Spring Breakers

Originaltitel
Spring Breakers
Land
Jahr
2013
Laufzeit
94 min
Release Date
Bewertung
5
5/10
von Simon Staake / 20. März 2013

Bikini BanditsHarmony Korines Karriere begann als 19-jähriger mit seinem Drehbuch zu „Kids“, dem gezielten Tabubruch unter dem Mantel des Exposés. Eine ehrliche ungeschönte Darstellung von den Kindern dieser Tage – so lässt sich sein dann von Larry Clark verfilmtes Drehbuch zu „Kids“ einerseits lesen. Andererseits eben als etwas, was „Spring Breakers“ fast zwanzig Jahre später zu bestätigen scheint: das schockierende Exposé als gedanklich leere Provokation.

Und eine Provokation ist schon das Casting dieses Films. Man stelle sich die Boulevardpresse-Schlagzeilen vor: Die ehemaligen blitzsauberen Disneyprinzessinen Selena Gomez und Vanessa Hudgens werden richtig dreckig! James Franco erneut als freaky weirdo, noch ausgeflippter und abgedrehter als jemals zuvor! Die erwarteten Sex und Drogen, liebevoll von der Kamera umschmeichelt! Bunte Bikinis und chromblitzende Knarren! Ein Mix aus Kunstkino und Exploitationdreck! Mit vier Mädels in knappen Bikinis! Schummeln tut der Film ein ganz kleines bisschen mit seinem Schockcasting, wenn Selena Gomez das nette Mädchen unter ihren verruchten Kolleginnen gibt und sich aus den derbsten Exzessen heraushält. Quasi als Ausgleich kann Hudgens kaum verhehlen, wie viel Spaß es ihr macht, hier die Schlampe zu geben, und man kann auch nicht abstreiten, wie gut ihr das gelingt.

Das Quartett voll machen die ebenfalls aus dem Fernsehen kommende Ashley Benson („Pretty Little Liars“) und Korines Ehefrau Rachel. Zusammen langweilen sich die vier Mädchen an ihrer Uni irgendwo in der Mitte von Nirgendwo, während der Rest des Campus schon in den Süden gefahren ist, um den „Spring Break“ zu feiern. „Spring Break“, das ist eigentlich nur eine Woche Ferien im Frühjahr, aber für amerikanische Jungmenschen der legendäre Vorwand, einfach mal alle im normalen puristisch geprägten Alltag öffentlich geschmähten bis legal verbotenen Sachen zu machen: Saufen, kiffen, koksen, ficken. Was so manchem Deutschen seine Mallorca-Exzesse, sind jungen Amerikanern die wilde Frühlingswoche am Strand. Die wollen Candy (Hudgens) Brit (Benson), Faith (Gomez) und die etwas ältere Cotty (Rachel Korine) auch, einzig, es fehlt das nötige Geld, um es überhaupt in den sonnigen Süden zu schaffen. Kurzum überfallen drei der Mädels – die naive Faith weiss von nichts – ein örtliches Diner, um genug Startkapital zu haben. Erst einmal in Florida angekommen führen die üblichen Exzesse dann aber recht schnell zu Problemen mit der örtlichen Polizei – und zur Bekanntschaft mit dem Gangster Alien (James Franco). Spätestens jetzt fängt der mehr oder weniger harmlose Spring Break-Spaß an, verdammt ernst zu werden.

Dieser Alien ist wenn man so will auch eines der Hauptverkaufsargumente von „Spring Breakers“, sofern die jungen Bikinischönheiten nicht genügen. AlienDenn wer Franco als White Boy Gangster mit Rastafrisur, dicken Metallspangen im Mund und Faible für krasse Hawaihemden gesehen hat, wird sich vielleicht sagen: Wow, das muss ich sehen, zumal Franco ja bei allem Irrsinn den er bewusst oder unbewusst in den letzten Jahren so getrieben hat, zu einem der interessantesten der jüngeren Schauspieler in Hollywood gehört. Ob nun bizarre Oscarverleihungen (mit oder ohne Drogen, wer weiß das schon?), bizarre Filmprojekte („Int. Leather Bar“, eine Nachstellung von William Freidkins zensierten Ledersexszenen aus „Cruising“), Universitätsaufenthalt oder ab und zu mal auch eine leicht sonderliche Rolle im Mainstream in der Art von Rollen, für die Johnny Depp mittlerweile zu alt ist wie im gerade angelaufenen „Die fantastiche Welt von Oz“ – der umtriebige Franco inszeniert sich selbst als Pop Art- und Kunstprojekt. Und hat mit Alien eine so absurd-wilde Figur, dass er sich mit Freude in dessen absurden Südstaatenslang, seine Marotten und großmäuligen Deklarationen wirft.

Folglich ist das Interesse an diesem Film am höchsten, wenn Franco mit von der Partie ist. Dies dauert allerdings bis zur zweiten Filmhälfte, und die erste Filmhälfte mit den Gaga-Dialogen und repetitiven Exzessen der vier Damen zehrt da bisweilen schon ein bisschen an der Geduld, auch wenn Harmony Korine immer wieder schöne visuelle Momente gelingen. Entschädigt wird man dann von der großen Franco-Show und einem finalen Showdown, der visuell schön anzusehen ist, aber wohl mit einem Augenzwinkern gesehen werden soll oder muss, denn eine andere Erklärung dafür, wie dieser abläuft, bleibt einem kaum. Aber vielleicht meint Korine das alles gar nicht ernst, vielleicht ist diese Räuberpistole mit Bikinigirls auch als Satire gemeint. Hinweise gibt es dafür nicht, dagegen allerdings auch nicht. Korines Anliegen bleibt mutwillig im Dunkeln und so vage wie die Selbstausdrucksversuche der Mädchen. So kann ihm keiner was wollen, tun wir aber trotzdem. Was immer „Sping Breakers“ werden oder sein soll, es ist nur ein halber Erfolg. Nur eines ist klar: Eine Komödie, als die der Verleih - wohl auch nicht recht sicher, was man davon jetzt halten soll - diesen Film bewirbt, ist "Spring Breakers" ganz sicher nicht. Und seine Altersfreigabe ab 16 hat der Film sich ebenfalls redlich verdient.

Ein offensichtliche Verbindung zu „Kids“: Auch hier kümmern sich die jungen Leute nicht um die Konsequenzen ihres Tuns, sie kennen keine Grenzen und haben kaum die nötige Kompetenz der Reflexion über das, was sie tun und was es bedeutet. Korine versucht sein Bestes, aus der hohlen Popkultur, die seine jungen Antiheldinnen als einzigen Fixpunkt zu haben scheinen, etwas Interessantes zu machen. So bringt Alien dann ein Ständchen an seinem Klavier mit Meerblick, um seine Sensibilität zum Ausdruck zu bringen – und singt Britney Spears' “Everytime“. Korine lässt dabei offen, ob er das jetzt ironisch meint, oder ob seine Figuren genug Ironie aufbringen können – man muss es bezweifeln – solch offensichtlichen Popdreck nicht als ehrlichen Gefühlsausdruck zu verstehen, und in gewissem Sinne ist dies seine Methode über den ganzen Film hinweg.

Kommentieren oder eine Meinung transportieren will Korine nicht. Stattdessen: abbilden, möglichst schönverhaftet ausleuchten, die Geschichte zerfasern dank seines liquid storytelling, das halb Tarantino'sches Antilineares Erzählen, halb Cut Up Montage mit wie Zen-Mantras endlos wiederholten Banalitäten („Look at my Shit“, „Spring Break, Forever“ „Are we gonna do this, or shit“) ist. Diese letzteren Sätze, die in der zweiten Filmhälfte immer wieder auftauchen, ja fast enervierend wiederholt werden, benutzt Korine zum Kommentar über diese jungen Mädchen und ihr Leben in sound bites und Karikaturen von dem, was sie im Fernsehen gesehen haben. Der Slogan als Slogan, der Slogan als Leitmotto, der Slogan als Lebensmotto.

Korines Figuren hier scheinen selbst nur noch in Slogans und abgeguckter Sprache zu kommunizieren, wenn man denn das überhaupt als Kommunikation bezeichnen will. Alien erzählt stolz, dass bei ihm „Scarface“ auf Dauerschleife läuft, er hat seinen Gestus und seine verbalen Mätzchen hier gelernt, wie so viele andere der hier gezeigten Generation, wie die vier chicks with guns, und er hat den Film natürlich missverstanden. Und Brit und Conny, die bösesten der bösen Mädels, ergehen sich vor einem Supermarkt im Rollenspiel, um zu zeigen, wie cool sie waren, als sie das Diner ausgeraubt haben. Mit Pussy Riot-Gedächtnis-Wollmasken. Das Leben als groteskes Zitat.

Ein Film wie „Drive“ hat gezeigt, dass man so ein Thema und auch so ein perfekt stilisiertes Oberflächenkino mit Innenleben füllen kann. Inmitten der schillernden Oberfläche und ohne große Worte suggerierten die Charaktere dort innere Welten. „Spring Breakers“ suggeriert dagegen, dass seine jungen Protagonistinnen gar keine Innenwelt haben und sein Film hat dasselbe Problem: „Spring Breakers“ ist zwar so gutaussehend wie das Damenquartett in Bikinis, aber leider auch genau so hohl wie die Köpfe seiner Gangsterpüppchen. Wie die Figur des Driver in „Drive“ leben auch hier die Figuren als Projektion der Popkultur. Aber anders als Ryan Goslings von manchen seiten geschmähtes Porträt, suggerieren die Figuren hier kein Innenleben, keine Seele jenseits der Pose. Faith, das so platt metaphorisch betitelte gute Mädchen inmitten der good girls gone bad, soll dies wohl suggerieren, erinnert sich an ihre Bibelgruppe, hat moralische Bedenken,guns & car ihr Denken ist das typische Denken des gelangweilten, sich selbst und sein Umfeld hassenden Teenagers: Einfach weg von hier, irgendwohin wo es anders ist, wo es schön ist, wo ich sein kann, wie ich will. Das hat schon Springsteen gewusst, in „Thunder Road“: das Schulabschluss-Kleid zerfetzen, einfach ins Auto und weg: „Roll down the window and let the wind blow back your hair“.

„I wish I could take you to some sandy beach were we never grow old“ dichtet Springsteen in der Ur-Version von  „Thunder Road“, und es klingt genau so wie Faiths Monologe über die Sonnenuntergänge Floridas, die sie mit ihren Freundinnen teilt und die niemals enden sollen. „But, baby you know that's just jive“, wusste jedoch Springsteen gleich in der nächsten Zeile und auch Faith stellt fest, dass ein Spring Break eben nicht für immer ist und es keinen Strand gibt, an dem man nicht altert und ohne Sorge ein ewiger Teenager bleibt.

„Spring Breakers“ ist ein Film wie seine Figuren: ohne Innenleben, aber im knappen Bikini soll man schon nicht so genau hinschauen. Es ist schließlich Spring Break. Und gut aussehen tut dieser Film ohne Frage. Oberflächenschauwerte gibt es hier allemal, und damit sind nicht nur die Bikinikörper der jungen Nymphen gemeint. Ausleuchtung und Kamera, dazu die wummernden Beats von Skrillex, dosierte Zeitlupe – Korine weiß, wie man einen Film gut aussehen lässt und will wohl einen ähnlichen visuellen Sog entwickeln wie eben ein Film wie „Drive“, aber auch das gelingt nur in einzelnen Szenen, und viel zu selten. Und dicke Farbfilter und wilde Kamerabewegungen zu wummernden Technobeats zur Abbildung der Spring Break-Exzesse sind ja so 1990er.

„Spring Break Forever“? You know baby, that's just jive.

Bilder: Copyright

5
5/10

Kein einziger Kommentar zu so einem krass polarisierenden Film wie diesem hier? Das muss daran liegen, dass man kaum eine Wertung vergeben kann. Auch im Filmszene-Team (Wellinski: Film des Jahres 2013, Staake: 5/10) deutliche Unterschiede. Ich sehe den Film mal als Mischung aus gelungenem Musikvideo, Szenen zum Fremdschämen und Overacting sowie übertriebener Darstellung und gehe mit Staakes Wertung. Noch einmal anschauen würde ich mir das Teil allerdings ungern.

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