Straw Dogs - Wer Gewalt sät

Originaltitel
Straw Dogs
Jahr
1971
Laufzeit
118 min
Genre
Bewertung
von Malte Krüger / 31. Oktober 2013

Die Darstellung von Gewalt findet im Kino allzu oft, um nicht zu sagen fast immer in einem Kontext von Unterhaltung statt, und dadurch wird die Gewalt in ihrem wahren Naturell gefährlich verharmlost. Die Präsentation von Gewalt als Spaß findet ihre pervertierte Kehrseite dann in einem abstoßenden Trend wie „Happy Slapping“-Videos auf Schulhof-Handys. Die wenigen, großen und bedeutsamen Werke der Filmgeschichte, die sich dezidiert mit Gewalt als zentrales Thema auseinander setzen, haben im Gegensatz dazu eines gemeinsam: Sie zeichnen Gewalt als hässliche Seite des Menschen und machen mit schonungslosem Realismus den Kinobesuch zur Strapaze, indem sie quälend fühlbar machen, was die Erfahrung von Gewalt tatsächlich bedeutet. Dazu zählt Pier Paolo Pasolinis „Salò“, der Gewalt als luststiftendes Machtinstrument der Herrschenden zeigt. Dazu zählt Michael Hanekes „Funny Games“, der Gewalt als Produkt der vergletscherten Konsumgesellschaft zeigt. Und dazu zählt John Boormans „Beim Sterben ist jeder der Erste“, der Gewalt als Produkt des Konflikts zwischen Zivilisation und Wildnis zeigt.

Straw Dogs - Wer Gewalt sätAuch Sam Peckinpahs „Straw Dogs“ (1971) gehört in diese Reihe authentischer und darum verstörend-abstoßender Abhandlungen über Gewalt. Denn seine Gewaltstudie stellt eine provozierende These auf: Jeder Mensch kann in einer Extremsituation zu einer gewalttätigen Bestie werden, egal welchen Charakter oder welchen Bildungsstand er hat.
Die Kompromisslosigkeit, mit der „Straw Dogs“ diese Botschaft ausdrückt, zwingt die Zuschauer dazu, sich auf jeden Fall zu entscheiden: Lehnen wir diesen Standpunkt ab oder nicht? Und damals in der Entstehungszeit des Films lehnten viele Leute Peckinpahs These auf den ersten Schreck hin rigoros ab. Zu sehr wurden sie möglicherweise durch die Botschaft mit ihren eigenen gewalttätigen Abgründen konfrontiert. Auch die damals sehr einflussreiche amerikanische Kritiker-Päpstin Pauline Kael sprang auf diesen Empörungszug mit auf und brandmarkte Peckinpah damit, einen faschistischen Klassiker geschaffen zu haben. Heute, viele Jahrzehnte später darf man „Straw Dogs“ tatsächlich als Klassiker bezeichnen. Doch als faschistisch? Nein, das ist Quatsch.
Der Western-Spezialist Peckinpah (dessen Meisterwerk „The Wild Bunch“ wir bereits mit einer Gold-Rezension gewürdigt haben, und dessen gesamtes Western-Schaffen wir in diesem Spotlight ausführlich behandelten) lieferte mit seinem ersten Nicht-Western keine Gewaltverherrlichung. Er konstatiert nur, dass Gewalt als Teil der menschlichen Identität existent ist. Allerdings erklären sich die heftigen Reaktionen auf seinen Film, weil Peckinpah zugleich eine der verstörendsten Untersuchungen männlicher Identität ablieferte.

Würden Männer eher um ihr Territorium kämpfen oder eher um Frauen? „Straw Dogs“ Antwort lautet: eher um ihr Territorium. Dabei ließ sich Peckinpah von der Schrift „The Territorial Imperative“ des Anthropologen Robert Audrey inspirieren. Betrachtungsobjekt von Peckinpahs These ist der amerikanische Astro-Mathematiker David Sumner (Dustin Hoffman). Straw Dogs - Wer Gewalt sätDavid ist Pazifist und hat vor den gesellschaftlichen Unruhen der Vietnamzeit in den USA Reißaus genommen. Mit seiner jungen Frau Amy (Susan George) ist er in deren Heimat nach England gezogen. Fernab von großstädtischer Hektik versucht er Ruhe für seine wissenschaftliche Arbeit zu finden in einem verschlafenen Örtchen in Cornwall, auf der Farm von Amys verstorbenem Vater. Doch schon die ersten Momente voll latenter Gewalt machen eines klar: David wird die angestrebte Ruhe nicht finden.
Das Auftreten des jungen Paares wirkt sofort provozierend auf die Bewohner des Städtchens: David mit seiner distanziert arroganten Art und Amy mit ihren weiblichen Reizen, die sie selbstvergessen zur Schau stellt. David und Amy engagieren einige Männer aus dem Dorf, angeführt von Venner, Amys Ex-Lover, um auf ihrer Farm das Dach der Garage zu reparieren. Als Kopfarbeiter kommt für David eine derart handwerkliche Tätigkeit nicht infrage. Schnell fangen die einfachen und sehr körperlichen Männer an, sich über David lustig zu machen und mehr als ein lüsternes Auge auf Amy zu werfen, die die Blicke der Männer auch noch zu animieren scheint.
Auch zwischen Amy und David brodeln die Konflikte. Denn Peckinpah gestaltet ihr Zusammenleben als unvermeidlichen Geschlechterkampf zwischen einem Paar, das nicht zusammenpasst. So haben sie keine Gemeinsamkeiten, und das erotische Feuer zwischen ihnen ist bereits verglüht, weil es David an Spontanität fehlt. Zudem vergräbt sich David in seine Forschungsarbeit und hat kein Interesse daran, sich um Amy zu kümmern. Auch seine Versuche, sich in der Dorfgemeinschaft zu integrieren, sind eher ungeschickt und halbherzig, weil sie geprägt sind von dem Wissen, den anderen intellektuell überlegen zu sein.
Straw Dogs - Wer Gewalt sätOhne Eigenleben und definiert durch die Aufmerksamkeit ihres Mannes stellt Amy immer wieder Davids männliche Durchsetzungskraft infrage: So beklagt sie sich darüber, dass sie von Venner und seinen Freunden mit Blicken ausgezogen wird. Doch David unternimmt keine Anstalten, dagegen einzuschreiten. Deshalb versucht Amy ihren Mann herauszufordern: „Du bist weggezogen, weil du nicht Farbe bekennen wolltest. Gib es zu!“ Als David das bestreitet, legt Amy nach: „Aber ich weiß, warum Du hier bist!“ Und warum? „Weil Du Dich nirgendwo wie hier verstecken kannst.“

Der erste Ausbruch offener Gewalt tritt ein, als Venner und seine Kumpels Amys Katze erdrosseln und im Kleiderschrank im Schlafzimmer der Sumners aufhängen. „Sie wollen Dir zeigen, wie leicht es ist, in Dein Schlafzimmer zu kommen“, ermahnt Amy ihren Mann. Ein deutliches Signal an David: Unternimm was, sei ein Mann, beschütze mich! David spielt das herunter.
Wie leicht jedoch tatsächlich Davids Lebensraum erobert werden kann, zeigt die immer wieder hitzig und kontrovers diskutierte Vergewaltigungsszene. Frauenfeindlichkeit und Voyeurismus hat man dieser Szene zur Entstehungszeit oft von „Straw Dogs“ vorgeworfen. Doch auch dieser Vorwurf ist nicht berechtigt. Vielmehr handelt es sich um eine hoch komplexe Szene: David wird von Venner und seinen Kumpels auf eine Vogeljagd gelockt, bei der sie ihn wenig später auf freier Wildbahn allein zurücklassen. Währenddessen wird Amy von Venner und einem zweiten Kerl vergewaltigt. Dabei werden immer wieder Amys Reaktionen auf die beiden Vergewaltiger durch Zwischenschnitte auf David bei seiner einsamen Vogeljagd bezogen. Diese Szene zeigt einerseits die Entfremdung zwischen Amy und David und andererseits, wie wenig David in der Lage ist, Amy zu beschützen.
Straw Dogs - Wer Gewalt sätAuf den ersten Vergewaltiger, auf Venner, lässt sich Amy nach anfänglicher Gegenwehr noch ein, um die Situation halbwegs kontrollieren zu können. Dabei drückt sich möglicherweise auch ihre Sehnsucht nach dominant-aggressiv auftretenden Männern aus, zu denen David nicht zählt. Bei der zweiten Vergewaltigung ist Amy jedoch nur noch Opfer. Peckinpah kreiert für ihr Martyrium ekelhafte Bilder, die mit ihrer ungeschminkten Rauheit keine Zugeständnisse an mögliche Voyeure mehr enthalten.
Damit lenkt Peckinpah auch geschickt die Sympathie auf David. Nicht weil er ein Held ist, sondern weil er im Vergleich zu Venner und seinen Kumpels weniger verabscheuungswürdig ist. Dadurch lässt Peckinpah dem Zuschauer die Möglichkeit offen, heimliche Wünsche nach Vergeltung auf die Vergewaltiger abzubilden, die David vollstrecken möge.

Dustin Hoffman glänzt hier in einer seiner besten und komplexesten Rollen in der kreativsten Phase seiner Karriere, kurz nach „Die Reifeprüfung“, „Asphalt Cowboy“ und „Little Big Man“ und noch vor „Die Unbestechlichen“ und „Lenny“. Er  vermittelt meisterhaft, wie viel latente Aggressionen und Gewalt auch in einem Mann wie David schlummern, egal wie weit ihn sein enormer Intellekt scheinbar vom triebhaften Teil seines Selbst distanziert hat. Immer wieder versucht er Amy mit seiner geistigen Überlegenheit zu demütigen. Obendrein macht Hoffman Davids Selbstgerechtigkeit spürbar, als er bei dem Anstandsbesuch des Dorfpfarrers mit subtiler Feindseligkeit auftritt.
Auch Susan George überzeugt in der besten Rolle ihrer Karriere. Sie schafft es, Amy Tiefe zu verleihen. Besonders als David von der Jagd zurückkehrt und sie ihm die Vergewaltigung verheimlicht, in einer Mischung aus eigener Stärke, Traumatisierung und ihrer Entfremdung von ihm.

Wie dünn die Grenze zwischen Zivilisation und animalischer Wildheit ist, demonstriert „Straw Dogs“ mit einer brillanten Bildmontage während eines bunten Abends in der Dorfkirche. Dort trifft Amy in Begleitung Davids wie bei einem Spießrutenlauf ihre Peiniger wieder, die sich mit ihren Sonntagsanzügen in ein Kostüm der Anständigkeit gehüllt haben. An ihrem Sitzplatz wird Amy dann von ihren traumatischen Erinnerungen überwältigt. Dabei werden die Großaufnahmen ihres leidenden Gesichts unterbrochen von einzelnen Bilderschnipseln der Vergewaltigung, von trötenden Kindern und von saufenden und fressenden Erwachsenen. Vor dieser Kulisse führt der Pfarrer mit einstudierter Fröhlichkeit banale Zaubertricks vor. Diese Bilderfolge entlarvt die Durchlässigkeit der bürgerlichen Fassade und legt nahe, dass hier letztlich jeder zum Vergewaltiger werden könnte.

Straw Dogs - Wer Gewalt sätZur Explosion der Gewalt kommt es dann im letzten Akt, als der geistig zurückgebliebene Dorftrottel Niles bei David Unterschlupf sucht. Venner und die anderen Männer aus dem Dorf verletzen das Hausrecht und verlangen die Herausgabe des Dorftrottels, weil sie ihn verdächtigen, ein Mädchen geschändet zu haben. Die Männer wollen Lynchjustiz üben – wie in einem Western. Von diesem Moment an schüttelt David alle Zögerlichkeit ab und verteidigt seinen Lebensraum, sein Territorium. Erst jetzt stellt er sich den Männern entgegen, die ihn herumgeschubst und seine Frau belästigt haben. Amy wiederum drängt darauf, Niles der Lynchmeute auszuliefern, nicht nur weil sie feige ist, sondern auch weil sie nicht für einen Mann einstehen will, der angeklagt ist, ein Frauenschänder zu sein. David jedoch weigert sich entschieden: „Nein, das kann ich nicht. In diesem Haus lebe ich. Dieses Haus bin ich. Gewalttaten in diesem Haus lasse ich nicht zu.“
Bemerkenswerterweise ist es seine Frau, gegen die David zum ersten Mal selbst zur Gewalt greift. Er ohrfeigt sie mit offener Brutalität, als Amy Niles auf Venners Drängen hin erneut ausliefern will. Von da an wendet David Gewalt aktiv an mit erschreckend rationaler Präzision, und lässt sich von ihr in ein mörderisches Inferno mitreißen. Nicht um Vergeltung für Amy zu üben, sondern um sein Territorium zu verteidigen, das ihn definiert.

Peckinpah feiert Davids Ausbruch seiner gewalttätigen Urtriebe nicht als Wandlung zu einem besseren Menschen, und widerlegt so den Faschismus-Vorwurf. Stattdessen zeichnet er gekonnt mit gekippten Winkeln eine aus den Fugen geratene Welt. Darin wirkt die Gewalt umso bedrückender, weil sie von einem Mann angewendet wird, der ihr in seiner abstrakten Welt der Zahlen und Figuren umso mehr entfernt zu sein schien.
Das raue und abstoßende Bild der Gewalt, das Peckinpah komponiert, stößt an die Grenze der Konsumierbarkeit. So wie bei dem finalen Massaker seines anderen Meisterwerks „The Wild Bunch“. Die vielen Schnitte und Perspektivenwechsel treiben den Zuschauer in einen Sog, in den er gar nicht geraten will. Deshalb muss er am Ende umso hilfloser mit einer zerschossenen Welt zurechtkommen, die nicht wieder zusammenzusetzen ist.

Gewalt führt zu keiner Lösung, sondern nur zur Katastrophe. Sie ist keine Unterhaltung, sie ist immer eine Folter. Damit erreicht „Straw Dogs“ einen beklemmenden Realismus, der bis heute Maßstäbe setzt. Und in seiner drastischen, kompromisslosen Aussagekraft den geleckten und stylischen Gewaltauswüchsen im modernen Actionkino einen entlarvenden Spiegel vorhält.
 


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