1999 überzeugte
Cecilia Roth in Pedro Almodóvars Melodram "Alles über
meine Mutter" als die Krankenschwester Manuela. Nun scheint es,
als hätte der spanische Regisseur einen Faible für Pflegepersonal
entwickelt: In "sprich mit ihr", Almodóvars jüngstem
Film, lernen wir in der Hauptrolle den selbstlosen Krankenpfleger
Benigno kennen. Kein Grund zur Panik: um staubige Arztserien-Romantik
macht der mehrfach ausgezeichnete Filmemacher nach wie vor einen großen
Bogen.
Benigno
(Javier Cámara) ist verliebt. Der etwas pummelige Mitzwanziger
hat kein Problem damit, dass seine Angebetete seit vier Jahren im
Koma liegt. Im Gegenteil. So hat er die Chance, der wunderschönen
Balletttänzerin Alicia (Leonor Watling) als Krankenpfleger seine
uneingeschränkte Zuwendung zukommen zu lassen. Alicias Pflege
entwickelt sich für ihn zum Lebensinhalt: Neben den alltäglichen
Arbeiten, die zur Pflege eines Komapatienten gehören, schminkt,
manikürt und frisiert Benigno seine heimliche Geliebte und "überrascht"
sie mit Geschenken. An der Außenwelt nimmt er nur noch teil,
um
ihr hinterher davon zu erzählen. Denn obwohl die Ärzte es
für sinnlos halten, spricht Benigno mit Alicia, wie mit einer
vollwertigen Gesprächspartnerin.
Nur wenige Meter entfernt liegt die Stierkämpferin Lydia (Rosario
Flores) seit einem Unfall in der Arena im Koma. Der Journalist Marco
(Darío Grandinetti) harrt Tag und Nacht an dem Bett seiner
Geliebten aus, kommt sich jedoch überflüssig und hilflos
vor. Benigno hilft ihm, mit der Situation umzugehen. Das gemeinsame
Schicksal bindet die beiden unterschiedlichen Charaktere aneinander
und es entwickelt sich eine enge Freundschaft. Bis Marco auf einer
Auslandsreise erfährt, dass Benigno sich in Untersuchungshaft
befindet und im Verdacht steht, Alicia geschwängert zu haben.
Wie von Pedro Almodóvar nach Klassikern wie "Live Flesh
- mit Haut und Haar" (1997) und "Alles über meine Mutter"
(1999) zu erwarten war, ist auch sein jüngstes Werk keine leichte
Kost: "Hable con ella" handelt in erster Linie davon, wie
Liebende nicht zueinander
finden. Typisch spanischen Machismo sucht man hier vergebens: Wahrscheinlich
aufgrund der jahrelangen Pflege seiner bettlägerigen Mutter und
der anschließenden Sorge um Alicia haftet Benigno etwas leicht
tuntiges an. Sein Leidensgenosse Marco - obwohl in tiefer Liebe mit
der Torrera Lydia - trauert einer verflossenen Liebe hinterher und
beweint jeden schönen Moment, den er nicht mit seiner Ex-Geliebten
teilen kann. Dennoch ist "Hable con ella" keine schmalzige
Schmonzette. Allen voran Javier Cámara alias Benigno versteht
es exzellent, den Bogen zwischen Krankenpfleger und Liebendem zu spannen.
Unterleibswaschungen wirken nicht obszön oder erotisierend, sondern
rein sachlich,
während in nahezu nebensächlichen Zuwendungen wie etwa Maniküre
Benignos Liebe zu Alicia deutlich spürbar wird.
Benignos körperliches Begehren symbolisiert Almodóvar
anhand eines etwa fünfminütigen schwarz-weißen Stummfilmes
im Stil der 20er Jahre. In "Der schwindende Liebhaber" erkundet
ein auf Däumlingsgröße geschrumpfter Mann den Körper
seiner schlafenden Frau und findet sich in ihrem Schoße wieder.
Die für ihn übermannsgroße Vagina scheint wie das
Ziel aller Sehnsüchte, in das er zu ihrer Verzückung nach
einigem Zaudern eindringt und verschwindet. Kraft dieser Symbolik
umgeht Almodóvar die prekäre Lage, den moralisch höchst
zweifelhaften Akt einer eventuellen Vergewaltigung der komatösen
Patientin darstellen zu müssen. Trotz der etwas rüden Unterbrechung
(Stummfilm im Film) nimmt der Handlungsfaden keinen Schaden. Vielmehr
zieht sich diese Art von Symbolik durch den gesamten Film, lässt
einige Fragen offen und gibt dem Zuschauer so Raum für eigene
Phantasien.
Ein erfrischendes Stück Filmgeschichte um Moral, männliche
Zwiespälte und jede Menge Tränen, das sich Freunde süßer
Tragik nicht entgehen lassen sollten. Aktive Tierschützer hingegen
sollten den Film meiden: die Kollegen sind wegen einer Stierkampfszene
bereits auf den Barrikaden ...
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