Monster

Originaltitel
Monster
Land
Jahr
2003
Laufzeit
111 min
Genre
Release Date
Bewertung
6
6/10
von Simon Staake / 22. Juni 2010

 

Aileen Wuornos hat eine geladene Knarre, fünf Dollar in der Tasche und einen Deal mit Gott. Wenn der ihr nicht in den nächsten fünf Minuten etwas zeigt, was ihr Leben lebenswert machen könnte, schießt sie sich eine Kugel in den Kopf. Und in genau diesen fünf Minuten trifft sie in einer Bar die junge Selby (Christina Ricci), die aufgrund ihrer lesbischen Neigung zur erzkonservativen Verwandtschaft geschickt wurde, um "kuriert" zu werden. Zwischen Aileen, der abgewrackten Straßenhure, und Selby, der naiven Göre, entwickelt sich vorsichtig Zuneigung. Und Aileen, die ein Leben lang keine Chance und noch weniger einen Ausweg hatte, erkennt in Selby die Möglichkeit auf ein neues, glückliches Leben. Aber dafür braucht man Geld. Und deswegen kommt Aileens Waffe schon bald doch noch zum Einsatz, und für die Freier, die Aileen in ihr Auto lassen, ist es das Letzte, was sie tun....
Die Lobeshymnen aus Amerika auf die Leistung Charlize Therons in "Monster" schallten auch bis auf diese Seite des Atlantiks, der Oscar als beste Hauptdarstellerin wurde gerade mit nach Hause genommen, und was soll man sagen - die Stimmen haben vollkommen recht und die Verleihung ist hochverdient. Therons Transformation in ihre Rolle ist dermaßen glaubwürdig, eindringlich und komplett wie es zuletzt Robert de Niro in "Wie ein wilder Stier" gelang. Schade aber, dass nicht wie in dessen Falle die Brillanz des Filmes mit der Brillanz der darstellerischen Tour de Force mithalten kann. Denn "Monster", die dramatisierte Geschichte der Straßenhure und Serienmörderin Aileen Wuornos, die 1989 sieben ihrer Freier tötete und ausraubte, leidet unter inszenatorischen und inhaltlichen Schwächen, welche zumindest teilweise auch in der schwierigen Thematik des Filmes begründet sind, den Film in seiner Aussagekraft aber doch deutlich abschwächen. Schön, dass sich Drehbuchautorin und Regisseurin Patty Jenkins einer Geschichte angenommen hat, die es wert ist, erzählt zu werden. Schade, dass sie dabei diverse Stolpersteine nicht umgeht. Heraus kommt ein Film mit deutlichen Schwächen, aber einer großartigen One-Woman-Show.

Das Problem, der Thematik "Serienmörder" gerecht zu werden, ohne ins Reißerische zu verfallen, erledigt "Monster" noch mit Bravur. Aber die durch den Titel schon implizierte Humanisierung der Protagonistin (Man darf sich fragen, ist sie das Monster, als das die Medien sie hochstilisierten?) und die Parteilichkeit der Geschichte sind da schon eine andere Sache. Denn die komplette Konzentration auf Aileen Wuornos (inklusive "authentischer" Off-Kommentare aus Jenkins' Unterhaltungen mit der Serienmörderin vor deren Ekekution) sorgt für Schwierigkeiten. Da können Frau Jenkins und Frau Theron noch so sehr in die Aufnahmegeräte begieriger Reporter diktieren, dass sie auf keinen Fall Aileen Wuornos glorifizieren wollen. Tatsache ist, dass der Film sich über einen langen Zeitraum zu sehr bemüht, Wuornos' Taten soziologisch zu rechtfertigen. Die ausgesandten Signale sind demnach sehr gemischt, und erst spät, vielleicht zu spät, wenn die Opfer (der dadurch auch eher einfachen Logik des Films nach) eindeutig "unschuldiger" werden, entscheidet sich Regisseurin Jenkins zu der Aussage, dass das, was Wuornos hier tut, falsch ist.
Das Ganze ist im Grunde genommen ein manipulativer Trick. Indem man die ersten Opfer entweder explizit (der Vergewaltiger als erstes Opfer) oder implizit (das zweite Opfer) negativ darstellt, werden Wuornos' Taten einer Vigilantenlogik folgend (zumindest teilweise) gerechtfertigt - und die Sympathien der Zuschauer bleiben bei ihr. Dies wäre als inhaltliche Aussage aus der Sicht der Protagonistin selbst noch zu rechtfertigen - aber der Film bemüht sich nicht, diese Haltung von mehr als nur dieser einen Seite zu untersuchen. So hätte zumindest irgendeine Objektivierung der eingenommenen Sichtweise (irgendeine Anerkennung der Opfer durch Kommentare eines Angehörigen zum Beispiel) geholfen, den Film weniger voreingenommen erscheinen zu lassen. Denn dadurch, dass zumindest in der ersten Filmhälfte eigentlich jede männliche Figur (ausgenommen Bruce Dern als Aileens einziger Freund Thomas) negativ dargestellt wird, erklärt man zwar hinreichend Wuornos' Männerhass (den sie nach anfänglichen Versuchen, ihre Morde jeweils als Selbstverteidigung hinzustellen, später freimütig als Tatmotiv einräumte), aber die zu erwartenden Bruchstellen in der Geschichte, die moralischen Ambivalenzen, wirken abgemildert und simplifiziert und die Geschichte selbst wird dadurch leider bisweilen auch recht vorhersehbar.
Ganz abgesehen davon, dass Jenkins durch ihre Erklärungen das eigentliche Hauptmotiv für die Taten verwässert - das war nämlich immer noch Geld. Geld, um das Leben mit Selby zu finanzieren. Womit wir von einem Problem zum nächsten kommen, denn der Versuch, eine Mordserie als das "Nebenprodukt" einer tragischen Liebesgeschichte zu interpretieren ist, nun ja, fragwürdig. Jenkins entgleitet die Geschichte bisweilen, daher wirkt auch ihr Drehbuch mit dessen wild variierenden Stimmungswechseln so unrund. Auch dass eine lesbische Liebe als offenbar einzige Alternative zu den so offenkundig "bösen" Männern impliziert wird, lässt den Film (vielleicht sogar unbewusst) in eine Dichotomie abgleiten, die zumindest problematisch ist.

Sagen wir es also mal so objektiv wie möglich: Gerade, wenn man mit den Faktoren soziales Umfeld und emotionale (Kindheits-)Traumata operiert, ist es nur ein sehr schmaler Grad zwischen Erklären und Entschuldigen. Und zumindest der Rezensent hat das Gefühl, dass "Monster" mehrere Male deutlich auf der falschen Seite dieses Grades landet.

Was bleibt also hauptsächlich? Die monolithische Leistung Charlize Therons, die Nicole Kidmans ebenfalls Oscar-prämierten nosejob ("The Hours") aus dem letzten Jahr in Schande zurücklässt, was Glaubwürdigkeit und Schauspielintensität betrifft. Dass gerade eine so außerordentlich hübsche Darstellerin wie Theron sich derart verunstaltet, hat ja schon zu Häme geführt, und dass dies recht durchsichtig als Frontalangriff gegen ihre bisherigen Rollen als hübsches Beiwerk und als Ruf nach mehr Anerkennung als ernstzunehmende Schauspielerin zu werten ist, ist unbestritten. Solange das aber so erfolgreich und beeindruckend ist wie hier, muss man sich spitze Kommentare verkneifen. Und deswegen: Wenn doch nur mehr Schauspielerinnen, die in ihrer Rollenwahl bisher sehr festgelegt waren, solche Risiken eingehen, solche Mühen auf sich nehmen und dann solche Leistungen bringen würden. Wenn man sich Therons Arbeit in ihrer Gesamtheit betrachtet - nicht nur die angefressenen Speckpolster, sondern die kleinen Gesten, die Augensprache etwa - kann man eigentlich gar keine anderen als lobpreisende Kommentare abgeben. Natürlich sollen die Mühen auch zur Schau gestellt werden, und so saugt sich die Kamera gerade bei den Szenen, in denen Theron halb oder wenig bekleidet ist, an jedem Fettpölsterchen fest oder bleibt auch gerne mal lange in Großaufnahme auf dem mit Zahnprothese und MakeUp geschickt veränderten Gesicht hängen. Aber all das wäre ohne die komplett überzeugende schauspielerische Leistung hinter MakeUp, Kostüm, Prothese und Extrafett nur Makulatur, nur ein Trick. Diese Performance ist echt. Und ganz ehrlich - wüsste man nicht, dass dies Charlize Theron ist, es wäre nicht zu erkennen. Diese Transformation ist nicht nur beeindruckend, sie ist unglaublich.

Dagegen kann dann Therons Partnerin nur verlieren, was eigentlich ungerecht ist. Denn Riccis Performance wirkt nur deswegen so deutlich schwächer, weil ihre Figur Selby nicht überzeugend ausgearbeitet ist. Sie bleibt zu skizzenhaft und wird gerade in der zweiten Filmhälfte dank immer formelhafterer Entwicklung nur zur Stichwortgeberin degradiert (so etwa: Selby hat Hunger und beschwert sich, Aileen muss Geld auftreiben und bringt daher den nächsten Freier um). Auch hier wird dann nochmals das Grundproblem von "Monster" deutlich: Mit dem exklusiven Focus auf Aileen Wuornos ist die Sichtweise schlicht zu begrenzt und die Figuren drum herum wirken simpel und klischiert. Dadurch kommt es zu einer paradoxen Situation: Therons ohnehin schon großartige Leistung wird noch deutlicher herausgestellt und sie wirkt noch stärker - der Film aber wird dadurch deutlich schwächer.

Nun sollen diese Einwände niemanden zu der Annahme verleiten, "Monster" wäre kein sehenswerter Film, das ist er nämlich ohne Frage. Er ist nur leider aufgrund mangelnder Komplexität und diversen inhaltlichen Fragwürdigkeiten bei weitem nicht das uneingeschränkte Meisterwerk, als dass ihn so mancher US-Kritiker empfindet. Aber Charlize Therons Leistung allein macht den Film zum Pflichtprogramm für jeden Filmfan. Die ist nämlich wahrlich monströs gut.


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