeit nicht gelang, die Quoten von TNG zu erreichen, lief die Serie zumindest von Beginn an erfolgreich genug, um sie die gewohnten sieben Seasons vor der Absetzung zu bewahren.
Doch nicht nur die neue Gleichzeitigkeit stellte eine Neuerung dar: Um nicht eine weitere Show auf einem weiteren Raumschiff zu haben, wodurch sich beide Serien wahrscheinlich nur gegenseitig das Potential für interessante Storys abgegraben hätten, entschied man sich für einen einschneidenden Tapetenwechsel bei der Lokalität: Eine Raumstation sollte der Ort der Handlung sein, um mit dieser Fixierung eine andere Seite des Trek-Universums aufzuzeigen. Wie sieht das Sternenflottenleben aus, wenn man nicht selbst bei den fremden Rassen vorbeischaut, sondern diese auf der Durchreise Hallo sagen?

Die Bindung an einen festen Handlungsort eröffnete von Beginn an neue Möglichkeiten, die sich als entscheidend für den schlussendlichen Charakter der Serie erweisen sollten: Da man mehr Zeit und Gelegenheit zum Zeichnen des Hintergrunds hatte (mit einer Station als Handlungsort kommt automatisch mehr Alltag hinein), konnte man wesentlich mehr Nebencharaktere einbauen, die ab und zu vorkamen, weil sie quasi zum Interieur gehörten. Der einsame Geniestreich in dieser Hinsicht ist natürlich der schweigsame Morn (eine kleine Referenz an den ewigen Barhocker Norm aus der Comedy-Serie "Cheers"), Stammkunde in Quark's Bar und tatsächlich schon seit Anfang der Serie eine stille Präsenz im Hintergrund.
Mehr Charaktere stehen auch für mehr Konflikte, und dass die Serie hier nicht zu kurz kommen würde, dafür sorgte schon die brisante Ausgangssituation: Die Raumstation Deep Space Nine - befindlich im Orbit des Planeten Bajor, der sich gerade erst von der 60 Jahre andauernden Besetzung durch die militaristischen Cardassianer befreit hat - wurde erst vor kurzem von der Föderation übernommen, nachdem die Besatzer ihren ehemaligen Stützpunkt verwüstet und halb zerstört zurück ließen. Das Resultat ist ein zunächst sehr Trek-untypischer Schauplatz: Entworfen in spartanischer cardassianischer Architektur und mit jede Menge herumliegenden Müll war die Grundatmosphäre auf der Station von vornherein wesentlich rauer als auf der stets gemütlich anmutenden Enterprise mit ihren hübsch gepolsterten Kabinen.
Hier schrie bereits das Setup nach Reibung, und die sollte es auch zu Genüge geben: In der Trek-Tradition der leichten Metapher zur Wirklichkeit tritt die Föderation wie die Vereinten Nationen an, um einem frisch befreiten Land bzw. Planeten beim Wiederaufbau unter die Arme zu greifen. Permanent drohen auf Bajor Bürgerkriege, kleinere Stammesfehden und Querelen um die religiöse Führung des hochgradig spirituellen Volkes, während die ehemaligen Unterdrücker immer mal wieder vorbei schauen und diplomatisch nicht ignoriert werden können. In der neuen Umgebung ist Starfleet nicht nur von Freunden umgeben, doch zu diesen Problemen kommt dann auch noch eine wahrlich aufregende Entdeckung: Commander Sisko stößt kurz nach seinem Amtsantritt auf der Station über das erste bekannte stabile Wurmloch der Galaxis, das eine sichere Route zum eigentlich weit entfernten und unbekannten Gamma-Quadranten bildet. Doch von wesentlich größerer Bedeutung: In der bajoranischen Mythologie als der "himmlische Tempel" bekannt, ist das Wurmloch die Heimat fremdartiger Wesen, von den Bajoranern als göttergleiche "Propheten" verehrt, die eine nicht-lineare Existenz führen - und somit kein Konzept von Zeit, Anfang, Ende, Ursache und Wirkung haben.
Hierdurch sollte sich das Wurmloch langfristig als brillantestes Plotkonzept der Trek-Geschichte erweisen. Tatsächlich öffnete man damit eine weitaus größere Büchse an Ideen und Möglichkeiten, als es den Produzenten zunächst selbst gewahr gewesen sein dürfte. Nicht nur war für eine Vielzahl neuer außerirdischer und unbekannter Rassen gesorgt, also eine Menge interessanter neuer erster Kontakte, auch wurde hier die Grundlage gelegt für eines der faszinierendsten und ambivalentesten langfristigen Themen der Serie: Der Konflikt zwischen Wissenschaftlichkeit und Glaube. War das Trek-Universum bisher vor allem von der von Roddenberry entworfenen humanistischen Grundphilosophie bestimmt, drängte mit den Bajoranern nun eine ausgeprägte Religiosität hinein, die weiteren Zündstoff durch die besondere Position Benjamin Siskos erhielt: Als Entdecker des Wurmlochs nahm er für die Bajoraner die mythische Rolle des "Abgesandten" ein, ein Konzept, dessen Potential jedoch erst im weiteren Verlauf der Serie wirklich ausgeschöpft werden sollte.

Dies gilt natürlich für alle größeren Themen der Serie, die zwar in dieser ersten Staffel allesamt ihre Basis finden, aber noch nicht so offensichtlich sind. Wie auch bei den anderen Ablegern des Trek-Universums der nächsten Generation brauchte auch "Deep Space Nine" zunächst eine mittelprächtige erste Season, um sich warm zu laufen und die Charaktere aufeinander abzustimmen. So ist der erneute Genuss dieser zwanzig Folgen auch weniger von qualitativer Natur, sondern eher chronistischer: Das Studium der Anfänge dieser Serie erinnert daran, wie sich die Figuren weiter entwickelten - und es spricht für die Qualität dieser von vielen Fans als kreativer Höhepunkt der Trek-Franchise angesehenen Serie, dass hier in der Tat alles konsequent auf den Anfängen fußt. Womit wir bei einer weiteren entscheidenden Neuerung des Trek-Universums wären: Mit "Deep Space Nine" wagte man erstmals die Abweichung vom althergebrachten Handlungs-Prinzip, das am Ende jeder Episode zum Status Quo zurückkehrte und so nur geringe größere Entwicklungen im Laufe einer Serie zuließ. Hier machte man sich an die Erzählung von etwas, dass am Ende von sieben Staffeln in der Tat den Namen Epos verdient haben sollte.
Doch auch dieses Konzept der fortlaufenden Handlung war während der ersten Staffel noch nicht abzusehen, die zunächst genug damit beschäftigt war, die Fans mit interessanten Storys bei Laune zu halten, während die Charaktere ihre übliche Entwicklungsphase durchliefen, die wiederum nötig war, um die Show später von den Figuren tragen lassen zu können. Um die Trekkies milde zu stimmen, ließ man sich bereits für den Piloten ("Der Abgesandte") ein paar clevere Tricks einfallen, indem man die Serie dramatisch dort eröffnete, wo TNG seinen unbestreitbaren Höhepunkt gefunden hatte: In der Schlacht bei Wolf 359, als die Borg unter Führung des kurzzeitig assimilierten Captain Picard eine ganze Flotte der Föderation in Schutt und Asche legten. Genau in dieser Schlacht verlor Commander Sisko seine heiß geliebte Frau Jennifer - und eignete sich einen nicht ganz unverständlichen Groll gegen Picard an. Einsamer Höhepunkt der Pilotfolge ist denn auch die erste Begegnung von Picard und Sisko auf der Enterprise, eine eisige Duell-Szene, die in vielfacher Hinsicht auch den Führungswechsel markiert: Sisko-Darsteller Avery Brooks, wie Patrick Stewart ein renommierter Shakespeare-Bühnenveteran, erwies sich hier bereits als legitimer Nachfolger des brillanten britischen Schauspielers als Kopf des Trek-Universums, und wurde elegant als bewusste Anti-These zu Picard etabliert: Der stets besonnene und überlegte Enterprise-Captain, der sein Leben lang nie eine Familie gründete, auf der einen, der impulsive und emotionale Vater Sisko auf der anderen Seite - man gab sich wirklich Mühe, die Unterschiede zu TNG stark auszuprägen.
Nichtsdestotrotz hielt man sich in der ersten Staffel verstärkt an bewährte Figuren, um ein stabiles Fan-Interesse zu sichern: Mit Chief O'Brien durfte gleich ein Enterprise-Besatzungsmitglied aus der zweiten Reihe als permanente Hauptfigur auf der Station bleiben. Und im Laufe des ersten Jahres schauten auch ein paar sehr beliebte alte Bekannte auf DS9 vorbei: Der notorische omnipotente Q in Begleitung von Picards durchtriebener Freundin, der abenteuerlichen Archäologin Vash ("Q - unerwünscht"), und Deanna Trois ewig Männer jagende Mutter Lwaxanna, die es denn auch gleich auf den Formwandler Odo abgesehen hatte ("Persönlichkeiten") - dessen Figur wiederum eine weitere interessante Neuerung darstellte, deren wahres Potential sich ebenfalls erst im Laufe der Serie zeigen sollte. Es zeigt indes die Qualität dieser Serie, dass es DS9 schon bald nicht mehr nötig hatte, so häufig auf Gaststars aus TNG zurückzugreifen, wie es beim nächsten Ableger Voyager der Fall sein sollte.

Trotz aller guten Ansätze blieb DS9 dennoch nur bedingt unterhaltsam in diesem ersten Jahr, zu sehr war man noch mit der vorsichtigen Etablierung der Charaktere befasst. Ein paar interessante SciFi-Konzepte, wie z.B. der das Sprachvermögen raubende Virus in "Babel" oder das etwas andere Gesellschaftsspiel in "Chula - das Spiel" waren zumindest von der Idee her faszinierend, wenn es auch an der Ausführung ein wenig haperte. Die ebenfalls recht feinen Episoden "Tosk, der Gejagte" und "Die Prophezeiung" zeigten erstmals das Potential des Gamma-Quadranten als Geburtsort auch neuer gesellschaftlicher Fremdartigkeiten. Ansonsten konnte diese erste Season jedoch nicht unbedingt überzeugen, bis auf eine bemerkenswerte Ausnahme: Das kammerspielartige Psychoduell zwischen Major Kira, dem bajoranischen ersten Offizier der Station, und einem vermeintlichen cardassianischen Kriegsverbrecher in "Der undurchschaubare Maritza" ist nicht nur die mit Abstand beste Episode dieser Staffel, sondern darf sich zu den herausragenden Folgen der ganzen Serie zählen. Mit viel Geschick und brillanten Dialogen (und vor allem Dank der kongenialen Leistung des Gaststars Harris Yulla als Maritza) lieferte man hier gleichzeitig bedeutende Einblicke in den Charakter Major Kiras, eine wichtige Lektion über die bajoranische Geschichte, und eine hochintelligente Reflexion über Schuld und Sühne in Zeiten des Krieges. Fernsehen vom Feinsten.

Das nun erschienene DVD-Set mit der ersten Staffel von "Deep Space Nine" (die weiteren sechs Staffeln werden bis Weihnachten dieses Jahres folgen) enthält alle 20 Episoden in beanstandungsfreier Bild- und Tonqualität auf fünf Discs, mit einer sechsten DVD mit zumindest teilweise recht interessantem Bonus-Material. Dieses besteht größtenteils aus Dokumentationen, die den Produktionshintergrund und die Herstellung der Serie in ihren technischen Aspekten näher beleuchten. So gibt es einzelne ausgiebige Beiträge über Auffindung und Entwurf der Requisiten in Quark's Bar und der zahlreichen außerirdischen Artefakte, einen kurzen Abriss über den langen Design-Weg zum endgültigen Look der Station sowie über die Kreierung der zahlreichen neuen Alien-Rassen (aufgrund deren Masse ein ähnliches Feature wohl auch bei den zukünftigen Staffeln erwartet werden darf), und einen kleinen Rückblick über die Anfänge und Konzeption der Serie. Am interessantesten ist jedoch das so genannte "Crew Dossier" über Major Kira, welches die gesamte Serie mit den wichtigsten Einflüssen auf die Figur berücksichtigt und auch den persönlichen Hintergrund der Darstellerin Nana Visitor mit einbezieht - die immerhin im Laufe der Serie nicht nur schwanger wurde, sondern auch ihren Kollegen Siddig el Fadil (Dr. Julian Bashir) heiratete. Ein entsprechendes Dossier ist wohl für die folgenden DVD-Sets für jeden der Hauptcharaktere zu erwarten.
Es finden sich zudem eine ganze Reihe "Easter Eggs", die diesen Namen indes kaum verdient haben: Während man bei anderen DVD's teilweise wahre Detektivfähigkeiten braucht, um die versteckten Features aufzuspüren, stolpert man bei diesem Set fast zwangsläufig darüber: Die eher unübersichtliche Menü-Führung - bei der man den Auswahlcursor über ein Bild der Station bewegt, ohne zu wissen, wo genau man nun für welches Extra hin muss - sorgt dafür, dass man nicht umhin kommt die ohne Erklärung aufleuchtenden Auswahlfelder zu bemerken, hinter denen sich jeweils eine so genannte "Hidden File" verbirgt, meist mit ein paar kurzen Interview-Clips zu den Hauptfiguren und ihren Darstellern. Diese sehen aus wie Ausschnitte aus zukünftigen "Crew Dossiers" und lassen hauptsächlich die Frage im Raum stehen, wozu sie eigentlich gut sein sollen. Das suboptimale Auswahlmenü muss man jedenfalls erst mehrere Male in orientierungslosen Suchläufen durchforsten, bevor man sicher sein kann, auch alle Extras gesehen zu haben.
Außerdem liegt dem Set noch eine weitere CD-ROM bei, auf dem sich das erste von sieben Modulen für eine virtuelle Raumstation befindet. Genau genommen ist dies eine Art Simulation des Bordcomputers, über die sich - sofern man auch alle sieben Staffeln auf DVD kauft und alle weiteren CD's installiert - schlussendlich komplette Episodenguides, ausgiebiges Material zu den Figuren und der Station sowie viele andere Informationen abrufen lassen werden. Der faktische Nutzen dieses Extras bleibt indes vorerst fraglich, da es in wenig ansprechender Textpräsentation viele Infos enthält, die sich in teilweise besserer Aufmachung leicht im Internet finden lassen. Zudem ist der langfristige Reiz, sich mit jeder weiteren DVD-Staffel die neu erworbenen Materialien dieses "Bordcomputers" anzusehen, nicht sonderlich hoch. Besonders ärgerlich: Ohne vorherige Online-Registrierung kommt man erst gar nicht ins Programm hinein. So riecht dieser Zusatz doch stark nach etwas billig zusammen geschraubtem Marketing-Tool. Immerhin: Einen Screensaver gibt's dazu, und der ist sogar schon vollständig.

In der Menüführung gerade bei der Extra-Disc eindeutig verbesserungsfähig und nicht wirklich überzeugend was die Bonus-CD-ROM betrifft, ist das DVD-Set der ersten Staffel von "Deep Space Nine" für ernsthafte Trekkies dennoch unverzichtbar - aus rein chronologischen Gründen. Denn nur, wenn man das hier gelegte Potential erkennt, kann man das großartige Epos wirklich zu schätzen wissen, das sich schließlich daraus entwickeln sollte.


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