Zum Abschied Mozart

Land
Jahr
2006
Laufzeit
80 min
Release Date
Bewertung
6
6/10
von Sandra Hertel / 23. Dezember 2010

Musik verbindet. Unter diesem Aufhänger drehte der Schweizer Christian Labhart einen Dokumentarfilm über Schüler einer Abschlussklasse im Züricher Oberland. Diese leben in gegensätzlichen Welten: Einerseits sind sie normale Jugendliche, die sich neben der Schule für Freunde, Tanzen, Skaten und Rockkonzerte interessieren. Aber andererseits arbeiten sie auch mit Hingabe an der musikalischen Erschließung einer 250 Jahre alten Totenmesse. Ein Widerspruch?

Für das Ende des Schuljahres probt der Oberstufenchor der Rudolf Steiner-Schule in Wetzikon das Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart. Thomas Gmelin, der Musiklehrer und Chorleiter muss seine Schüler disziplinieren und gleichzeitig motivieren. Unter ihnen sind auch Wanja Gehr, Stefan Geissmann und Rebecca Schmidli, die in diesem Jahr ihren Abschluss machen. In den letzten Wochen in der behüteten Gemeinschaft der Steiner-Schule drehen sich ihre Gedanken um ihre Zukunft, die Verantwortung in der Gesellschaft aber auch Alltägliches, wie der ständige Streit zwischen Jungen und Mädchen in ihrer Klasse oder das Treffen mit Freunden und Freundinnen. Der Soundtrack dieser letzten Wochen ist die dramatische und schwere letzte Komposition von Mozart, die ihnen nicht nur Disziplin, sondern auch das Öffnen ihrer Seelen abverlangt.

Die drei vorgestellten Schüler, die in Interviews offen und frei von ihren Gedanken erzählen, sind äußerst unterschiedliche Charaktere. Wanja ist in Sri Lanka geboren und im Alter von drei Wochen von einer Schweizer Familie adoptiert worden. Sie ist in der linken Bewegung aktiv und hofft, die Gesellschaft der reichen Schweiz von Kopf bis Fuß umkrempeln zu können. Ein belustigtes Lachen entschlüpft einem im Kinosessel, wenn Wanja ernsthaft feststellt, dies alles würde sicher nie ohne Gewalt funktionieren, darüber sei sie sich mittlerweile im Klaren.
Stefan ist ein Sportler und hat eher einen lockeren Lebensstil. Er ist der Vermittler in den Streitigkeiten der Klasse und wird manchmal als Opportunist bezeichnet.
Rebecca kommt aus einer gläubigen Familie und ist ein ruhiger und engagierter Mensch. Schon früh bekam sie den Stempel "brav" verpasst, der ihr gar nicht gefällt.

Der Dokumentarfilm nähert sich den Protagonisten auf vorsichtige Weise. Kamera und Regisseur sind eher Begleiter denn Eindringlinge in Wetzikon. Die Offenheit und Unverkrampftheit der Schüler in den Interviews ist sicher der pädagogischen Ausbildung von Christian Labhart zu verdanken. Er hat selbst sechs Jahre als Lehrer gearbeitet und begegnet den Jugendlichen mit ehrlichem Interesse.
Doch alles ist von der Musik überdeckt. Die eindringlichen Stücke werden zu grandiosen Landschaftsaufnahmen eingespielt, in denen sich die jeweiligen Themen, wie "Tage des Zorns" oder "Das ewige Licht" widerspiegeln. Diese Themen stehen natürlich im Gegensatz zu der Gedankenwelt der Schüler, dennoch fühlen sich die Sänger von der Musik und ihrem Ausdruck berührt. Sie sprechen von der Kraft und der Freude, dem sakralen und heiligen Gefühl. Und anstatt vor lauter Gefühlsäußerung peinlich zu werden, bringen die Bilder und die Musik diese Gefühle auch dem Kinozuschauer nahe. Die große Leistung dieses Films liegt gerade darin, die Offenheit der Jugendlichen nicht sentimental oder lächerlich zu machen, sondern den verschiedenen Überlegungen zu Schutzengeln, Glaube und Liebe den entsprechenden Ernst zu lassen und nicht künstlich zu dramatisieren.

Christian Labhart will mit seiner Dokumentation die Gedanken und das Bewusstsein der heutigen Jugend einfangen. Dies hat er getan, allerdings sind die ausgewählten Jungen und Mädchen nicht repräsentativ für alle deutschen und schweizerischen Jugendlichen. Stefan, Wanja und Rebecca kommen aus wohlhabenden, bildungsnahen Familien, die ihren Kindern alles bieten können. Sie sind frei von finanziellen und schulischen Sorgen und haben bürgerliche Werte wie Ehrgeiz und Strebsamkeit verinnerlicht. Kurz: Sie stehen in der Gesellschaft über dem Durchschnitt und müssen nie Angst haben, auf der Strecke zu bleiben.
Die hier gezeigte Normalität ist etwas schöner und besser als sie andere Schüler aus ihrer Klasse gewohnt sind. Und obwohl der Film interessant und abwechselungsreich geschnitten ist, fehlt der natürliche Spannungsbogen, und daher bleibt "Zum Abschied Mozart" am Ende erkenntnislos. Die ausgetragenen Konflikte über den mangelnden Respekt der Jungs vor den Mädchen verlaufen friedlich und freundlich. Auch die mehrfach angesprochene Diskrepanz zwischen der Chorarbeit und dem Privatleben der Schüler ist in den Interviews nicht wieder zu finden. Alle drei haben keine Probleme sich in die Arbeit zu vertiefen und mögen das Requiem sehr.
Zu loben ist, dass Christian Labhart einer so unbedeutend erscheinenden Thematik sein ganzes Augenmerk widmet. Als Einblick in schulische Chorarbeit könnte der Dokumentarfilm deutschen Institutionen als Vorbild dienen. Wär' das was, liebe Bildungsministerien?


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