Lucas, führ uns zum Schotter - Der akute Zuschauerschwund des Hollywood-Kinos

von Frank-Michael Helmke / 18. Juli 2009

23.05.2005 - Der letzte Teil der "Star Wars"-Saga war kaum 24 Stunden auf den Leinwänden dieser Welt angelaufen, als Kinos und Filmverleiher dies- und jenseits des Atlantiks bereits erste neue Rekordzahlen angesichts des fulminanten Besucheransturms vermeldeten. Der damit einhergehende Geldsegen wird nicht nur George Lucas glücklich machen - der mit Merchandise-Produkten und allseits eingeflochtenen Crosspromotion-Deals vom Trinkbecher bis zur Chipsdose bereits jetzt ein paar weitere hundert Millionen sein Eigen nennen dürfte - sondern vor allem einer Industrie eine schwer benötigte Atempause gönnen, die ihren eigenen Krisenstatus kaum länger unter den Teppich kehren kann.
Der amerikanischen Filmindustrie laufen die Zuschauer davon. Diese nicht zu leugnende Tatsache konnte man in den letzten drei Jahren noch recht erfolgreich kaschieren, denn auch wenn die tatsächlichen Zuschauerzahlen in den US-Kinos seit 2002 um 7,5 Prozent zurückgegangen sind, schlug dieser Schwund dank leichter Inflation und stetig steigender Ticketpreise bisher nicht auf die nackten Box-Office-Einnahmen durch. Und weil die amerikanischen Kinocharts in Dollarmillionen gemessen werden (nicht wie hierzulande an den tatsächlichen Besucherzahlen), herrschte offiziell immer noch eitel Sonnenschein in der Traumfabrik.
Doch damit ist jetzt Schluss: In den Monaten vor dem "Star Wars"-Start verzeichneten die amerikanischen Kinokassen in zwölf aufeinander folgenden Wochen einen Einnahmenrückgang im Vergleich zum Vorjahr - ein fast historischer Rekord. Im Vorjahresvergleich sind die Besucherzahlen in den ersten fünf Monaten 2005 um ganze acht Prozent eingebrochen, die Einspielergebnisse um fünf (steigende Ticketpreise federn weiterhin die schlimmsten Gewinneinbußen ab). Ein empfindlicher Einnahmenverlust, den die großen Hollywood-Studios bereits letztes Jahr über sich ergehen lassen mussten. Denn ohne den fulminanten Erfolg von Mel Gibsons "Die Passion Christi" (der in den USA bereits 330 Millionen eingespielt hatte, bevor im Mai die offizielle Blockbuster-Saison begann) wären die Box-Office-Zahlen schon im letzten Jahr so ernüchternd ausgefallen. Da Gibson seinen kontroversen Jesus-Film mit eigenen Mitteln und ohne Studio-Unterstützung realisiert hatte, bekamen die big players des Filmbusiness von diesem einzigen fetten Kuchen des letzten Frühjahrs nicht einen Bissen ab.

Bis dato der größte Hit des
Jahres: Will Smith als "Hitch"

Ein ähnlich durchschlagender Erfolg, mit dem sich die Box-Office-Resultate dieses bisherigen Jahres schön rechnen ließen, war niemandem beschert: Der bis dato erfolgreichste Film 2005 ist ein Überbleibsel aus dem Vorjahr. "Meine Braut, ihre Schwiegereltern und ich" räumte am Weihnachtsstartwochenende bereits 70 Millionen Dollar ab und legte nach der Jahreswende nochmal gut 200 Millionen oben drauf - mehr als der größte "echte" 2005er-Filmhit "Hitch, der Date-Doktor" geschafft hat (180 Millionen). Ansonsten sucht man lange und vergeblich nach vorzeigbaren Erfolgen. Abgesehen von den familienfreundlichen Filmen "Der Babynator" und "Robots" hat bislang keine kalkulierte Studio-Produktion die magische 100-Millionen-Grenze durchbrochen, "Robots" muss zudem als Enttäuschung gewertet werden, blieb er doch ein gutes Drittel hinter den Einnahmen seines Quasi-Vorgängers "Ice Age" zurück. Hoch budgetierte Kracher wie das Keanu-Reeves-Vehikel "Constantine", Ridley Scotts "Königreich der Himmel" oder die Wüstenabenteuer-Schwarte "Sahara" enttäuschten auf dem heimischen Markt, ihr Einspiel blieb weiter hinter den Produktionskosten zurück.

Der Grund für die Flaute ist so einfach wie offensichtlich: Das Produkt kann nicht mehr überzeugen. Oder klar und deutlich ausgedrückt: Die meisten Filme sind einfach scheiße. In einer kürzlich durchgeführten Umfrage auf der Internet Movie Database - der größten und meistgenutzten Film-Website der Welt - bezüglich der dauerhaften Box-Office-Krise, antworten 63 Prozent der Nutzer, dass sie das aktuelle Filmangebot einfach nicht interessieren würde. Wer kann's ihnen vergelten: Die Frühjahrsmonate sind fast schon traditionell die Müllhalde der Hollywood-Studios, in denen all die Produktionen abgeladen werden, die zu schwach und/oder zu schlecht sind, um im heiß umkämpften Sommermarkt bestehen zu können. Das bedeutete dieses Jahr vor allem Horror-Dutzendware wie "Boogeyman", "Amityville Horror" oder "Hide & Seek", sowie afroamerikanisches Spartenprogramm wie die dröge Familienklamotte "Sind wir schon da?", die derbe Matronen-Komödie "Diary of a Mad Black Woman" oder das langweilige Klassiker-Remake "Guess Who" - sechs Filme, die aufgrund mangelnder Konkurrenz allesamt auf Platz Eins der Box-Office-Charts starteten, von denen aber keiner das Publikum überzeugen konnte. Die höchste erreichte Durchschnittswertung unter den IMDB-Benutzern: Eine magere 5,8 auf der 10er-Skala.

Bis dato der größte Flop:
Die Voll-Katastrophe "xXx 2"

Es ist kaum zu leugnen: Reichten die simpel kalkulierten Erfolgsformeln Hollywoods bisher zumindest noch für eine ausgeglichene Jahresbilanz, scheinen die Zuschauer die ewig gleichen Schemata langsam wirklich nicht mehr sehen zu wollen. Paradebeispiel: Das Sequel, seit fast einem Jahrzehnt die meist geschröpfte cash cow im Filmgeschäft, versagt dieses Jahr endgültig ihre Dienste. "Miss Undercover 2", "Ring 2", die "Schnappt Shorty"-Fortsetzung "Be Cool" oder "xXx 2": Alle blieben um durchschnittlich 50 Prozent hinter dem Einspiel ihrer Vorgänger zurück, "xXx 2" - mit einem Budget von 90 Millionen eigentlich als erster Action-Superhit des Jahres konzipiert - ging mit knapp 25 Millionen Einspiel nach drei Kinowochen sogar geradezu spektakulär unter.
Die leisen Gewinner dieser Krise - wenn es sie überhaupt gibt - sind die weniger dick promoteten, aber dafür einfach guten Produktionen: So konnte die fabulöse Independent-Tragikomödie "Garden State" schon im letzten Herbst vom desaströsen Abschneiden einiger schnell abgesetzter Hollywood-Streifen profitieren, vakante Multiplex-Leinwände belegen und überraschend hohe Zuschauerzahlen verzeichnen. Und Clint Eastwoods ebenso ruhig erzählter wie vermarkteter Oscar-Gewinner "Million Dollar Baby" durchbrach kürzlich tatsächlich noch die 100-Millionen-Grenze - fünf Monate nach seinem Start.

Setzt sich Qualität jetzt doch durch? Ganz so schnell vielleicht noch nicht, aber wenn es so weiter geht wird sie bald vielleicht das einzige sein, was sich rentiert. Und dann setzt sie sich doch durch. Denn Hollywood braucht die konstanten Einnahmen seiner kleineren Produktionen, um damit die prestigeträchtigen Mega-Blockbuster zu finanzieren - die müssen inklusive DVD-Auswertung nämlich inzwischen oft über eine halbe Milliarde Dollar einfahren, um angesichts horrender Produktions- und Werbekosten überhaupt rentabel zu sein. Wenn das breite Publikum Hollywoods einfallslose Standardkost also nicht mehr schlucken will, dann müssen sich die satten Produzenten schon aus wirtschaftlichen Gründen endlich mal wieder Mühe mit ihren Produkten geben. Um das Filmjahr 2005 nicht mit einem fetten Minus abzuschließen, braucht Hollywood auf jeden Fall weit mehr als nur einen "Star Wars"-Film - eine ganze Trilogie wäre gut ….

Update: Zwei Wochen später haben die Box-Office-Zahlen die schlimmen Hoffnungen der Analysten bestätigt. Zwar gelang "Episode 3" wie erwartet ein fulminanter Start und über 300 Millionen Dollar Einspiel sind bereits sicher - dennoch konnten die Gesamt-Einnahmen an den Kinokassen auch in den ersten zwei "Star Wars"-Wochen nicht die Marke des Vorjahres übertreffen. Obwohl "Episode 3", der Shrek-Nachfolger von Dreamworks Animation "Madagascar" und die Adam-Sandler-Komödie "The Longest Yard" allesamt über 60 Millionen einspielten am vergangenen Feiertags-Wochenende in den USA, blieb das Gesamtergebnis trotzdem fünf Prozent unter dem des vergleichbaren Vorjahres-Wochenende, als sich "Shrek 2" und "The Day after Tomorrow" die dicksten Stücke vom Box-Office-Kuchen abschnitten. Damit erreicht die Negativ-Billanz ihre 14. Woche - und es ist anzunehmen, dass sie sich fortsetzt, nachdem auch die erste große Blockbuster-Welle ihr nichts anhaben konnte.

In den täglichen User-Umfragen auf der IMDB ist man derweil weiter auf Ursachen-Suche: Kürzliche Umfragen ergaben unter anderem, dass gut die Hälfte aller Teilnehmer der Auffassung ist, dass die Qualität der großen Blockbuster-Filme in den letzten Jahren zurückgegangen ist, und dass aufgrund der steigenden Ticket-Preise drei Viertel der Teilnehmer seltener und/oder mit genauerer Sorgfalt bei der Filmauswahl ins Kino gehen. Womit dann wohl endgültig der Punkt erreicht wäre, an dem höhere Ticketpreise ihren selbst verursachten Zuschauerschwund in der Bilanz nicht mehr auffangen können.


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