"Deadwood" - Erste Staffel

von Simon Staake / 7. August 2011

Man braucht sich ja mittlerweile nicht mehr davor zu schämen, seine Zeit lieber vor dem Fernseher zu verbringen als sich ins nächste Multiplex zu schleifen, um dort für teures Geld neue Beispiele für Hollywoods Einfallslosigkeit vorgesetzt zu bekommen. Qualitätsware im Fernsehen ist längst nicht mehr nur ein Herausforderer fürs Kino, sie hat die Konkurrenz auf der großen Leinwand in vielen Fällen schon überholt. Seit der TV-Revolution "Twin Peaks" vor nunmehr auch schon mehr als 15 Jahren haben Serien wie "NYPD Blue", "Picket Fences" oder "Akte X" Ausnahmequalität ins TV gebracht, heutige Fans von "Lost" und "Desperate Housewives" erfreuen sich an den Ergebnissen der Evolution. Das wichtigste Vorbild für viele der nachfolgenden Serien, die es etwas härter bevorzugen, bleibt jedoch "Die Sopranos", deren intelligente Drehbücher und - als Serie des amerikanischen Bezahlsenders HBO - relative Freiheit, was Sex- oder Gewaltdarstellung und Schimpfwörter betrifft, hier Pionierarbeit leistete. Mit Tony Soprano hatte man einen herrlichen Antiheld als Protagonisten, und es ist kein Wunder, dass auch die besten beiden Serien der letzten Jahre sich vornehmlich mit Antihelden beschäftigen. Neben der knallharten Polizeiserie "The Shield" ist dies die Westernserie "Deadwood", die hier in Deutschland nur bei Premiere zu sehen war, jetzt aber auch auf DVD erschienen ist.

"Deadwood" versucht im Grunde genommen nichts Anderes, als das Bild des Westerns (erneut) zu revolutionieren, und das mit beeindruckenden Resultaten. Realismus ist hier das Zauberwort, denn realistischer kann man sich das Leben in einer kleinen, gerade entstehenden Stadt im definitiv noch wilden Westen kaum vorstellen. Ausgehend von dem wirklich fantastischen Kostüm- und Produktionsdesign geht es hier dreckig-speckig zu, die saubere Hauptstraße mit ein paar schön arrangierten Fässern und Tränken als Dekoration ist Geschichte. Stattdessen sind die Straßen von Deadwood schmutzig und matschig, dazu überfüllt, weil goldsuchende Glücksritter ihre Zelte direkt auf der Straße aufschlagen. Details wie diese sind historisch belegt, auch wenn der ausführende Produzent David Milch - Schöpfer und kreativer Kopf dieser grandiosen Serie - sich eben nicht dem hundertprozentigen Realismus verschrieb, der einer guten Geschichte eventuell im Weg steht. Und so mixt er historische Details und Figuren (nahezu alle auftretenden Charaktere haben historische Vorbilder, zum Teil auch gleichen Namens, und diverse Aspekte der Stadtgeschichte Deadwoods tauchen auf), um eine spannende und faszinierende Geschichte über die Zeiten zu erzählen, als die Weißen gen Westen drängten, um dort ihr Glück zu finden.
Wie sehr mit den Weißen auch Zivilisation in die Wildnis einzog, dies ist eine der Fragen, mit denen sich "Deadwood" beschäftigt. Denn oftmals geht es hier sehr unzivilisiert, auch barbarisch zu, in dieser Stadt ohne Gesetze. Dass Deadwood zum dargestellten Zeitpunkt eine eigentlich unrechtmäßige Ansiedlung ist und damit nicht der gültigen US-Rechtssprechung unterliegt (und auch keine Gesetzesgebung durchsetzen kann, um nicht als Separatisten zu gelten), bedeutet, dass das Gesetz des Stärkeren gilt, und Konflikte von einigen wenigen auf sehr eigene Art bewältigt werden. Und diese Art der Problembewältigung zwischen Selbstjustiz und anfangenden demokratischen Zügen (mit der "NYPD Blue"-Miterfinder Milch seinen Themen treu bleibt) rückt wiederum die Ambivalenz der Figuren in den Mittelpunkt.

Die große Stärke von "Deadwood" liegt in seiner Charakterisierung, denn die gerade im Western so stark wie in kaum einem anderen Genre auftretende Einteilung in ‚gut' und ‚böse' wird hier gebrochen und ebenfalls in ein realistischeres Idiom überführt. Natürlich kann man die zwei Hauptfiguren grob in eben diese Lager einteilen, aber eben nur zu einem bestimmten Grad. Ian McShanes Al Swearengen ist sicherlich ein unmoralischer Schweinehund, der sich vor keiner Missetat scheut. Gleichzeitig zeigt er in den unerwartetsten Momenten aber auch Spuren von Menschlichkeit, und sein Anliegen, Deadwood als Stadt voranzubringen, ist abseits der eigenen Gewinnsucht durchaus von dem Willen getrieben, den Ort für alle besser zu machen. Auf der anderen Seite ist Seth Bullock ein Mann mit strengem Ehrenkodex und klassischen Moralvorstellungen, die aber im Verlauf der ersten Staffel deutlich korrumpiert werden. Zudem blitzt in seinem Verhalten immer wieder eine Aggressivität auf, die deutlich macht, dass Bullock unter anderen Umständen vielleicht der gefährlichste Mann in Deadwood wäre.

Deadwood

Die Nuancen in den Darstellungen beider Männer bringen die beiden großartigen Darsteller erst richtig hervor. Der bisher eher unbekannte Ian McShane ist als Swearengen das dunkle Herz der Serie, und sein Spiel zwischen Süffisanz und Brutalität, zwischen allen Polen des menschlichen Verhaltens, brachte ihm zurecht den Golden Globe als bester männlicher Hauptdarsteller einer TV-Serie ein. Timothy Olyphant ist dagegen von der großen Leinwand her bekannt ("Go", "The Girl Next Door"), wo er zumeist eben so unberechenbare Figuren wie den Seth Bullock hier spielte und dabei die Filme in seinen Szenen deutlich belebte. Drehbuchbedingt kann Olyphants Figur dem charismatischeren Charakter McShanes nicht das Wasser reichen, aber seine ruhige Intensität ist für die Serie mindestens ebenso wichtig wie Swearengens ständige Schimpfkanonaden. Obwohl die beiden genannten Darsteller für ihre Leistungen hier hervorgehoben wurden, soll dies nicht heißen, dass es hier eine Zweimannshow gibt. Ganz im Gegenteil, man hat hier eines der besten Ensembles überhaupt zusammengetragen, die allesamt ihre Rollen komplett überzeugend spielen, ob nun altgediente Mimen wie Keith Carradine als der alternde Westernheld "Wild" Bill Hickock, Brad Dourif als Stadtdoktor, Powers Boothe als Swearengens Kontrahent Sy Tolliver oder bislang unbekanntere Darsteller wie Robin Weigert als Calamity Jane oder Molly Parker als Alma Garrett. Dass John Hawkes ("Identität", "Der Sturm") mit dabei ist, ist sowieso immer ein Plus.

Neben dem Aufsehen erregenden Design (das ein wenig an die zweite Hälfte von "Erbarmungslos" erinnert) fallen einem die schon angesprochenen Freiheiten auf, die eine HBO-Serie auszeichnet. Soll heißen: es ist richtig explizit hier. Da läuft schon mal ein Freier einer nackten Hure mit seinem Geschlechtsteil in der Hand hinterher, der abgeschnittene Kopf eines Indianers wird in aller Öffentlichkeit umhergeschwenkt und von der derben Sprache (besonders in der englischen Originalfassung) brauchen wir gar nicht anfangen, die ist quasi eines der Markenzeichen von "Deadwood". Dementsprechend ist die Serie nichts für ganz Zartbesaitete oder Freunde von Etikette und political correctness. Dies sind jedoch nicht nur Schockeffekte um ihrer selbst willen, vielmehr stehen sie im Dienst des angestrebten Realismus. Zudem sind sie nur ein Teil des Ganzen, auf dessen anderer Seite ausgesprochen geschwungene Dialoge stehen. Diese Mischung aus krude und kunstvoll macht auch eine Faszination der Serie aus.

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Strukturell hält sich Milch streng an ein klassisches Dreiaktschema, weswegen sich die erste Staffel der Serie wunderbar in drei Blöcke à vier Folgen einteilen (und schauen) lässt. Demnach sind auch die Highlights der ersten Staffel schnell ausgemacht: Neben der packenden Eröffnungsfolge, die einen sofort in die Serie hineinzieht, sind dies nämlich die jeweiligen Abschlussfolgen der drei Akte: Folge 4 ("Here Was A Man"), die die Storyline um "Wild" Bill Hickock zu einem denkwürdigen Abschluss führt; Folge 8 ("Suffer The Little Children"), die die Umorientierung diverser Charaktere abschließt, und schließlich das Finale der ersten Staffel (Folge 12, "Sold Under Sin"), in der die die gesamte Staffel über aufgebauten Geschichtsstränge so aufgelöst bzw. weitergeführt werden, dass man die nachfolgende Staffel kaum erwarten kann.
Als Hinweis sei aber angemerkt, dass es sich bei "Deadwood" größtenteils um ein Charakterdrama handelt, wahnsinnig viel Action sollte hier also keiner erwarten. Dafür aber exzellente Darstellerleistungen, hervorragende Storylines und Dialoge und eine hundertprozentig stimmige Atmosphäre. Da verzeiht man auch gerne mal die eine oder andere etwas langsamere Folge.

Einzige Hiobsbotschaft für bestehende oder zukünftige Fans der Serie dürfte sein, dass die jetzt von Paramount veröffentlichte Box keinerlei Extras bietet, sieht man mal von den bei HBO-Titeln üblichen Texttafeln mit den Inhaltsangaben zu den einzelnen Folgen ab. Was aus zweierlei Gründen schade ist: Zum einen, weil es gerade diese großartige Serie verdient hat, genauer unter die Lupe genommen zu werden; zum anderen, weil die Möglichkeit durchaus da gewesen wäre. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Serien spendierte HBO der amerikanischen Staffelbox recht generös eine ganze Reihe von Extras, die leider nicht für die Region 2 übernommen wurden. Der Grund ist vermutlich wieder mal die Tatsache, dass Paramount eine Box für ganz Europa konzipierte (was ja bei "Star Trek - The Next Generation" wegen Zensurschnitten schon für Diskussionen sorgte) und es aufgrund der Lizenzen wohl weniger mühevoll war, einfach gar keine Extras mit draufzupacken. Schade, wie gesagt.

Deadwood


Wer also mehr Hintergründe wünscht, muss halt doch zur teuren US-Ausgabe greifen. Andererseits ist die Hauptsache schließlich die Serie selbst, deren Qualität außer Frage steht. Und als kleiner Trick, wie man doch noch zu Bonusinformationen kommt: Auf der exzellenten amerikanischen Homepage der Serie (http://www.hbo.com/deadwood) gibt es einige sehr interessante Schmankerl, etwa Hintergrundinformationen zu Kostümen und Kulissen.


Ohne Extras, aber immerhin recht schmückend in einem ansprechend gestalteten Schuber, dessen Sepia-Farben eine passend verblichene und ‚alte' Atmosphäre versprühen, kommt die Box also daher. Die zwölf Episoden werden in der englischen Originalfassung im prächtigen 5.1-Sound präsentiert, für die deutsche sowie die ebenfalls enthaltene französische Sprachfassung hat man aber leider auf nur drei Kanäle und den "Surround"-Sound abgespeckt. Die für diese Serie wichtigen Farbnuancen werden im mit kräftigen Farben und guten Kontrasten aufwartenden Bild im Originalformat (1.78:1) dargeboten. Eine absolut exzellente Serie in technisch guter Umsetzung - da kann man von den fehlenden Extras mal absehen und trotzdem eine Empfehlung aussprechen. Wer gerne gutes Fernsehen auf dem gehobenen Niveau einer Kinoproduktion sieht, und sich von etwas rüderer Sprache oder Benehmen nicht schrecken lässt, für den ist klar: "Deadwood" ist ein Muss.


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