3096 Tage

Originaltitel
3096 Tage
Jahr
2013
Laufzeit
109 min
Release Date
Bewertung
3
3/10
von Volker Robrahn / 26. Februar 2013

Der Name Natascha Kampusch dürfte wohl jedem bekannt sein, denn der spektakuläre Fall des mehr als acht Jahre in einem Kellerverlies gefangengehaltenen Mädchens wurde im Anschluss an ihre Flucht von einem fast beispiellosen Medienecho begleitet.  Da Natascha Kampusch die Verantwortung für ihr öffentliches Erscheinungsbild selbst in die Hand nahm und daher eine zeitlang in Print und Fernsehen fast omnipräsent war, musste sie (vor allem in ihrem Heimatland Österreich) auch eine Menge Kritik einstecken, nicht wenige zeigten sich irgendwann genervt von der vermeintlichen Vermarktung ihrer „Opferrolle“ – obwohl sich Kampusch gegen diese Bezeichnung stets gewehrt hat.

Nach der kommerziell sehr erfolgreichen Autobiographie „3096 Tage“ erscheint nun als vermutlich letztes großes Puzzleteil zu diesem Thema auch die Verfilmung ihrer Geschichte, welche zwar den gleichen Titel trägt, jedoch ausdrücklich keine Adaption des Buches darstellt. Denn Bernd Eichinger hatte bereits ein ganzes Stück vor Erscheinen des Buches mit der Ausarbeitung des Filmskripts zu seinem letzten großen Herzensprojekt begonnen, bevor der bedeutendste deutsche Filmproduzent, der hier sogar noch einmal selbst die Regie übernehmen wollte, im Jahr 2011 unerwartet verstarb. Da er nur ein Fragment von knapp 50 Seiten Drehbuch hinterließ, ist es leider nicht möglich zu beurteilen wie gut Eichingers Film gelungen wäre. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir ein besseres Werk zu sehen bekommen hätten als das, was seine Nachfolgerin Sherry Hormann in Kollaboration mit der Drehbuchautorin Ruth Toma nun präsentiert, ist jedoch sehr hoch.

Abgesehen von der Eröffnungsszene schildert der Film „3096 Tage“ chronologisch einzelne Aspekte und Vorkommnisse der Entführung von Natascha Kampusch und kann dabei natürlich nur bestimmte Ausschnitte zeigen. Erwartungsgemäß nehmen dabei die ersten Tage nach dem Kidnapping der damals Zehnjährigen sowie die letzten Wochen vor ihrer geglückten Flucht den größten Raum ein.  Zwischendurch erfolgt ein größerer Zeitsprung von mehreren Jahren, der auch dazu genutzt wird einen Wechsel der Hauptdarstellerin  vorzunehmen. Wir sehen die erste Annäherung zwischen Natascha (Amelia Pidgeon) und ihrem Entführer Wolfgang Priklopil (Thure Lindhart), die noch von der Hoffnung getragen wird, dass eine vermeintliche Lösegeldforderung an die Eltern zu einem schnellen Ende der Geiselhaft führen könnte (denn das lügt Priklopil ihr vor). Wir verfolgen wie das kleine Kellerverlies Stück für Stück etwas wohnlicher eingerichtet wird und wie Natascha (jetzt Antonia Campbell-Hughes) es schließlich zum ersten Mal für kurze Momente verlassen darf, meist um ihrem Peiniger bei der Renovierung seiner Wohnung zu helfen. Und ein Peiniger ist er, bestraft Priklopil seine Gefangene doch immer wieder für „Ungehorsam“ mit Essensentzug oder Schlägen. Für Natascha gilt es ihrem Widersacher einerseits Paroli zu bieten, ihn andererseits aber auch nicht zu sehr zu reizen oder zu verärgern, um ihr unfreies Leben wenigstens halbwegs erträglich zu gestalten.

Zweifelsohne entsteht durch die Möglichkeit all das, von dem man bisher immer nur gehört oder gelesen hatte, jetzt auch tatsächlich im Bild zu sehen, eine neue Intensität für jeden, der sich irgendwann auch einmal gefragt hat, wie er selbst denn wohl mit einer derartigen Ausnahmesituation zurechtkommen würde. Dass dem Film dabei einige berührende bis schockierende Bilder gelingen, die einem durchaus die Kehle zuschnüren können, soll auch nicht in Abrede gestellt werden. Wenn dies geschieht ist es oft der Verdienst des wohl besten deutschen Kameramannes der letzten Jahrzehnte, Michael Ballhaus, der für diesen Film noch einmal aus dem eigentlich bereits gewählten Ruhestand zurückkehrte. Ballhaus zeigt insbesondere das beengte Verlies und den mehrfach gesicherten Weg von dort in die Wohnräume des Entführers auf eine Art und Weise, die entsprechende Beklemmung vermittelt.

Dass „3096 Tage“ sogar recht vielversprechend beginnt verdankt er aber noch mehr der Leistung der jungen Amelia Pidgeon, die hier nie den Eindruck erweckt als würde sie schauspielern, sondern in ihren Szenen absolut echt und authentisch wirkt. Den Höhepunkt erreicht ihre Leistung, als sie nicht nur ihren Entführer nach tagelangem Essensentzug um eine Mahlzeit anfleht, sondern ihre Verzweiflung durch den direkten Blick in die Kamera förmlich dem Zuschauer entgegen brüllt. Dies bildet auch den  emotionalen Höhepunkt des gesamten Films, mit dem es von da an aber leider steil bergab geht.

Was sich zuerst im Wechsel der Hauptdarstellerin bemerkbar macht, denn während die etwas pummelige Amelia Pidgeon tatsächlich wie eine Doppelgängerin der echten Natascha Kampusch wirkte, besitzt die ihr folgende Antonia Campbell-Hughes dann keinerlei Ähnlichkeit mehr mit Kampusch oder auch Pidgeon, weder figürlich noch in den Gesichtszügen. Hier fällt es schon mal schwer zu akzeptieren, dass wir es mit ein und derselben Person zu tun haben sollen, doch ist die fehlende äußere Ähnlichkeit nicht das größte Problem. Man kauft der in Wahrheit bereits 30jährigen Schauspielerin Campbell-Hughes leider auch zu keiner Zeit den gerade erst zur Frau reifenden Teenager ab, der mit seiner ersten Periode zu kämpfen hat. Diese Besetzung wirkt die komplette Zeit über äußerst befremdlich und es bleibt rätselhaft, warum man einerseits für die 10-12jährige Natascha eine so perfekte Verkörperung gefunden hat, für die 14-18jährigen Version beim Casting jedoch derart danebengreifen konnte.

Für die ebenfalls nicht einfache Rolle als Wolfgang Priklopil wählte man den dänischen Schauspieler Thure Lindhardt, der seine Sache grundsätzlich gut macht, auch wenn man ihm vom Auftreten und Aussehen her den Sonderling und das Muttersöhnchen nicht immer sofort abkauft.  Wenn Priklopil hier im Gespräch mit seiner Mutter über den Kampusch-Entführer diskutiert und dabei die Vermutung äußert „vielleicht ist der ja einfach verrückt“, dann legt man ihm da schon ein Maß an Selbstreflektion in den Mund, welches der Mann in Wirklichkeit kaum besessen haben dürfte.

Obwohl sich beide Hauptdarsteller in den emotionalen Auseinandersetzungen redlich Mühe geben, entfalten diese im späteren Verlauf bei weitem nicht mehr die starke Wirkung wie zu Beginn des Films, wirken zudem sehr willkürlich und sprunghaft aneinander gereiht, als wollte man noch schnell eine Art „Best of“ der schlimmsten und dramatischen Momente liefern.

Dass dem tatsächlich so ist und es trotz aller anderslautenden Beteuerungen bei dieser Produktion eben auch ums Spektakel geht und darum, dem Publikum etwas zu „bieten“, beweist schließlich endgültig der Umgang der Filmemacher mit dem Thema sexueller Missbrauch - dem einen Bereich, den Natascha Kampusch bei ihren Schilderungen stets ausgespart hatte (auch in ihrem Buch), mit der Begründung sich damit einen Rest von Privatsphäre erhalten zu wollen. Der Film lässt nun aber auch in dieser Hinsicht keine Fragen mehr offen, zeigt mehrfach wie Priklopil den Geschlechtsverkehr mit seiner Gefangenen erzwingt, sie zudem barbusig oder ohne Unterhose herumlaufen lässt. Wenn Regisseurin Sherry Hormann dazu im Presseheft verlauten lässt, ihr Film enthalte in dieser Hinsicht echtes „Dynamit“ und breche das letzte Tabu, dann dürften auch die letzten Illusionen darüber, was die Filmemacher mit diesen Szenen bezwecken, zu den Akten gelegt werden. Frau Kampusch hat sich deshalb vom Film zwar nicht komplett distanziert, aber durchaus hörbar ihre Verbitterung verlauten lassen, dass diese Szenen deshalb von ihren Anwälten nicht zu verhindern waren, da sie durch einzelne Vernehmungsprotokolle mittlerweile in bestimmtem Rahmen öffentlich zugänglich sind.

All dies hinterlässt doch einen ziemlich bitteren Beigeschmack und macht den ohnehin in seiner zweiten Hälfte langsam zerfasernden und auseinanderfallenden Film endgültig zu einem ziemlichen Ärgernis. Ob die Spekulation auf einen großen Aufreger wirklich aufgeht ist jedoch fraglich, wurde der Film der Presse doch überhaupt erst drei Tage vor dem Kinostart gezeigt, womit man sich selbst nicht gerade dabei half, ein breiteres Medienecho zu generieren. Das Interesse am Film hielt sich entsprechend bisher in überschaubaren Grenzen. Was dann vielleicht ja auch ganz gut ist.

Bilder: Copyright

Schlechte Laune?
Bei Filmszene werden momentan genüsslich Filme verrissen. 3/10 Sternen? - Das hört sich eher nach einem durchschnittlichen Film an, dem leider immer mehr die Pust ausgeht... oder irre ich mich?

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Das so eine sensationsgierige Schmierengeschichte auch noch verfilmt wird. So etwas gehört definitiv nicht ins große Kino. Hier kann man wieder sehen, wie ein wirklich heikles, sensibles Thema schonungslos vermarktet wird.

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8
8/10

Da ich ungern das Buch lesen wollte, habe ich mir den Film angesehen. Dabei kann man schlecht von einem "guten Film" sprechen, denn er ist wirklich erschreckend, wie sich das ganze annähernd zugetragen haben soll. Dieser Film beschäftigt und berührt enorm. Ich bereue es nicht diesen gesehen zu haben. Und die schauspielerischen Leistungen waren sehr gut meiner Meinung nach.

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wen das Thema interessiert und einen hochwertigen Film sehen will, der sollte sich dann doch lieber den Film "MICHAEL" anschauen... klassische östereichische Filmkunst im Stil von das rote Band oder Silencium

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9
9/10

Eine weitere Filmkritik bei der man die Chefkritik in diesem Fall von Hr. Robrahn in die Tonne schmeissen kann. Mir entzieht es jegliches Verständnis wie man diesem Film nur 3 von 10 Punkte geben kann. Mich und meine Freundin hat dieser Film sehr gefesselt, was hauptsächlich an den schauspielerischen Leistungen lag. Spannung ist auch permanent vorhanden, da man nie weiß was der Verrückte als nächstes mit dem Mädchen macht. Daher vergebe ich 9 Punkte.
Noch ganz allgemein: Anscheinend ist es bei den Kritikern von Filmszene ein NoGo vielen Filmen eine positive Bewertung zu geben, anders kann ich mir diese ÜBERWIEGEND schwachsinnigen Filmkritiken hier nicht erklären. Ich besuche diese Seite sowieso nur noch um zu schaun welche neuen Filme veröffentlicht worden sich und was die Leser hier schreiben....WORD!

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