My Reincarnation

Originaltitel
My Reincarnation
Jahr
2010
Laufzeit
101 min
Regie
Release Date
Bewertung
6
6/10
von Margarete Prowe / 4. Februar 2012

Was tut man, wenn man nach Abschluss eines Dokumentarfilmes, an dem man 20 Jahre lang gearbeitet hat, feststellt, dass trotz Förderung, Senderkooperationen und Co. noch Rechnungen in Höhe von 100.000 Dollar offen sind, aber einfach kein Geld mehr da ist? Die bekannte amerikanische Dokumentarfilmerin Jennifer Fox wandte sich an die Öffentlichkeit und sammelte über die Crowd-Funding-Seite „Kickstarter“ unglaubliche 154.000 Dollar für ihre Nischen-Doku „My Reincarnation“ über einen buddhistischen Meister aus Tibet, der seit einem halben Jahrhundert in Italien wohnt, und seinen westlich-modern aufgewachsenen Sohn, der lieber bei IBM Karriere machen will als sein kulturelles Erbe als Reinkarnation seines Onkels, eines spirituellen Meisters anzutreten. Hat der Film auch Schwächen, so ist die Geschichte dahinter spannend genug, um das Projekt zu würdigen.

1988 ist Yeshi Silvano Namkhai ein pickeliger Teenager in Italien und ziemlich genervt von seinem Vater. Dies erscheint normal, doch Yeshi sagt, dass seine Familie alles andere als normal ist. Sein Vater Chögyal Namkhai Norbu ist ein wiedergeborener buddhistischer Meister aus Tibet, der sich mehr um seine wachsende Anhängerschar kümmert als um seinen Erstgeborenen. Yeshis Zuhause ist voller Menschen, doch wenn sein Vater auf Reisen zu seiner Gemeinde durch die Welt fährt, kommt niemand zu Besuch. Yeshi wurde schon als kleines Kind als Reinkarnation seines Onkels erkannt, will davon jedoch nichts wissen. Norbu betrachtet seinen Sohn abwartend. Während er der Gemeinde Ratschläge gibt und sich die Probleme seiner Anhänger geduldig anhört, ist das Verhältnis zu seinem Sohn distanziert. Aufgrund seiner eigenen strengen Erziehung im Kloster müsste er seinen Sohn eigentlich ins Kloster nach Indien senden, da dieser als Wiedergekehrter früh auf seine Rolle vorbereitet werden muss. Stattdessen überlässt er Yeshi selbst die Entscheidung, ob und wann er sein kulturelles Erbe antritt, während er sich seiner Verantwortung stellt, die tibetisch-buddhistische Kultur auch in der Diaspora zu bewahren. Yeshi, Sohn einer katholischen Mutter und eines buddhistischen Meisters, sieht sich jedoch als westlicher Jugendlicher, studiert Informatik und macht Karriere bei IBM. Er gründet eine Familie und setzt sich erst nach vielen Jahren langsam mit seinem Erbe auseinander, zu einem Zeitpunkt, zu dem sein Vater schon krank ist und vielleicht nicht mehr lange zu leben hat.

Die Vater-Sohn-Geschichte hinter „My Reincarnation“ ist eigentlich vielschichtig und interessant, trägt den Zuschauer jedoch nur holprig über die101-minütige Laufzeit des Films, da die Konflikte im Inneren der Figuren liegen und schwierig zu zeigen sind. Jennifer Fox filmt den Alltag der Familie, stellt (ungezeigte) Fragen, nimmt sich aber gleichzeitig komplett aus dem Geschehen heraus, so dass sich „Cinema-Verité“-artige Szenen ergeben, die jedoch durch Voiceover gebrochen werden. Man sieht tägliche Verrichtungen und gleichzeitig erzählen die Figuren von ihren Nöten und Hoffnungen. Yeshi hadert mit der ihm zugedachten Rolle, während Norbu sich nicht seiner Verantwortung für seine weltweite Gemeinde entziehen kann, obwohl ihn seine Gesundheit verlässt. Wer man sein soll, wer man sein will und wie man sein Leben schließlich lebt, sind universelle Fragen und trotzdem kommt der Zuschauer den Figuren emotional nie wirklich nah, sondern bleibt außen vor. Die Frauenfiguren sind merkwürdig passiv und werden nur am Rand gezeigt, was gerade bei der Feministin Fox erstaunt, von der man nicht angenommen hätte, dass sie sich hier nur auf den patriarchalischen Konflikt konzentriert.

Eigentlich ist Jennifer Fox eine hervorragende Regisseurin: Schon ihre erste Dokumentation „Beirut: The Last Home Movie“ (1987) gewann beim Sundance Film Festival den Preis für den besten Dokumentarfilm und die beste Kamera bei einer Dokumentation. In „Beirut“ folgte sie dem Alltag der Familie Bustros, die in einer 200 Jahre alten Villa lebt, während um sie herum der libanesische Bürgerkrieg tobt. 1999 beeindruckte sie Sundance mit einer 10-teiligen Serie über das Leben einer Familie bestehend aus schwarzem Mann und weißer Frau sowie ihren Töchtern namens „An American Love Story“, das sich auf die Cinema-Verité-Serie „An American Family“ von 1973 bezog, in der eine weiße Familie der Mittelklasse ungeschönt im Alltag beobachtet worden war und die im amerikanischen Fernsehen eine Sensation war. In „Flying: Confessions of a Free Woman“ wandte sich Fox dem Feminismus zu und berichtete in ihrer persönlichsten Arbeit von ihrem eigenen Leben, zeigte gleichzeitig jedoch auch das Leben hunderter Frauen in 17 Ländern und interviewte sie zu ihrer Rolle als Frau. War „An American Lovestory“ über anderthalb Jahre hinweg gedreht worden, so zog sich „Flying“ schon über fünf Jahre hin und wurde mit der 20-jährigen Arbeit an „My Reincarnation“ sogar weit übertroffen.

Erschöpft von „Beirut – The Last Home Movie“ begann Jennifer Fox 1988/89 mit 25 Jahren als inoffizielle Sekretärin von Chögyal Namkhai Norbu zu arbeiten. Durch die Erfindung der Hi8-Kamera, die tragbar war und doch sendefähiges Material produzieren konnte, war sie in der Lage, den Alltag des Meisters unkompliziert zu filmen. Sie besuchte die Familie auch später immer wieder und drehte weitere Szenen. Zu Beginn ihrer Arbeit war natürlich nicht abzusehen, ob Yeshi sein kulturelles Erbe antreten würde, doch als er es schließlich in „My Reincarnation“ tut, führt dies zu den emotionalsten Szenen des Films. Leider wird jedoch fast nichts über die spezifische Art des Buddhismus erklärt, die von Norbu vertreten wird, die Dzogchen-Lehre. Der Zuschauer weiß nicht, warum gerade Norbu so wichtig ist für diese Lehre oder warum sich so viel des Films um das Schwimmen im Wasser zu drehen scheint. Plantscht Norbu einfach gern oder ist dies eine rituelle Handlung? Zwischen Italien und Tibet ist der Zuschauer somit häufig auf sich allein gestellt und versucht sich kulturell zurechtzufinden im Leben zwischen fernöstlicher Tradition und westlicher Moderne. Als wundervoll zu bezeichnen ist dafür übrigens der Einsatz des Liedes „Via Con Me“ des italienischen Liedermachers Paolo Conte mit seinem Refrain „It's wonderful, It's wonderful, It's wonderful, Good luck my baby“, der den Film musikalisch einrahmt.

„My Reincarnation“ basiert auf einer hochinteressanten Geschichte, aus der man einen hervorragenden Spielfilm machen könnte, doch als Dokumentarfilm leidet diese leider an ihrer eigenen „Echtheit“, die nun einmal wie das Leben manchmal langweilig und holprig daher kommt. Ein wenig regt sich auch die Frage, ob dies wirklich das Beste war, was man aus so vielen Stunden an Rohmaterial aus 20 Jahren schneiden konnte. So wird ein Buddhismus-interessiertes Nischenpublikum „My Reincarnation“ zu würdigen wissen, doch dem „normalen“ Zuschauer, der etwas über die Universalität menschlicher Empfindungen auf diesem Planeten sehen möchte, sei stattdessen die You-Tube-Gemeinschaftsarbeit „Life in a Day – Ein Tag auf unserer Erde“ empfohlen. Diese wurde nicht von einer Crowd finanziert wie Fox' Werk, sondern stattdessen gleich von einer weltweiten Crowd gedreht.

 
Bilder: Copyright

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