El Bulli - Cooking in Progress

Originaltitel
El Bulli - Cooking in Progress
Jahr
2010
Laufzeit
108 min
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Margarete Prowe / 16. September 2011

Ein Mann sitzt im Dunkeln und lutscht einen fluoreszierenden Lolli. Der Lolli ist aus Fischprotein, der Mann Ferran Adriá, berühmtester Avantgardekoch der Welt. Seine "techno-konzeptuellen" Kreationen sind legendär - Schäume, salziges Eis, warme Gelees oder Vakuumierung verblüffen die Gäste immer wieder neu, denn seine El BulliKüche steht unter dem simplen Credo: "Kreativität heißt nicht zu kopieren." Er schmeckt, er forscht, er sucht. Dafür schloss er immer wieder für ein halbes Jahr sein Restaurant, um im Labor in Barcelona zu forschen, was man mit Essen noch anstellen kann, so dass es wieder überraschen kann.

Umso erstaunlicher erscheint diese halbjährige Schließung, da in der geöffneten Zeit nur 8000 Gäste im Jahr im "El Bulli" speisen können - gegenüber einer jährlichen Anzahl von zwei Millionen Reservierungsanfragen. So hatten nur die wenigsten bisher das Glück, einmal die jährlich wechselnden 35 verschiedenen Gerichte seiner Küche zu probieren. Ferran Adriá gilt als solcher Künstler unter den Köchen, dass er 2007 sogar zur Documenta 12 geladen wurde: Sein Essen im "El Bulli" war das Ausstellungsstück und so wurden täglich Gäste von Kassel nach Barcelona gebracht. 

Im Jahr 2008/2009 begleiteten Regisseur Gereon Wetzel Adriá und sein Team vom Restaurant, wo alles in Klarsichtfolie eingepackt wurde, über Monate hinweg ins Labor und schließlich wieder zurück ins "El Bulli" für die neue Saison. Wer zum Zeitpunkt des Kinostarts auf Glück bei einer Reservierungsanfrage in diesem meistgebuchten Gourmettempel der Welt hofft, der muss leider enttäuscht werden: Im Juli 2011 schloss das berühmteste Restaurant der Welt, "El Bulli" in Katalonien, seine Pforten. Adriá widmete das Haus zu einer Stiftung um, die sich ab 2014 ganz der kulinarischen Forschung verschreibt. 

El Bulli"El Bulli - Cooking in Progress" ist so weit von den Jamie-Oliver-Mälzer-Lichter-Lafer-Shows entfernt, dass der Film am ehesten mit den Dokumentationen des amerikanischen Dokumentarfilmer-Urgesteins Frederick Wiseman oder aber mit der kürzlich angelaufenen Doku "Gerhard Richter Painting" verglichen werden kann. Es ist ein Film über einen künstlerischen Schaffensprozess, in dem - wie bei Wisemans Dokus über Institutionen ("La Danse") - alles kommentarlos gezeigt wird. Im Gegensatz zu Wiseman blendet Wetzel immerhin ein Mindestmaß an Informationen ein, so dass der Zuschauer erfährt, in welchem Monat er sich gerade befindet und dass sich Adriá mit seinem Team zurückzieht, um ein halbes Jahr zu forschen. Doch ansonsten ist die Kamera wie eine Fliege an der Wand – immer wieder sind die Bilder in der Küchenhektik sogar unscharf.

Wie in "Gerhard Richter Painting" sieht man einen Künstler, der kreiert, indem er mal dies und mal jenes tut, nachdenkt und auch nicht davor zurückschreckt, ein Produkt zu verwerfen und weiterzusuchen nach dem optimalen Ausdruck für seine Schöpfung. Adriá macht wenig Worte, in einer Sequenz sieht man ihm minutenlang beim Probieren immer neuer Gerichte zu, zu denen er einfach nichts sagt, sondern sich nur Notizen macht. Dann sehen wir ihm über die Schulter und bemerken, dass er zu den Gerichten nur ein simples "ok" geschrieben hat. Hier wird kein Fisch in die Kamera gehalten und immerzu "Hmm, ist der lecker, der ist so frisch, der ist so wunderbar, habt ihr schon einmal solch einen tollen Fisch gegessen" gerufen wie bei TV-Köchen, sondern ein zufriedener Gesichtsausdruck ist das höchste Lob. Wenn Adriás Augen leuchten, so sieht man den betreffenden Köchen die Erleichterung im Gesicht stehen.

El BulliMag die Kamera auch gelegentlich unscharf sein, so ist „El Bulli – Cooking in Progress“ doch durch seine ruhigen Bilder und durch seinen fantastischen Schnitt filmisch ansprechend. Wer den ganzen Film über darauf wartet, dass sich ihm enthüllt, was für ein Gericht hier eigentlich zubereitet wird, der wird nicht enttäuscht. Am Ende werden die Fotos des Kataloges für das entsprechende Jahr als Diashow gezeigt und man weiß endlich, um was es sich bei den Kreationen handelt, die bis dahin oftmals nur mit kryptischen Namen wie "Peking" bezeichnet worden waren.

Hier offenbart sich aber auch ein Haken dieses digital gefilmten Dokumentarfilms: Die untertitelte Food Photography lässt einem perfekt ausgeleuchtet das Wasser im Mund zusammenlaufen - erst hier im Fotografischen offenbart sich die Sinnlichkeit der Farben und Texturen wirklich. Doch was sind die Bilder gegen das Geschmackserlebnis vor Ort im "El Bulli"? Immer noch ungenügend. Man kann hoffen, dass die kulinarische Forschungsstiftung noch mehr Köche beeinflusst, kreativer zu sein mit den Grundstoffen ihrer Kunst. Wenn diese jetzt noch das Credo beherzigen "Kreativität heißt nicht zu kopieren", anstatt Adriá nachzuahmen, dann hat Ferran Adriá der Welt die Magie des Kochens auf Dauer eingehaucht.

Bilder: Copyright

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