Panzerkreuzer Potemkin

Originaltitel
Bronenosets Potyomkin
Jahr
1925
Laufzeit
75 min
Genre
Bewertung
von Heide Langhammer / 18. April 2012

Wie haben Sie das gemacht, Mr. Eisenstein?

Große Kunst und politische Propaganda – das sind zwei Pole, die sich oft gegenseitig ausschließen und selten vereinbart werden können. Umso erstaunlicher, dass Sergei Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ die Idee kommunistischer Revolution propagieren und trotzdem ohne weiteres bei der Brüsseler Weltausstellung 1958 zum „besten Film aller Zeiten“ gewählt werden konnte. Tatsächlich herrscht ein Konsens über diesen Film, der einen doch wundern lässt, bedenkt man, dass nicht nur Anhänger der kommunistischen Idee, wie Bertolt Brecht und Walter Benjamin, diesem Film ihre Hochachtung entgegen brachten. Panzerkreuzer PotemkinAuch Josef Goebbels, dessen ideologische Gesinnung hier aufgrund schreiender Prominenz nicht mehr erwähnt zu werden braucht, war von Eisensteins Revolutionsfilm dermaßen hingerissen, dass er es sich nicht nehmen ließ, einen „nationalsozialistischen ‚Potemkin’“ zu fordern. Entweder haben wir es hier mit einem der wenigen Fälle (wenn nicht dem einzigen Fall) von nachweislich gelungener Propaganda zu tun, oder aber mit einer Kunstfertigkeit, die im Stande ist, jegliche Bedenken hinsichtlich des ideologischen Kalküls, das der Film ganz offen zur Schau stellt, aus dem Kopf der Zuschauer zu vertreiben.

Dabei ist das Wort Kunst sicherlich nicht das erste, das einem in den Sinn kommt, wenn man bedenkt, dass „Panzerkreuzer Potemkin“ als staatliche Auftragsarbeit entstanden ist, mit der die UdSSR 1925 an die gescheiterte Revolution von 1905 erinnern wollte. Sergei Eisenstein, der den Auftrag bekam und das Projekt mit durchaus künstlerischer Ambition als eine Tragödie in fünf Akten konzipierte, ging mit diesem Stummfilm vor allem dank seiner revolutionären Montagetechnik in die Filmgeschichte ein.
 

Die Geschichte um den Aufstand auf dem Panzerkreuzer Potemkin, die auf den realen historischen Ereignissen vom 14. Juni 1905 basiert, nimmt ihren Anfang zunächst mit dem Aufbegehren des Matrosen Wakulintschuk, der die Besatzung der Potemkin zum Widerstand aufruft. Eigentlich ins Rollen gebracht wird der Stein jedoch, als der Mannschaft von den Offizieren verfaultes Fleisch vorgesetzt wird. Ein Gammelfleischskandal ist es also, der am Anfang des 20. Jahrhunderts eine Revolution in Gang setzt, womit sich mal wieder eine Brecht‘sche Weisheit bewahrheitet: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“. Nachdem die Besatzung konsequenterweise das Essen verweigert, gibt Kapitän Golikov den Erschießungsbefehl für mehrere Matrosen. Die Fronten verdichten sich, die Lage spitzt sich zu und über dem Geschehen auf dem Schiffsdeck thront, wie ein Gespenst, der wohl furchterregendste Priester der Filmgeschichte.

Panzerkreuzer PotemkinAb und an meint man dann, das verachtende Gelächter der Offiziere zu hören – auch ein Stummfilm kann irgendwie voller Lärm sein, vorausgesetzt er macht seine Sache gut. Mit dem Tod des Aufrührers Wakulintschuk erreicht der Aufstand schließlich die Hafenstadt Odessa. In Märtyrer-Manier wird Wakulintschuks Leiche aufgebahrt und verfehlt ihre Wirkung durchaus nicht: Das ganze Volk verwandelt sich in ein Sammelbecken aus Wut und Schmerz über die Ungerechtigkeit herrschaftlicher Tyrannei, die – ob nun buchstäblich oder im übertragenen Sinne – zum Tod der Schwachen führt.
 

Nur selten verliert sich der moderne Kinozuschauer noch so bereitwillig in ein vollkommen ernst gemeintes Pathos wie hier. Vor allem dann nicht, wenn man es doch über weite Strecken eher mit anonymen Massen als mit individuellen Schicksalen zu tun hat. Eisenstein versteht es jedoch wie kein anderer individuelles und kollektives Leid derart geschickt zu verschränken. Unter dem Blick seiner Kamera verwandelt sich jedes Gesicht, das zunächst nur einem unbekannten Einzelnen angehört, in das Gesicht des Volkes schlechthin – ein wütendes und gekränktes Gesicht, das nach Revolution schreit. „Es lebe der bewaffnete Aufstand!“ ist der Ruf dieser Masse, die sich zunehmend formiert und bei ihrem Zug durch die Gassen der Stadt und über die Molen des Hafens zu einem neuen gemeinschaftlichen Körper geformt wird.

Panzerkreuzer PotemkinEisenstein hält sich bei der Darstellung der revolutionären Ereignisse vom Juni 1905 weitgehend an die historischen Tatsachen, auch wenn er sich dabei nicht denselben Realismusansprüchen verschreibt, wie es sein Kollege und Zeitgenosse Dziga Vertov tat, der fiktive Inszenierungen als Kunst des Bürgertums kategorisch ablehnte. Nicht so Eisenstein: „Wichtig ist die emotionale Überzeugungskraft und nicht etwa die dokumentarische Exaktheit“. Das mag auch erklären, warum er der offenen Kampfansage der aufständischen Bevölkerung keine gewalttätigen Handlungen folgen lässt. Stattdessen vernachlässigt er die historische Genauigkeit und unterbricht die Logik des Plots durch ein Bild vollkommener Friedfertigkeit und Solidarisierung: Wenn das Odessaer Volk in Harmonie vereint am Hafen steht, um die Potemkin zu begrüßen, verbrüdern sich arm und reich (noch vor dem revolutionären Kampf). Die feinen Damen der High Society winken gemeinsam mit den Krüppeln und Kriegsveteranen jungen russischen Matrosen zu und plötzlich erinnert nichts mehr an das Aufbegehren der Arbeiterklasse, das hier doch eigentlich stattfinden sollte. Durch diesen durchaus gelungenen dramaturgischen Schachzug verwandelt Eisenstein das revolutionäre Volk in das Unschulds- und Opferlamm, das sich, frei von Schuld und Aggression, aus heiterem Himmel dem Angriff der Staatsmacht ausgesetzt sieht.

So macht sich der Film kurzzeitig ideologisch angreifbar, nur um uns im Anschluss mit der berühmten Treppenszene von Odessa einen der größten Momente der Filmgeschichte zu liefern. Mit dem gewaltsamen Anrücken des Militärs fliehen die Massen die schier endlosen Treppen hinunter und zuweilen stürzt auch die Kamera in einer panischen Bewegung den Menschen hinterher. Wie weit die Stufen noch in die Tiefe führen, kann dabei nie so recht abgesehen werden und immer wieder wird die fliehende Menge durch eine Reihe erbarmungsloser Jump Cuts zurückgeworfen.

Panzerkreuzer PotemkinInmitten dieser unbändigen Bewegung der Massen spielen sich die großen kleinen Dramen der Einzelnen ab. Eisenstein zieht hier sämtliche emotionalen Register und zielt insbesondere auf die essenziellen Instinkte in uns, wenn er Mutter-Kind-Tragödien inszeniert, denen sich wahrscheinlich kein Mensch entziehen kann, welcher politischen Überzeugung er auch immer angehören mag. Eine Mutter trauert um ihren Jungen, der von den fliehenden Massen in den Tod gerissen wurde. Eine andere Mutter opfert ihr Leben, um das ihres Babys zu retten, indem sie sich schützend vor den Kinderwagen stellt. Und immer die Hoffnung auf Erbarmen und Mitleid mit der gepeinigten Bevölkerung, die durch die im Dampfmaschinentakt voranschreitende Soldatenfront kaltblütig zunichte gemacht wird. Die Mutter wird erschossen.

Auf den Kinderwagen muss zurückgekommen werden, denn vor allem er hat Filmgeschichte geschrieben. Er ist die Versinnbildlichung für das ungeheure Maß, den Schrecken und Schmerz hier annehmen, wenn er schließlich ungehindert die Treppe hinunter und über die Leichen der Menschen rollt. Denn in der Logik des Films provoziert der Kinderwagen den ersten wirklichen Gegenschlag der Bevölkerung, der dann schon kaum noch etwas mit ideologischem Kampf zu tun hat, sondern zu einem substantiellen Befreiungsakt und äußerster Notwehr wird.
 

Das Genie Eisensteins besteht hier zum einen darin, dass er es wie kein anderer versteht, Emotionen zu vermitteln ohne dabei auf Figuren zurückzugreifen, die mit psychologischer Tiefe und Persönlichkeit angereichert sind. Keine einzige der Figuren – weder die Mütter noch die Kinder – kennen wir wirklich. Wer sie sind und woher sie kommen ist nebensächlich, denn auch ohne die Lebensgeschichte eines der Menschen zu kennen, begreifen wir intuitiv die Lebensgeschichte des gesamten russischen Volkes. Das Bild des Kinderwagens, der die Treppe hinunterrollt, steht für den Schmerz, den die Grausamkeit der Militärmaschine anrichten kann, und es gibt sich nicht damit zufrieden, nur an den Schmerz zu gemahnen, sondern es produziert ihn jedes Mal aufs Neue. Es produziert Verzweiflung, Verbitterung und Wut.

Panzerkreuzer PotemkinDie Kraft der Bilder aber kommt nicht von ungefähr, sondern beruht auf Eisensteins sorgfältig formulierter Montagetheorie, in der er das Zusammenspiel einzelner Bilder genau durchdacht und kalkuliert hat. Durch die Verknüpfung von Bildern zu fühlen und zu denken ist die Programmatik, die hinter dieser Theorie steckt. Dabei geht es grob gesagt also darum, durch Kombination verschiedener Aufnahmen jeweils neue Sinnzusammenhänge und Bedeutungen zu erzeugen, die in den einzelnen Bildern noch nicht enthalten sind, sondern im Wechselspiel einer jeden Aufnahme mit ihren vorangegangen Aufnahmen zustande kommt. Im Extremfall erlaubt dieses Verfahren dann Gebilde, die man als visuelle Metaphern bezeichnen könnte: Die Statuen des schlafenden, des erwachenden und des brüllenden Löwens ergeben – in einer Reihe aneinander montiert – ein Sinnbild für das aufbegehrende Volk.
 

Doch auch abseits von dieser intellektuellen Form der Montage, die bereits ein hohes Maß an Abstraktion verlangt, verwendet Eisenstein seine Theorie, um die Stimmungen, Gefühle und Einstellungen seiner Kinozuschauer zu beeinflussen. Etwas blumiger und ohne den theoretischen Ballast ausgedrückt, heißt das, dass Eisenstein seine Filme wie Musik komponiert und die Bilder des Films wie Töne behandelt, aus denen er Melodiebögen und Rhythmen entwickelt. Und in der Tat merkt man „Panzerkreuzer Potemkin“ seinen musikalischen Charakter deutlich an, auch wenn die Systematik dahinter wahrscheinlich nie gänzlich zu durchschauen ist. Sei die Theorie Eisensteins auch noch so verschroben und eigensinnig, so hat sie zweifelsohne besonders den Action-Szenen des Films mehr als gut getan. Denn selten hat man in vergleichbaren Produktionen der Zeit ähnlich Mitreißendes gesehen. Und auch das moderne Actionkino kann hier noch einiges lernen.

Das Überraschende an „Panzerkreuzer Potemkin“ ist letztlich, dass dieser Film trotz seiner unverblümt propagandistischen Absicht ganz schlicht und ergreifend funktioniert. Dass ein Filmemacher, der sich gleichzeitig hoffnungslos der Theorie hingibt, einen Film machen kann, der nicht etwa schleppend und verkopft daherkommt, sondern uns im Strom der Massen mitreißt; der spektakulär ist, ohne stupide zu sein. Warum sollte er dann nicht ebenso in der Lage sein, die Gegensätze von (hoher) Kunst und (niederer) Propaganda in einem Meisterwerk der Filmgeschichte zu vereinen? „Panzerkreuzer Potemkin“ macht im Grunde noch mehr als das. Er zeigt dem Kino noch einmal aufs Neue, was Filmkunst alles sein kann.

Panzerkreuzer Potemkin - DVD bei Amazon bestellen >>>


So ein Zufall, dass ich den Film gerade gestern wieder sah!
Die Treppenszene war für mich als Kind absolut traumatisierend und hat bei mir zu einer Serie von Alpträumen geführt - besonders das Gesicht der Krankenschwester mit der zerplatzten Brille.
(Kommt mir grad - ist nicht das verzerrte Gesicht von Pink Floyd's "The Wall" vielleicht davon inspiriert?)

Eisenstein's Motivation ist dabei natürlich die Aufstachelung und Motivation des Zuschauers.

Anders als bei Poesie, die den Betrachter in introspektive oder melancholische Traumwelten entführt, wirkt die Montage z.B. der Treppenszene wie ein Angriff auf den Körper des Betrachters dem man sich nicht entziehen kann. Jede der Einstellungen des Films trifft einen unvermittelt und unvorbereitet.
Wenn man "gesehen" hat was da im Bild ist ist man schon mitten in die Geschichte hineingezogen ohne dass man da eine Wahl hätte, und die Bilder kommen eins ums andere Schlag auf Schlag, oft geht es Frauen und Kindern an den Kragen, das wirkt wohl bei allen.

Interessant auch dass Potemkin so oft von anderen Filmen zitiert wurde - von "The Untouchables" bis "Revenge of the Sith".

Mir ist auch aufgefallen dass das was wir als "Drama zwischen Individuen" aus unseren Unterhaltungsfilmen kennen fast völlig fehlt - es agieren immer Bevölkerungsgruppen oder Vertreter von Klassen.
Matrosen - Fischer - die Leute von Odessa - die Kosaken - die Offiziere - etc.

Also, für mich ein Film für Filmliebhaber und Kenner, was zum Drübernachdenken und "sich selbst kennenlernen" nicht so sehr was für den entspannten Samstag abend.

Permalink

Kleine Richtigstellung!

Dass "Star Wars III:Revenge of the Sith" angeblich "Panzerkreuzer Potemkin" zitiert habe ich auf verschiedenen Blogs und Wikipedia-Seiten gelesen - aber ich habe mir die betreffende Szene jetzt nochmal angesehen und finde die Bezugnahme doch sehr indirekt/schwach.
Es geht um die Szene in der Anakin mit den Clonekriegern in den Jedi-Tempel marschieren... dabei sieht man kurz die Clone-Soldaten eine Treppe (hinauf!) marschieren die in Abschnitte/Absätze unterteilt ist... das wars auch schon. :|

Wenn man will kann man natürlich das ermorden der Jedi-Kids mit dem toten Jungen in Verbindung bringen oder Padme mit den sterbenden Müttern... aber irgendwo hört es dann auch auf und geht an der Sache doch ziemlich vorbei.

Wollte mich dafür entschuldigen dass ich es ohne selbst nochmal nachzuprürfen in meinen ersten Beitrag übernommen habe.

Permalink

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Aufgabe prüft, ob du menschlich bist um Bots zu verhindern.