Die dunkelste Stunde

Originaltitel
Darkest Hour
Jahr
2017
Laufzeit
125 min
Regie
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Frank-Michael Helmke / 7. Januar 2018

"Die dunkelste Stunde" bezeichnet aus britischer Perspektive die Tage im Frühsommer 1940, als ein kompletter militärischer Sieg Nazi-Deutschlands nicht nur auf dem europäischen Festland, sondern auch über England sehr wahrscheinlich erschien. Nachdem Deutschland mit Dänemark und den Benelux-Staaten handstreichartig weitere Teile Zentraleuropas erobert hatte und dabei war, dasselbe auch in beängstigendem Tempo mit ganz Frankreich zu veranstalten, sah sich der britische Premierminister Neville Chamberlain zum Rücktritt gezwungen. Mit seiner nachgiebigen Appeasement-Politik hatte er jahrelang vergeblich versucht, dem Hitler-Regime auf dem Verhandlungswege Einhalt zu gebieten und der englischen Nation so einen tatsächlichen Krieg zu ersparen. In dieser Situation wurde am 10. Mai 1940 Winston Churchill zum neuen Premierminister bestimmt - und sah sich augenblicklich mit großen Widerständen konfrontiert. 

Die dunkelste StundeEigentlich will niemand Churchill (Gary Oldman) wirklich in diesem Amt haben, da ihm aus seiner Zeit als Marineminister im Ersten Weltkrieg noch schmerzhafte Niederlagen und Fehlentscheidungen angekreidet werden. König George VI. (Ben Mendelsohn) hat gehörige Bauchschmerzen mit dieser Besetzung. Und auch für seine eigene Partei scheint Churchill nur eine reine Übergangslösung zu sein: Chamberlains eigentlich offensichtlicher Nachfolger, der Außenminister Lord Halifax (Stephen Dillane), lässt Churchill nur aus politischem Kalkül den Vortritt, da dieser von der Opposition im Parlament akzeptiert wird, Halifax selbst jedoch zu sehr mit der Appeasement-Politik in Verbindung steht. Im Prinzip schicken die Parteioberen Churchill nur vor, damit er sich möglichst schnell politisch unmöglich macht, so dass man ihn gleich wieder absetzen und durch Halifax ersetzen kann. Unterdessen wird die britische Armee, die auf dem Festland bei der Verteidigung Frankreichs zu helfen versucht, von den deutschen Kampfverbänden immer weiter zurückgedrängt und schließlich an der Kanalküste in der Hafenstadt Dünkirchen eingekesselt. England droht ein Totalverlust von mehreren hunderttausend Mann, was die Insel für den Fall eines deutschen Invasionsversuchs nahezu schutzlos lassen würde. Churchill ist noch nicht mal einen Monat im Amt, als er bereits eine Entscheidung von beispiellosem historischem Ausmaß treffen muss: Folgt er dem Drängen von Chamberlain, Halifax und Co. und bietet Hitler-Deutschland Verhandlungen an, um England zu retten zum Preis einer faktischen Nazi-Herrschaft über ganz Europa? Oder bleibt er seiner eigenen Haltung treu, dass man diesem Feind nur mit bedingungsloser Kampfbereitschaft begegnen kann, und dem britischen Volk also "nichts als Blut, Mühsal, Schweiß und Tränen" abverlangen muss?

Die dunkelste StundeDie Geschichte lehrt uns, wie Churchill sich am Ende entschloss - sonst würde er heute auch kaum als größter englischer Staatsmann des 20. Jahrhunderts gelten, und sonst würde es auch diesen Film nicht geben. Wie bei sovielen Verfilmungen von historischen Stoffen ist es auch bei "Die dunkelste Stunde" bemerkenswert, wieviel Spannung ein versierter Filmemacher noch mit einer Geschichte generieren kann, deren Ausgang mehr als bekannt ist. Das gilt auch für Regisseur Joe Wright ("Abbitte", "Anna Karenina"), der diesem Film mit viel Verve erstaunlichen visuellen Schwung verleiht, wenn man bedenkt, wieviel hier geredet wird und dass sich die Handlung zum Großteil in den beengten Räumlichkeiten der britischen Kriegsregierung in den Untergeschossen von Downing Street Nr. 10 abspielt. Diese visuelle Bedrängung in den bunkerartigen, oft schlecht ausgeleuchteten Räumen funktioniert aber auch exzellent als ein Spiegel der immer näher rückenden Bedrohung und der Enge, in die Churchill und mit ihm ganz England in dieser Situation getrieben wurden. 

Auch in dieser Hinsicht bildet "Die dunkelste Stunde" das komplementäre Gegenstück zu Christopher Nolans meisterhaftem "Dunkirk", der uns im vergangenen Sommer dieselbe historische Situation aus der sehr eingeschränkten Perspektive der am Strand von Dünkirchen festsitzenden Soldaten gezeigt hat. Während "Dunkirk" mit viel Action und wenig Worten brillierte und fast ausschließlich außen spielte, ist es hier genau andersherum - logisch, bei einem Film, der eine politische Entscheidungsfindung beleuchtet und ergo zu einem Gutteil aus Debatten und dem Abwägen von Für und Wider besteht, zumal in seinem Zentrum einer der größten Rhetoriker des 20. Jahrhunderts steht. Der Film weiß aus dieser Not denn auch eine effektive Tugend zu machen, indem er Churchills berühmte Schlagfertigkeit immer wieder für Momente trockenen Humors nutzt und so die allgemeine Ernsthaftigkeit der Lage ständig auf unterhaltsame Weise durchbricht. 

Die dunkelste StundeIndem sich dieses Biopic auf diese wenigen Wochen von Churchills Leben beschränkt, verzichtet es allerdings auch bereitwillig darauf, ein sonderlich differenziertes Porträt dieser historischen Gestalt zu zeichnen. Eher pflichtschuldig wird angedeutet, dass der Mann auch ein verdammtes Ekel sein konnte, wenn er zum Beispiel gleich in seiner ersten Szene seine neue Sekretärin Elizabeth Layton (Lily James) zusammenscheißt, als sie kaum 30 Sekunden für ihn gearbeitet hat. Für Churchills gespaltenes Verhältnis zu seinen Kindern bleibt auch nur eine einzige Szene Platz, in der Regisseur Wright es aber immerhin wirkungsvoll versteht, allein durch seine Inszenierung kleiner Reaktionen enorm viel über die Dynamiken in dieser Familie zu erzählen. Ansonsten jedoch ist "Die dunkelste Stunde" ein ziemlich unreflektiertes, mit viel Pathos versehenes Abfeiern von Churchill in "Große Gestalt der Geschichte"-Pose, und somit ein Film, der seinem Hauptdarsteller mehr als genug Gelegenheit zum Glänzen gibt. 

Womit wir denn auch beim zentralen Verkaufsargument und der eigentlichen Daseinsberechtigung dieses Films angekommen wären und dem besten Grund, ihn sich anzusehen: Gary Oldman. "Die dunkelste Stunde" ist von vorne bis hinten reinstes Oscar bait, ein Film wie maßgeschneidert dafür, seinem Hauptdarsteller die goldene Trophäe einzubringen, und es ist sehr wahrscheinlich, dass das hier auch funktionieren wird. Nicht nur, weil Oldman fraglos einer der profiliertesten Darsteller seiner Generation ist, der es aufgrund eines Mangels an wirklich großen Hauptrollen bislang aber nur auf eine einzige Oscar-Nominierung gebracht hat (2012 für "Dame, König, Ass, Spion"), und es durchaus angebracht wäre, ihm jetzt auch mal einen Oscar zuzuschustern. Sondern auch und vor allem, weil er in diesem Falle auch wirklich verdient wäre. Was Oldman hier abliefert, ist schlicht eine makellos perfektionierte Vorstellung, eine bis ins kleinste Detail ausgearbeitete Verkörperung dieser historischen Gestalt. Einzig dank Oldmans punktgenauem und nuanciertem Spiel gelingt es dem Film, seiner Hauptfigur mehr psychologische Facetten abzugewinnen als das allenfalls solide Drehbuch von sich aus herausarbeitet. Mithin fühlt es sich an, als würde dieser ganze Film wirklich nur existieren, um Oldman die Gelegenheit zu geben, diese Rolle zu spielen - und die angemessenen Preise dafür einzusammeln.

So kann "Die dunkelste Stunde" trotz aller gekonnten Inszenierung und dem der historischen Situation durchaus angemessenen Pathos eben nie ganz kaschieren, dass er ein doch sehr konventionelles Historiendrama ist und entsprechend von vorne bis hinten sehr kalkuliert wirkt. Da darf sich auch keiner wundern, wenn es in den großen Kategorien bei einer einzigen Oscar-Nominierung bleiben wird. Für die große Gary Oldman-Show kann man sich diesen Film aber auf jeden Fall ansehen, und ebenso, wenn man sich nach "Dunkirk" mehr für die historischen Hintergründe von Nolans in Sachen Kontext extrem reduziertem Kriegsepos interessiert. 

Bilder: Copyright

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