Ein
heller kreisrunder Mond hängt über dem Herrenhaus, bleich
geschminkte Figuren stolpern zur Orchestermusik die Treppen herunter.
Durch die Nebelschwaden bahnt sich eine Frau im wehenden weißen
Kleid den Weg durchs Gebüsch. Was sich in der Beschreibung
anhört wie ein Gothic-Treffen, ist tatsächlich Franka
Potentes Regiedebüt. Es gibt für Schauspieler kaum etwas
Schlimmeres, als ewig festgenagelt zu sein auf eine bestimmte Rolle.
Für Franka Potente ist das die ewig rennende Lola, mit der
sie bekannt geworden ist und die ihr immerhin zu einigen Hollywood-Rollen
verholfen hat. Aber irgendwann will man ein Image loswerden, und
dafür macht man am Besten etwas völlig anderes als bisher.
Sollte das Franka Potentes Ziel gewesen sein, so hat sie es mit
"Der die Tollkirsche ausgräbt" erreicht. Denn sie
wechselt für den langen Kurzfilm nicht nur zum ersten Mal hinter
die Kamera, sondern bewegt sich mit dem Schwarz-Weiß-Stummfilm
auch in einem Genre, bei dem die Kinobetreiber nicht gerade mit
dicht gedrängten Kassenschlangen zu kämpfen haben.
Die
Geschichte des passenderweise 1918 spielenden Films ist angelehnt
an den klassischen Stummfilm. Tochter aus reichem Haus soll nach
Willen des gierigen Vaters reichen Mann heiraten, will aber nicht,
Alternativprinz kommt, Liebe, Schluss. Potente, die auch das Buch
geschrieben hat, mischt in die in den Schlusswirren des Kaiserreiches
spielende Geschichte noch eine Portion Mystik und Märchen und
schafft so einen kleinen Ausflug in die surreale Welt des Expressionismus.
Da werden Zaubersprüche angewandt und Dämonen tauchen
auf, und natürlich kommt auch die titelgebende Tollkirsche
zu ihrem Auftritt als Zaubertrank. Außerdem vermischt sich
das historische Setting mit einer modernen Komponente, denn die
Rettung aus der Misere verspricht ausgerechnet ein aus der Zukunft
angereister Punker. Der kann sogar richtig laut sprechen, was aber
zu Kommunikationsschwierigkeiten mit den Stummfilmcharakteren führt.
Diese Verbindung in heutige Zeiten bleibt aber auch die einzige,
denn der Film versteht sich von den Kameraeinstellungen bis zur
Filmmusik als Hommage an die großen Stummfilmer und Expressionisten
wie Ernst Lubitsch oder Luis Bunuel. Dafür erweist es sich
als Glücksgriff, mit Frank Griebe einen renommierten Kameramann
an der Seite zu haben, der mit Verstand die klassischen Techniken
wie Stopptrick und Kreisblende einsetzt. Dazu sorgt der Soundtrack
von Matthias Petsche und dem Filmorchester Babelsberg für eine
passende Stummfilmumgebung.
Zwischen
Slapstick-Komödie und düsterem Märchen bewegt sich
der Kurzfilm, was den Schauspielern alle Möglichkeiten lässt,
die sie dann auch genüsslich ausnutzen. Besonders die mit Franka
Potente befreundete Fotografin Emilia Sparagna, in ihrer ersten
Rolle als Tochter Cecilie, passt mit ihrem übertriebenen Mienenspiel
perfekt zur Rolle. Und auch Justus von Dohnányi als kaisertreuer
Vater, der in dem Punk den nächsten Monarchen zu erkennen glaubt,
und Max Urlacher als reicher Anwärter Alfred haben sichtlich
Spaß am Stummschauspielern.
Es ist schon ein außergewöhnliches Regiedebüt, vor allem für die heutigen Sehgewohnheiten. Aber so richtig kann sich Potente nicht für die Richtung entscheiden, die der Film nehmen soll. Von allem ist ein bisschen drin, so dass man "Der die Tollkirsche ausgräbt" eher als persönliches Spielzimmer zum Austoben für Regisseurin und Schauspieler betrachten kann. Das geschieht allerdings mit Liebe zum Detail und einigen komischen Einfällen - "komisch" sowohl im Sinne von "seltsam" wie auch im Sinne von "witzig".
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