Democracy - Im Rausch der Daten

Jahr
2015
Laufzeit
100 min
Regie
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Margarete Prowe / 11. November 2015

Eindrucksvoll beweist der Schweizer David Bernet mit „Democracy – Im Rausch der Daten“, dass eine Langzeitdokumentation über den europäischen Gesetzgebungsprozess spannend wie ein Krimi sein kann – und dies auch noch anhand der eher spröden Reform des europäischen Datenschutzes. Als Bernet 2010 sein Projekt begann, juckte das Thema Datenschutz weder Öffentlichkeit noch die Masse der Politiker. Wer würde diesen Film im Kino sehen wollen? Ob die Verhandlungen zur Datenschutzgrundverordnung ein Jahr oder vielleicht auch zehn Jahre dauern würden, auch dies war völlig offen. 2015 ist dies anders, denn durch Edward Snowdens Veröffentlichungen wie auch durch Gerichtsprozesse gegen Facebook und Co. ist Datenschutz kein Nischenthema der Netzpolitik mehr, sondern medial präsent und nun sogar Gegenstand eines Kinofilms.

Zweieinhalb Jahre lang verfolgte Bernets Team die Protagonisten Viviane Reding, eine Konservative und bis 2014 Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und Kommissarin für das Ressort Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft, sowie Jan Philipp Albrecht, einen jungen Grünen Abgeordneten und Berichterstatter dieser Reform, dazu noch seinen wissenschaftlichen Mitarbeiter Ralf Bendrath und Lobbyisten, Abgeordnete, Wirtschaftsjuristen und Bürgerrechtsaktivisten auf Fluren, in Hinterzimmern, in Sitzungssälen und auch mal daheim. „Democracy – Im Rausch der Daten“ kreist dabei nicht nur um Diskussionen über einzelne Wörter im Verordnungstext und den Prozess, der durch eingeblendete Titel im Film immer wieder kurz erklärt wird, sondern auch um die großen Fragen der Zukunft der europäischen Gesellschaft im digitalen Zeitalter.

Der Schweizer beginnt seinen Film mit den klassischen Bildern zur großen Politik: Ein Helikopter kreist am Himmel und wichtige Männer steigen unter den Augen von Bodyguards aus dunklen Limousinen. Er bricht dieses jedoch dann mit einem Schnitt auf ein Handy mit einer Anleitung zum Krawattenbinden auf dem Display und Jan Philipp Albrecht im Anzug darüber, der vor dem Spiegel daran verzweifelt, einen Krawattenknoten zu binden. Sein erster Satz im Film: „Es wird der Knoten meines Lebens, ich sag’s euch!“ Jan ist ein sympathischer junger Europaparlamentsabgeordneter für Hamburg und Schleswig-Holstein, dessen Entwicklung vom anfangs eher schüchternen Wuschelkopf zum erfahrenen Verhandlungsführer dem Film auch dramatische Spannung verleiht.

David Bernet filmt ihn nicht nur bei Treffen mit Fraktionsvertretern oder Lobbyisten, sondern auch in privaten Momenten wie beim Spaziergang um die Alster in Hamburg oder auch beim Herumkauen auf diversen belegten Baguettes im Laufe der zweieinhalb Jahre. Gerade diese kleinen Momente sind es, bei denen der Filmemacher seine Subjekte nicht nur in ihrer Rolle innerhalb der politischen Willensbildung zeigt, sondern als Menschen: Wenn zum Beispiel Jan Philipp Albrechts Mitarbeiter Ralf Bendrath erschöpft hastig einen Espresso hinunterstürzt oder wenn der von Italien aus nach Brüssel pendelnde Datenschutz-Anwalt Paolo Balboni sein Kleinkind daheim mit einem Gläschen Brei füttert.

Im Januar 2012 präsentiert EU-Kommissarin Viviane Reding der europäischen Öffentlichkeit einen Vorschlag für ein neues Datenschutzgesetz mit dem scheinbar einfachen und doch politisch umstrittenen Grundsatz: „Personenbezogene Daten gehören der Person“. Seit der letzten Regelung des Datenschutzes sind Personendaten zur wichtigsten Ressource des digitalen Marktes geworden, oder wie es der Lobbyist John Boswell im Film ausdrückt: „Viele Leute sagen, Daten sind das 'Neue Öl', das Öl des 21. Jahrhunderts. Öl hat unser Leben verändert. Und Daten werden dasselbe tun.“

Mit ihrem Vorschlag setzt Reding einen Gesetzgebungsprozess auf europäischer Ebene in Gang, über den die beiden gesetzgebenden Kammern der EU, das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union, gemeinsam entscheiden. Doch statt irgendeines industriefreundlichen altgedienten Herren der großen Fraktionen wird der junge Grüne Jan Philipp Albrecht zum Verhandlungsführer ernannt, der sogar aus einer Parlamentsdebatte den Tweet absetzt: „Wenn Daten das neue Öl sind, dann ist Datenschutz der neue Umweltschutz“.  Er stürzt sich in seine Arbeit und legt ein Jahr nach Redings Gesetzesvorschlag seine überarbeitete Version vor. Die Bürgerrechte werden darin noch weiter gestärkt als im ursprünglichen Text.

Der Kampf um den zukünftigen Umgang mit dem Rohstoff Daten wird nun zu einer Lobbyistenschlacht. Noch nie gab es so viele Änderungsanträge wie bei dieser Reform. Die Verhandlungen ziehen sich in die Länge und auch der optimistische Jan Albrecht scheint der Verzweiflung nah. Er muss seine eigene Fraktion mit dem Ergebnis noch zufriedenstellen, aber gleichzeitig einen Kompromiss finden, dem auch die anderen Fraktionen zustimmen können. Hinzu kommt starker Gegenwind aus den Mitgliedsstaaten und von scheinbar allen Seiten der Satz, dass das doch jetzt alles nicht überstürzt werden müsse mit dieser Reform. Als alles verloren scheint, werden die Enthüllungen Edward Snowdens veröffentlicht. Ab dann nimmt auch „Democracy – Im Rausch der Daten“ richtig Fahrt auf und das Publikum fiebert bei den Verhandlungen und Abstimmungen mit, denn die Reform erscheint plötzlich greifbar nah.

Bernet zeigt dieses zähe Ringen um einen Kompromiss zwischen den Interessen der Wirtschaft, die nicht zu strenge Datenschutzauflagen will, um Geschäftsmodelle nicht zu gefährden, und den Interessen der Gesellschaft an starkem Datenschutz, vertreten von einer winzigen Handvoll an Bürgerrechtlern und Politikern wie Reding oder Albrecht ästhetisch beeindruckend in Cinemascope und monochromen Bildern, was im Gegensatz zu den aus den Medien bekannten klischeehaften Darstellungen von Fahnenmasten und Parlamentsbildern frisch und dramatisch überhöht wirkt.

Noch nie konnte ein Film so tief in die Prozesse und auch Orte der EU eindringen und verdeutlichen, dass eben nicht ein Haufen Bürokraten im stillen Kämmerlein Gesetze ausbrüten und diese wie faule Eier auf die Mitgliedstaaten werfen, sondern dass die politische Willensbildung der EU stattdessen ein dynamischer Diskussionsprozess engagierter Menschen mit ganz unterschiedlichen Auffassungen ist, die Kompromisse suchen und versuchen, die europäische Idee auch rechtlich umzusetzen. Der Regisseur lässt dafür nicht nur seine pro-Datenschutz eingestellten Protagonisten zu Wort kommen, sondern auch Lobbyisten und Abgeordnete, die sagen, dass ein gestärkter Datenschutz zu einem Verlust an Arbeitsplätzen führen kann. Der Gesetzgebungsprozess ist mühsam und langwierig, wenn die Interessen der Beteiligten so weit auseinanderklaffen. Zum Starttermin des Films laufen die Verhandlungen zwischen Kommission, dem Rat der europäischen Regierungen und dem Europäischen Parlament während des sogenannten Trilogs immer noch.

Jan Philipp Albrecht hat sich immer noch nicht an Krawatten gewöhnt. Er sagt: „Ich setze sie nur ein, um bei den Verhandlungen meinen Argumenten die letzte Durchschlagskraft zu verleihen. Wenn der Datenschutz wichtiger ist als die persönliche Stil-Revolution in der Politik.“ Den Knoten hat er mittlerweile raus.

Bilder: Copyright

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Aufgabe prüft, ob du menschlich bist um Bots zu verhindern.