The Walk

Originaltitel
The Walk
Land
Jahr
2015
Laufzeit
123 min
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Maximilian Schröter / 11. Oktober 2015

World Trade CenterEs ist eine Geschichte, wie geschaffen fürs Kino: Anfang der 1970er Jahre entdeckt der französische Straßenakrobat und Hochseilartist Philippe Petit in einer Zeitschrift ein Bild des zu diesem Zeitpunkt noch nicht eröffneten World Trade Centers. Das Gebäude übt eine magische Anziehungskraft auf ihn aus. Petit, der bereits einen nicht genehmigten Drahtseilakt zwischen den Türmen der Kathedrale von Notre Dame vollbracht hat, ist fest entschlossen, als nächstes zwischen den Zwillingstürmen in New York zu balancieren. Doch für diesen (illegalen) Coup bedarf es vor allem einer gründlichen Vorbereitung. Petit trainiert wie ein Besessener und holt sich Ratschläge von seinem Mentor Papa Rudy (Ben Kingsley). Zudem sammelt er eine Gruppe von Helfern um sich, darunter seine Freundin Annie (Charlotte Le Bon) und sein bester Freund Jean-Pierre (James Badge Dale). Gemeinsam arbeiten sie einen Plan aus, um am Morgen des 7. August 1974 unbemerkt ein Seil zwischen den Türmen des World Trade Centers zu spannen, auf dem Philippe dann laufen soll.
 

Beginnen wir mal mit dem größten Schwachpunkt des Films von Regisseur Robert Zemeckis („Forrest Gump“, „Flight“), um anschließend auf seine Stärken zu sprechen zu kommen: „The Walk“ beginnt damit, dass Philippe Petit (Joseph Gordon-Levitt) direkt in die Kamera zum Publikum spricht, um uns die unglaubliche Geschichte dieses Hochseilakts zu erzählen. Der Einsatz dieses Stilmittels ist bei der Verfilmung einer wahren Begebenheit durchaus nachvollziehbar und legitim. Problematisch ist allerdings das Ausmaß, in dem Petit hier als Erzähler eingesetzt wird. Nicht nur sein Voice Over durchzieht den gesamten Film und ist in nahezu jeder Szene präsent, immer wieder schneidet Zemeckis auch zu Petit zurück. Diesen sehen wir auf der Fackel der Freiheitsstatue stehen und uns munter seine Geschichte erzählen. Das wirkt künstlich und soll vielleicht die Märchenhaftigkeit dieses schier unglaublichen Unterfangens betonen, aber letztendlich weiß wohl nur Zemeckis selbst, was er mit dieser Entscheidung beabsichtigt hat.

Nun ist ja der Einsatz eines erzählerischen Voice Overs in Filmen generell umstritten. Der Autor dieser Zeilen zählt ganz kGordon-Levitt & Kingsleylar nicht zu den Fans dieses Stilmittels, ganz einfach aus dem Grund, weil Filme nun mal Filme und keine mit Bildern unterlegten Hörbücher sind. Nur selten lässt sich der Einsatz einer Erzählerstimme wirklich rechtfertigen, ganz besonders wenn sie so viel Raum einnimmt wie in „The Walk“, wo der Erzähler zudem nicht nur zu hören, sondern eben immer wieder auch zu sehen ist. Der Film erhält dadurch jedenfalls keinen Mehrwert. Zwar machen Petits Worte seine Leidenschaft (man könnte auch sagen Besessenheit) für sein Vorhaben deutlich und bringen immer wieder die Handlung des Films voran, der die monatelangen Vorbereitungen in einem knappen zeitlichen Rahmen erzählen muss. Doch all das ließe sich auch in Bildern und in Interaktionen zwischen den Figuren zum Ausdruck bringen (und nicht alle Informationen, die uns Petit als Erzähler gibt, sind wirklich nötig).

Waren hier also ganz einfach faule Drehbuchautoren am Werk? Umso verhängnisvoller ist die ständig als Erzähler präsente Hauptfigur in diesem Falle, da dies ein übliches Stilmittel von Dokumentarfilmen und "The Walk" damit nur nachhaltig daran erinnert, dass es zum gleichen Thema mit dem Oscar-prämierten „Man on Wire“ bereits eine hervorragende Dokumentation gibt, die es was Spannungsaufbau und Unterhaltsamkeit betrifft locker mit „The Walk“ aufnehmen kann. Statt sich aber von dieser zu emanzipieren, entsteht hier zumindest streckenweise der Eindruck, Zemeckis habe den Dokumentarfilm imitieren wollen. Es ist äußerst schade, dass man „The Walk“ zu jenen Filmen zählen muss, die wohl um der Massentauglichkeit willen jedes kleine Detail ihrer Handlung explizit erklären, statt den Zuschauer selbst mitdenken zu lassen.

Joseph Gordon-LevittFalls sich nun ein Großteil der Leser denken mag, dass sich diese Rezension bis hierhin außergewöhnlich kritisch liest, so stimmt das natürlich. Wer sich am Einsatz eines den ganzen Film durchziehenden Erzählers nicht stört, sich vielleicht sogar gerne von ihm durch die Geschichte führen lässt, der wird an „The Walk“ zugegeben nicht mehr viel zu meckern haben. Um noch einmal auf den Vergleich mit „Man on Wire“ zurückzukommen: Natürlich existieren zwischen beiden Filmen Parallelen, schließlich erzählen sie die gleiche Geschichte. „Man on Wire“ mag gerade für eine Dokumentation außergewöhnlich fesselnd sein, aber ein Bereich, in dem „The Walk“ ganz klar die Nase vorn hat, sind die Bilder. Es dauert natürlich eine Weile, bis es so weit ist, aber als Petit schließlich das zwischen den Türmen gespannte Seil betritt, dürfte es nicht nur Zuschauern, die unter Höhenangst leiden, kurzzeitig etwas flau im Magen werden.

Hier haben wir es endlich mal wieder mit einem Film zu tun, bei dem die 3D-Technik einen sinnvollen Beitrag zum Gesamterlebnis bildet. Wenn die Kamera Petit bei seinem Balanceakt umkreist oder von oben auf ihn herab und in die Tiefe blickt, dann entstehen dabei Bilder, die erst durch den 3D-Effekt und eine große Leinwand ihre ganze Wirkung entfalten, und die „Man on Wire“ natürlich nicht bieten konnte. Technisch gibt es an „The Walk“ also überhaupt nichts auszusetzen, wobei man diese technische Perfektion von Robert Zemeckis eigentlich schon erwartet. Selbst seine inhaltlich und erzählerisch bestenfalls durchschnittlichen Filme wie „Disney’s Eine Weihnachtsgeschichte“ bestechen durch ihre Machart, während er in „Forrest Gump“ und anderen Filmen gezielt und sinnvoll CGI-Effekte einsetzte, die oft gar nicht als solche zu erkennen waren. Dementsprechend sehen in „The Walk“ sowohl das World Trade Center als auch Petits Hochseilakt zwischen den Türmen in jeder Einstellung vollkommen echt aus, als sei das alles real an echten Drehorten gefilmt worden.

Auch die Musik von Zemeckis‘ Stammkomponisten Alan Silvestri („Avengers: Age of Ultron“) bewegt sich auf gewohnt hohem Niveau The Walkund verleiht Petits Balanceakt eine leichtfüßige, geradezu euphorische Atmosphäre. Bilder und Musik beschreiben hier besser als alle aus dem Off gesprochenen Worte, was in diesen Momenten in Petit vorgeht. Dazu leistet natürlich auch Joseph Gordon-Levitts Schauspiel einen großen Beitrag. Er scheint nicht nur körperlich unter der Anleitung von Philippe Petit trainiert zu haben, so dass er hier einen überzeugenden Hochseilartisten mit der entsprechenden Körperhaltung abgibt, sondern hat sich für die Rolle auch einen authentischen französischen Akzent und die Tonlage Petits angeeignet. Das wirkt zum Glück nicht lächerlich, wie man nach den Trailern zum Film noch befürchten konnte, und selbst das Französisch, das Gordon-Levitt in vielen Szenen spricht, kann überzeugen. Mehrmals im Film wechselt Petit übrigens mit der Begründung, er müsse sein Englisch verbessern vom Französischen ins Englische. Das wirkt jedes Mal konstruiert und dient offensichtlich allein dazu, den Zuschauern nicht zu viele Szenen zuzumuten, in denen sie die Handlung über Untertitel verfolgen müssen (von denen es zumindest für einen Hollywoodfilm trotzdem überraschend viele gibt). Doch dieser Kritikpunkt ist nun wirklich nur eine Kleinigkeit.

Insgesamt hat Robert Zemeckis hier einen technisch und schauspielerisch starken Film gedreht, das muss auch der Autor dieser Zeilen eingestehen, der den Film aufgrund seiner oben beschriebenen AbneigThe Walkung gegen die durchgängige Erzählerstimme ursprünglich schlechter bewerten wollte. Wer „Man on Wire“ bereits gesehen oder Petits Buch über die Ereignisse (auf dem der Film basiert) gelesen hat und mit den zahlreichen Hindernissen, die Petit während der Vorbereitungen für seinen Coup überwinden musste, bereits vertraut ist, der wird „The Walk“ zwar wahrscheinlich weniger spannend finden als Zuschauer, die noch fast nichts über die Geschichte wissen. Das tut der Unterhaltung aber nur wenig Abbruch. Alle Leser, die sich am Stilmittel des durch den Film führenden Erzählers nicht stören, dürfen die oben abgegebene Wertung für den Film getrost um ein weiteres Auge erhöht betrachten. Denn „The Walk“ ist genau wie Ridley Scotts „Der Marsianer“ ein technisch perfekter, visuell beeindruckender und hervorragend gespielter Film, der mit seiner ruhigen Inszenierung einen erfrischenden Kontrast zu all den bombastischen Comicverfilmungen und Sequels darstellt und trotzdem großes Hollywood-Unterhaltungskino bietet.

Bilder: Copyright

Ich kenne die Geschichte nicht und habe nach Trailer und Rezension auch null Interesse an dem Film. Ich stelle mir eine 110 minütige, verträumte, einschläfernde Geschichte vor, die dann in den letzten Minuten ihren (optischen) Höhepunkt hat. Oder?

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9
9/10

@Seroberto was für ein unnötiger Kommentar, schau es Dir lieber an. Der Film ist klasse, gute schauspielerische Leistungen, Kamera- und Computertechnisch erste Sahne. Story ist interessant und von daher finde ich den Film sehenswert.

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