Effi Briest

Jahr
2009
Laufzeit
118 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Frank-Michael Helmke / 30. Mai 2010

In den Weihnachtsferien 1994 hatte ich genau zwei Dinge zu tun: Das gerade geschenkt bekommene und heiß ersehnte Computerspiel "Wing Commander III" zocken, und die neue Lektüre meines Deutsch-Kurses lesen, Theodor Fontanes "Effi Briest". Wo meine Prioritäten lagen, dürfte klar sein, aber da das Spiel natürlich High End und in seinen technischen Anforderungen sehr anspruchsvoll war, mein damaliger Rechner aber noch mehr als eine Generation zurück, musste ich mich vor jeder Mission exakt fünf Minuten vor einem Ladebildschirm gedulden, bis es endlich weiter ging. Dank dieser fünf Minuten habe ich "Effi Briest" ziemlich genau in derselben Zeit gelesen, die ich benötigte, um "Wing Commander III" durchzuspielen. Und dank meiner völlig abwesenden Aufmerksamkeit während der Lektüre und dem beiläufigen Erzählton des Romans, der sich an das gesellschaftliche Geplauder seiner Entstehungszeit anlehnt und Schlüsselmomente quasi zwischen den Zeilen versteckt, habe ich überhaupt nicht kapiert, was eigentlich vor sich ging.
In der ersten Stunde nach den Ferien beschwerte ich mich lauthals über die inhaltsleere und abstruse Geschichte, bis ich darauf hingewiesen wurde, dass Effi übrigens mit Crampas eine Affäre hatte. Bis zu dem Moment war mir das völlig entgangen.

Das mag man jetzt als Beweis nehmen, dass Computerspiele blöd machen, oder als Lektion, dass man große Literatur mit ein bisschen mehr Aufmerksamkeit lesen sollte als die McDonald's Kino-News. Oder man nimmt es als Beleg dafür, dass die neue Romanverfilmung von Hermine Huntgeburth eine sehr interessante und sogar sinnvolle Ergänzung zum Roman ist. Denn der Film zeigt genau das, was bei Fontane zwischen den Zeilen stand, die Geschichte hinter der Geschichte. Die inzwischen fünfte Verfilmung von Effi Briest (die letzte und berühmteste stammte von Rainer Werner Fassbinder aus dem Jahr 1974) macht aus der exemplarisch-tragischen Geschichte eine persönliche und erzählt "Effi Briest" konsequent aus der Perspektive von Effi selbst.

Gleich zu Anfang sieht man Effi (Julia Jentsch, "Die fetten Jahre sind vorbei", "Sophie Scholl") in aufgeregter Vorfreude auf einen Ball, doch der Tanz mit ihrem liebsten Verehrer wird von ihrer Mutter (Juliane Köhler, "Der Untergang") gestört, die sie in den Arm des Barons Geert von Instaetten (Sebastian Koch, "Das Leben der Anderen") befördert, 20 Jahre älter als Effi und pikanterweise in jüngeren Jahren ein glühender Verehrer ihrer Mutter. Am nächsten Tag schwärmt Effi in jugendlicher Sorglosigkeit mit einer Freundin von den hübschen jungen Männern, als ihre Mutter sie zum Haus ruft und ihr freudig verkündet, dass Instaetten um ihre Hand angehalten hat. Unten am Fluss winkt ihre Freundin. Der Abschied von Effis Jugend, die jetzt schon ganz weit weg erscheint.

In Szenen wie dieser kann man nicht nur das überragende Schauspiel von Julia Jentsch bewundern, die vollkommen vergessen macht, dass 13 Jahre zwischen ihr und der gerade mal 17-jährigen Effi liegen, und die sich für ihre fulminante Vorstellung hier den nächsten deutschen Filmpreis abholen sollte. Diese Szenen zeigen auch, wie elegant und sensibel Regisseurin Hermine Huntgeburth und ihr Drehbuchautor Volker Einrauch ihre Neu-Interpretation von "Effi Briest" umgesetzt haben. Sie bleiben dabei konsequent bei Effi und begleiten sie durch all jene Situationen, die absolut prägend für sie sind, im Roman aber kaum Erwähnung fanden.
Man sieht die Angst und den Schmerz in ihren Augen vor und während ihrer Entjungferung in der Hochzeitsnacht, die Instaettens Persönlichkeit entsprechend ziemlich gefühllos abläuft. Man sieht ihre verwirrte Verzückung, als sie sich nach Jahren betäubender Langeweile in einer lieblosen Ehe erstmals dem attraktiven Major von Crampas (Misel Maticevic) hingibt, der in ihr ungekannte Leidenschaften weckt und sie zu ihrem ersten Orgasmus bringt. Man sieht ihren Kampf gegen die Sehnsucht nach mehr, obschon sie weiß, dass der verheiratete Crampas nur ein leichtfüßiger Verführer ist. Und man sieht ihr verzweifeltes Bemühen, die tragischen Konsequenzen ihrer Affäre zu ertragen.

So inszeniert Huntgeburth den etwas angestaubten Klassiker als moderne, passionierte Geschichte einer jungen Frau in ihrem Kampf mit (und eben nicht ihrem Scheitern an!) den gesellschaftlichen Konventionen ihrer Zeit. Der Film ist ganz bei seiner Heldin, zeigt sie dementsprechend letztlich auch nicht als Opfer, sondern leistet sich eine Umgestaltung des Endes, das vom Roman abweicht, für die hier gezeichnete Effi Briest aber konsequent und richtig ist.
Statt einer braven Literaturverfilmung schaffen Huntgeburth und Einrauch ein persönliches, von starken Gefühlen getragenes Drama, das sozusagen die Lücken füllt, die der Roman seiner Form und Zeit entsprechend lassen musste. Dank der Konzentration auf die Heldin und die großartige Leistung von Julia Jentsch ist der Film gerade auch als Ergänzung zum Roman zu empfehlen (z.B. für alle Schüler, die in ihren nächsten Ferien für die Schule "Effi Briest" lesen müssen). Hier lernt man Effi wirklich kennen und kann nachempfinden, welche persönliche Tragödie hinter der Geschichte dieses Teenagers steht.

Bei allem Lob für Julia Jentsch soll auch das restliche Ensemble nicht vergessen werden, dessen namhafte Besetzung hohe Erwartungen weckt, die durch die Bank erfüllt werden. Gerade Sebastian Koch leistet dezente und darum umso großartigere Arbeit bei der Darstellung des blind den Regeln und Konventionen preußischer Gesellschaftsordnung folgenden Barons, und schlichtweg großartig ist auch Barbara Auer als wundervoll passiv-bösartige Hausangestellte Johanna.
Sie alle tragen ihren Teil dazu bei, dass aus "Effi Briest" ein mitreißender, aufregender Film geworden ist, ein lebendiges Drama, ebenso gefühlvoll wie leidenschaftlich. Puristen mögen über Ergänzungen, Kürzungen und Abweichungen streiten. Aus der Sicht eines Cineasten kann man nur sagen: "Effi Briest" ist großes Kino.

Bilder: Copyright

Der schönste Kritik-Einstieg seit langem (der einer ganzen Generation aus der Seele sprechen wird) - und ein kleines Kunststück obendrein, daraus dann eine Filmempfehlung zu entwickeln!

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Ja, eine tolle Filmkritik. Fast wie ein eigener, kleiner Film. Grosses Kompliment und ich bin geneigt, mir den jetzt doch anzuschauen...

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6
6/10

nett - aber eher was fürs TV

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