Kroko

Jahr
2003
Laufzeit
92 min
Genre
Regie
Bewertung
von Frank-Michael Helmke / 14. November 2010

 

Fressen oder gefressen werden: Diese einfache Weisheit gilt auch im Großstadt-Dschungel des Berliner Problembezirks Wedding, und für welche Alternative sich Cliquen-Königin Kroko entschieden hat, macht schon ihr Spitzname klar. Mit ungebändigter Aggression und Bissigkeit setzt sie ihren Willen durch, bestreitet ihren Lebensunterhalt lieber mit Ladendiebstählen und Schutzgelderpressung als mit einem schlecht bezahlten Job, und begegnet auch ihrer verzweifelten Mutter konsequent mit ihrer Mach-mich-nicht-an-Attitüde. Kroko ist eiskalt, unnahbar und die Härte in Person. Entsprechend gelangweilt und bockig tritt sie denn auch nach einem von ihr verursachten Autounfall (wohlgemerkt mit fremdem Fahrzeug) und dem Gewohnheitsbesuch beim Jugendgericht ihre Strafe von 60 Sozialstunden in einer Wohngemeinschaft für Behinderte an.

Wären wir hier in einem gängigen "Problemfilm", dann wäre klar, was jetzt kommt: Die emotionslose Banden-Königin macht wichtige zwischenmenschliche Erfahrungen, erkennt die wahren Werte im Leben und kehrt einsichtig und geläutert ab von ihrem unmoralischen Pfad. Dass das im echten Leben allerdings längst nicht so schnell und einfach geht, wie uns Hollywood gerne weismachen würde, weiß auch Sylke Enders, Regisseurin und Autorin von "Kroko". Und dementsprechend ist ihr mit Minimalbudget und Laiendarstellern produzierter Debütfilm auch keine übermoralische Gutmensch-Geschichte, sondern eine realgetreue Milieustudie, die lieber präzise beobachtet als plakativ zu manipulieren - und so die Veränderungen ganz subtil da einfängt, wo sie wirklich passieren: Im Kleinen.
Da dauert es lange, bis sich Kroko zaghaft auf die unverfrorene, unschuldige Offenheit der "Spastis" einlässt - und das heißt noch lange nicht, dass sie hinterher nicht wieder mit ihrer Clique auf organisierte Ladendiebstahl-Tour geht. Kroko erscheint am Ende zwar vielleicht sympathischer als am Anfang: richtig mögen tut man sie trotzdem nicht. Aber man versteht sie, und darauf kommt es an. Mit einer kongenialen Szene zwischen Kroko und ihrer kleinen Schwester verdeutlicht Enders, dass Krokos aggressive Attitüde nackter Selbstschutz ist in einer Umgebung, die dir nichts lässt, wenn du angreif- und verletzbar bist. Und sie zeigt zu anderer Gelegenheit ebenso, dass auch Kroko ihren wunden Punkt hat, ob sie will oder nicht.
So entsteht eine faszinierende, komplexe Charakterstudie, die ihre jugendlichen Charaktere und deren Lebenswelt ohne Vorurteile ernst nimmt, und die vielleicht gerade deshalb so überzeugend gelingt, eben weil sie sich auf lebensnahe Laiendarsteller verlässt. Hinnerk Schönemann als Krokos Freund Eddie ist ein Ausnahmetalent, Franziska Jünger in der Hauptrolle eine schlichte Sensation: Mit einem Blick, der wohl wirklich töten könnte, erweckt sie die Ghetto-Göre mit beeindruckender Intensität zum Leben und vervollständigt Enders' bravouröse Figuren-Vorlage zu einem unvergesslichen Meisterstück. Dass diese junge Dame im wahren Leben Arzthelferin und nicht etwa Schauspielerin ist, erscheint da ebenso unglaublich wie bedauerlich. Eine berufliche Neuorientierung sei ihr dringend empfohlen.

Ohne erhobenen Zeigefinger und ohne einfache Lösungen für schwierige Probleme zu predigen, gelingt Sylke Enders ein authentisches Jugendportrait, dem es auch an alltäglicher Komik nicht fehlt, und das trotz eines organischen, realistischen Handlungsverlaufs noch in der Lage ist, überzeugende Auswege aufzuzeigen - ohne dabei zu verschweigen, dass diese schwer und mühselig sind. Ein kluger Film, dessen unspektakuläre Ehrlichkeit auch die Jury des Deutschen Filmpreises überzeugte: Die verlieh "Kroko" den Filmpreis in Silber. Ein gerechter Lohn für einen Film, der sich alle Achtung verdient und beweist, wie unverkrampft, direkt und wirkungsvoll deutsches "Problemkino" im besten Falle sein kann.

 


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