Ich habe den englischen König bedient

Originaltitel
Obsluhoval jsem anglického krále
Jahr
2006
Laufzeit
120 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
6
6/10
von Matthias Kastl / 1. Januar 2010

Mit "Liebe nach Fahrplan" gewann der tschechische Regisseur Ji?í Menzel 1968 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Genau 40 Jahre später schickten ihn seine Landsleute wieder in das Rennen um die begehrte goldene Trophäe. Diesmal im Gepäck: Eine satirische Zeitreise durch die tschechische Geschichte. Doch "Ich habe den englischen König bedient" schaffte es 2008 leider nicht einmal in die Endrunde der Academy, was beim Anschauen des Films allerdings nicht wirklich Proteststürme auslösen sollte. Menzels Parabel über Geldgier und Opportunismus ist lange Zeit nämlich viel zu harmlos, um zu begeistern oder gar zu provozieren, nur um dann gegen Ende auf einmal die versäumte Bissigkeit auf eine doch etwas zu abgefahrene Weise nachzuholen. Wenigstens sorgt letzteres aber zumindest für einen gewissen Unterhaltungsfaktor im Schlussdrittel, der gepaart mit Menzels durchgehend eleganter Inszenierung vielleicht noch eine vorsichtige Empfehlung für die ganz Neugierigen rechtfertigt. Oder formulieren wir es mal besser so: Lust darauf, Deutschlands Nachwuchsstar Julia Jentsch als Nazibraut mit Zöpfchen und Lodenkostüm beim Geschlechtsverkehr mit dem Führer zu beobachten? Dann bist du hier richtig.

Die Hauptfigur ist aber ja eigentlich jemand anders, nämlich der junge tschechische Kellner Jan Díte (Ivan Barnev). Der hält sich bei seiner Arbeit in den edlen Restaurants von Prag Mitte der 1920er Jahre immer schön an die Ratschläge seiner großen Vorbilder, zum Beispiel dem erfahrenen Oberkellner Skrivánek (Martin Huba): "Alles sehen, alles hören, nichts sagen". Denn nur so kann man in dieser Branche Erfolg haben. Und genau das will Jan. Noch konkreter, Jan möchte Millionär werden. Mit diesem ehrgeizigen Ziel stolpert er dann auch gleich durch mehrere Jahrzehnte tschechischer Geschichte und die Gesellschaft von reichen Industriellen, schönen Frauen und fanatischen Nazis. Und verliebt sich dabei doch auch glatt in die junge Sudetendeutsche Líza (Julia Jentsch). Ob es wohl an deren hübscher Tracht liegt?

Ja, aus deutscher Sicht ist der Auftritt von Julia Jentsch ("Sophie Scholl", "Die fetten Jahre sind vorbei") natürlich das Highlight. Aber immer der Reihe nach. In guter alter "Forrest Gump"-Tradition schickt Menzel in seinem neuesten Film eine etwas naive Hauptfigur durch einige der aufwühlendsten Momente der tschechischen Geschichte, um gleichzeitig auf satirische Weise die Geldgier und den Opportunismus der damaligen Gesellschaft anzuprangern. So bekommen wir hemmungslos überzeichnete Figuren und Szenarien geliefert, denen eine mehr als deutliche symbolische Funktion zukommt.
Allen voran natürlich Jan, der vom jungen Ivan Barnev, dem Ton der Geschichte angemessen, auf sehr überzogene und theatralische Weise dargestellt wird. Jan hinterfragt seine Umgebung nie kritisch und hat Reichtum als das einzig erstrebenswerte Ziel auserkoren. Da das nun nicht wirklich sympathisch klingt, verpasst man Jan allerdings noch einen kindlichen Lausbubencharme, der stellenweise an Roberto Benignis Guido aus "Das Leben ist schön" erinnert. Das ist wichtig für das Band mit dem Zuschauer, kann aber die große Schwäche der ersten Hälfte dieses Filmes nur zum Teil übertünchen.
Gute Satire braucht Biss, und genau das fehlt dem Film in der ersten Hälfte doch deutlich. Im Wesentlichen weist die Geschichte hier nämlich nur darauf hin, dass wir Menschen eine ziemlich geldgierige Spezies sind. Diese doch recht simple Aussage wird immer wieder von dem Film auf dieselbe Art und Weise unters Volk gebracht. Jan wirft Münzen auf den Boden, die wenige Sekunden später von gierigen Menschenhänden aufgesammelt werden. Dazu darf der ehrgeizige Nachwuchskellner mit offenem Mund noch eine wilde Party der High Society nach der anderen erleben, unterbrochen von ein paar kleinen erotischen Abenteuern. Mehr passiert erst einmal nicht, und das wirkt dann doch auf die Dauer etwas belanglos.
Ist allerdings optisch durchaus schön anzuschauen, dank eleganter Kamerafahrten und liebevoller Ausstattung. Die Szenen selbst sind auch durchaus mit Schwung inszeniert, doch ein bisschen mehr Inhalt sollte es dann doch bitte schon sein. Da kann auch der immer wieder einsetzende Strang rund um einen gealterten Jan, durchaus souverän dargestellt von Oldrich Kaiser, nicht wirklich für Abhilfe sorgen. Ihn lässt Menzel nicht nur aus dem Off seine eigene Jugend kommentieren, sondern spendiert ihm auch noch eine eigene kleine Liebesgeschichte in der Gegenwart. Welche aber auch nicht wirklich vorankommt. Doch wer bisher die Substanz vermisst hat, der braucht sich keine Sorgen machen. Denn die gibt es dann im Verlauf der zweiten Hälfte. Und zwar per Überdosis.

Die Wende kommt mit dem Einzug der Nazis. Dieser scheint beim Drehbuch irgendwie eine verborgene Ideenquelle freizusetzen, denn nun wird man förmlich mit abgefahrenen Einfällen bombardiert. Wir werfen mal Wortfetzen wie "Fortpflanzungsfabrik" und "Sex mit Hitler" in den Raum. Wer vorher überraschende Ideen vermisst hat, der bekommt nun einen ganzen Eimer davon über den Kopf geschüttet. Endlich Leben in der Bude. Aber der Grat zwischen Brillanz und fragwürdigem Schwachsinn ist ein schmaler, und das bekommen wir auch hier zu spüren. Manche Sachen sind dann nämlich doch einfach etwas zu abgedreht und funktionieren leider nur bedingt so wie sie sollten.
Vor allem als Deutscher bleibt einem hier manchmal ein wenig das Lachen im Halse stecken. Da hat man Julia Jentsch gerade noch als Märtyrerin Sophie Scholl in Erinnerung, und nun betritt sie mit Locken, Tracht und Naziparolen die Bühne. Harter Tobak. Da weiß man nicht wirklich, ob man sie nun für diesen Mut beglückwünschen oder ihr entgeistert ein "Was soll denn das nun?" entgegenschleudern soll. Sicher, ist ja nur Satire. Aber im Gegensatz zu Ivan Barnev spielt Jentsch ihr Figur derart ernst und sachlich, dass man doch irgendwie ein flaues Gefühl in der Magengegend bekommt. Ein bisschen mehr Augenzwinkern hätte der Líza schon gut getan, vor allem angesichts dieser einen wirklich wahnwitzigen Szene.

Natürlich lässt sich aber nicht leugnen, dass der Film nun deutlich unterhaltsamer wird und endlich auch etwas an Kontur gewinnt. Der Wechsel von einem banalen Porträt der menschlichen Geldgier hin zu der etwas komplexeren Anklage der opportunistischen tschechischen Gesellschaft während der Nazibesetzung - das tut dem Film schon wirklich gut. Aber so ganz überzeugen kann das eben auch hier nicht.
Ein bisschen symptomatisch für das ganze Dilemma ist dann auch das Finale. Während man für den Strang rund um den jungen Jan ein wirklich wundervolles Ende findet, gelingt genau das bei der gealterten Version unseres tschechischen Kellners überhaupt nicht. Hier ist die Auflösung sogar dermaßen einfallslos, dass man schon ernsthaft nach der Daseinsberechtigung dieses kompletten Stranges fragen muss.
So mag am Ende zwar manch einprägsame und schön inszenierte Sequenz im Gedächtnis zurückbleiben, als Gesamtpaket kann dieser Film dann aber, dank seiner vieler Unebenheiten, doch nicht wirklich überzeugen. Da heißt es also abwarten auf das nächste internationale Ausrufezeichen des tschechischen Altmeisters. Diesmal aber bitte keine 40 Jahre warten.


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