Lincoln

Originaltitel
Lincoln
Land
Jahr
2012
Laufzeit
150 min
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Frank-Michael Helmke / 31. Dezember 2012

Wenn Steven Spielberg und der vielfach preisgekrönte Theater-Autor Tony Kushner sich gemeinsam an ein filmisches Porträt des wohl bedeutendsten amerikanischen Präsidenten machen, kann man sich durchaus denken, dass da kein gewöhnliches Biopic bei rumkommen würde, das die wichtigsten Lebensstationen und Errungenschaften seiner zentralen Figur zu berücksichtigen bemüht ist und in gut zwei Stunden durch mehrere Jahrzehnte Erzählzeit hetzt. Mitnichten hier. LincolnDas Bemerkenswerteste und auch Beste an Spielbergs und Kushners Porträt von Abraham Lincoln ist die Konzentration auf seinen letzten und vielleicht wichtigsten politischen Kampf - die Verabschiedung des 13. Zusatzes zur Verfassung der Vereinigten Staaten, der endgültigen Abschaffung der Sklaverei. Und so spielt dieser Film über jenen amerikanischen Präsidenten, dessen Wahl ein auslösender Faktor für den Ausbruch des amerikanischen Bürgerkriegs war und der die Nation nicht nur erfolgreich durch die folgenden vier Kriegsjahre führte, sondern sie auch auf jenen Kurs neu ausrichtete, der die USA im folgenden zur größten Industrienation der Welt machen würde, fast ausschließlich in einem Zeitraum von einem knappen Monat. Und bringt seinem Publikum den legendären Abraham Lincoln trotzdem näher, als es wohl je zuvor ein Film geschafft hat.

Wir schreiben die Jahreswende 1864/1865. Abraham Lincoln wurde in den Nordstaaten soeben für eine zweite Amszeit als Präsident wiedergewählt, während die Südstaaten militärisch so gut wie besiegt sind und der lang ersehnte Friedensschluss im amerikanischen Bürgerkrieg in greifbare Nähe rückt. Gleichzeitig jedoch sieht Lincoln aufgrund der Vielzahl an Abgeordneten, die mit der nächsten Amtsperiode aus dem Kongress ausscheiden, die vielleicht einmalige Chance, die nötige Zweidrittel-Mehrheit im Parlament für die Verabschiedung eines Verfassungszusatzes zusammenzubekommen, um die Sklaverei endlich für immer zu verbieten. Ein Unterfangen, das jedoch alles andere als ein Selbstgänger ist: Selbst wenn Lincoln alle Stimmen seiner eigenen Fraktion der Republikanischen Partei hinter sich vereinen kann, braucht er auch noch einen signifikanten Anteil der oppositionellen Demokraten, die von der Abschaffung der Sklaverei und dem Schreckgespenst der gesetzlichen Gleichstellung der Schwarzen nichts hören wollen. Zudem gefährdet der angestrebte Verfassungszusatz auch den möglichen Friedensschluss mit den Südstaaten. Denn ein endgültiges Verbot der Sklaverei würde die wirtschaftliche Existenzgrundlage der Südstaaten vernichten und damit deren Bereitschaft, zu kapitulieren und in das Staatenbündnis mit den Nordstaaten zurückzukehren, entscheidend beeinträchtigen. Ein fast unmöglicher politischer Kampf, den Lincoln aber dennoch um jeden Preis gewinnen möchte.


LincolnEs dürfte für die meisten europäischen Zuschauer nicht ganz einfach sein, sich im politischen und historischen Kosmos von "Lincoln" zu orientieren, denn der Film ist ganz klar für ein amerikanisches Publikum konzipiert und setzt den grundsätzlichen Kontext als bestens bekannt voraus. So zum Beispiel die Tatsache, dass die Demokratische Partei anno 1865 eben nicht jene progressive und für mehr Minderheitenrechte eintretende Kraft war, als die man sie heute kennt, sondern sich die Gegner der Slaverei eher bei den Republikanern sammelten. Und vor allem das Wissen um den weit verbreiteten Irrtum, dass es im amerikanischen Bürgerkrieg einzig um die Abschaffung der Sklaverei ging. Der gesetzliche Umgang mit dieser war zwar ein auslösende Faktor für den Konflikt, tatsächlicher Kriegsgrund war aber das Ausscheren der Südstaaten aus dem Staatenbündnis der Vereinigten Staaten von Amerika und das Bestreben der Nordstaaten, die Wiedereingliederung der Südstaaten zu erzwingen. Ob im Zuge dessen die Sklaverei nun vollständig und in allen Staaten abgeschafft werden müsste/sollte, war bis zum Kriegsende ein auch in den Nordstaaten kontrovers debattiertes Thema. 

LincolnWas den tatsächlichen Fokus der Handlung betrifft, so könnte dieser Film darum eigentlich auch "Der Kampf um den 13. Verfassungszusatz" heißen, denn hierum geht es. So beleuchtet der Film auch ausgiebig die entscheidende Rolle des radikalen Sklaverei-Gegners Thaddeus Stevens (Tommy Lee Jones) im Laufe der Kongressdebatte und dokumentiert en detail die politischen Winkelzüge im parlamentarischen Mikrokosmos von Washington D.C., mit denen Lincoln und seine Helfershelfer ihr Ziel zu erreichen versuchten. Das hat dann nichts mehr von großen Idealen und Visionen, sondern ist ein an Bestechung grenzendes Getrickse und Geschacher um Posten und falsche Verspechen, wie es auch heutzutage noch die weniger feine Art der Hinterzimmer-Politik ist - eben der Weg, der letztlich ganz realpolitisch zu Ergebnissen führt. 

So gibt es hier viele Szenen, in denen Lincoln gar nicht vorkommt, sondern nur sein politischer Wille präsent ist in den Aktionen seiner "Männer fürs Grobe" (handfest und charmant gespielt von einem inzwischen wohlbeleibten James Spader sowie Tim Blake Nelson und John Hawkes). Und trotzdem fängt dieser Film die Persönlichkeit Lincolns so detailliert und greifbar ein, Lincolnwie es nur irgendmöglich ist. Über seinen stets spürbaren Willen, auch mit im Zweifelsfall nicht ganz sauberen und undemokratischen Mitteln (und zum Preis weiterer Kriegsmonate und damit vieler Menschenleben) das durchzusetzen, was er in tiefster Überzeugung für moralisch richtig hält; über seine ehelichen Auseinandersetzungen mit seiner von Krankheiten geplagten Ehefrau Mary (Sally Field); und seine väterliche Sorge um seinen ältesten Sohn Robert (Joseph Gordon-Levitt), den Lincoln trotz aller Grundsätze und Ideale auf Teufel komm raus nicht in die eigene Armee eintreten lassen will aus Angst, sein Spross könnte im Kampf sein Leben verlieren. Und nicht zuletzt gelingt es Drehbuchautor Kushner durch seine Szenen- und Dialogführung kongenial einzufangen, was für ein bodenständiger und zutiefst menschlicher Präsident Lincoln war, der jedem Bürger - vom Farmer bis zum Soldaten - mit ehrlichem Respekt auf Augenhöhe begegnete und mit einem unerschöpflichen Fundus an Anekdoten und Geschichten es stets verstand, auf einfache Art seine Intentionen zu vermitteln oder für dringend nötige Auflockerung zu sorgen. Herrlich eine Szene, in der ein vollbesetzter Telegraphen-Raum hochnervös auf Nachricht von der entscheidenden Schlacht um den Hafen von Wilmington wartet und Lincoln auf einmal anfängt, einen Witz zu erzählen, so dass sein nervlich ausgezerrter Kriegsminister polternd den Raum verlässt: "Nicht schon wieder eine von deinen Geschichten!". 

Es ist schon fast müßig zu erwähnen, dass dieses Porträt Lincolns natürlich nur halb so gut gelungen wäre, gäbe es nicht die Darstellung durch Daniel Day-Lewis, der aus einer brillanten Grundlage erst das geniale Ganze macht. Unbestritten einer der größten lebenden Schauspieler (der es sich erlaubt hat, in den letzten 15 Jahren nur noch fünf Filmrollen anzunehmen, darunter seine genialischen Vorstellungen in "Gangs of New York" und "There will be Blood", für den er seinen zweiten Oscar gewann), kann man das Nuancenreichtum und die Vielschichtigkeit von Day-Lewis' Vorstellung hier gar nicht hoch genug loben. Nur sehr selten bekommt man eine derart perfekte Schauspielleistung zu sehen, die komplett auf großes Tamtam verzichtet, sondern sich einen Charakter bis in die kleinsten körpersprachlichen Feinheiten so vollständig aneignet, das eine echte Verkörperung im wahrsten Sinne des Wortes entsteht. LincolnNatürlich ist Day-Lewis mit dieser Leistung unangefochtener Hauptfavorit auf den Oscar dieses Jahr. Und das nicht nur, weil man mit einer historischen Rolle wie Abraham Lincoln quasi automatisch nominiert wird. Sondern vor allem, weil man schlichtweg nicht präziser und perfekter spielen kann als es Day-Lewis hier tut.

So unaufgeregt und zurückgenommen und trotzdem höchst wirksam, wie Day-Lewis hier ebenso wie Lincoln einst selbst agiert, so fällt auch die Inszenierung von Spielberg aus. Nichts zieht hier die Aufmerksamkeit auf die Regie, kein einziges Mätzchen durchbricht den ruhigen Rhythmus. Spielberg weiß um die Stärke des Drehbuchs, er weiß um die Stärke der historischen Umsetzung seiner Zuarbeiter aus Austattung, Maske und Kostüm, er weiß um die Stärke seiner brillanten Darsteller und seines gewohnt großartigen Kameramanns Janusz Kaminski, er weiß um die Bedeutsamkeit seines Stoffes und er weiß, dass er dies alles schlicht wirken lassen kann, ohne auch nur einmal die Pathos-Keule schwingen zu müssen. Spielberg zelebriert hier großes historisches Kino mit einer Feinfühligkeit und Zurückhaltung, die absolut bemerkenswert ist. 

Ebenso bemerkenswert ist Tony Kushners großartig komponiertes Drehbuch, in dem er es geschickt versteht, Lincolns "Greatest Hits" eben nicht direkt anzuspielen, sie aber dennoch einzubauen. Wie gleich zu Anfang Lincolns legendäre "Gettysburg Address" rezitiert wird und dabei durch den Kontext und die Art des Vortrags (nicht von Lincoln selbst) die profunde Wirkung verdeutlicht wird, die diese vielleicht wichtigste Rede der amerikanischen Geschichte auf ihre Zeitgenossen hatte, ist nur der erste von vielen herausragenden Momenten hier. Und wenn sich Lincoln dann in einer der letzten Szenen von seinen Weggefährten ins Theater verabschiedet, dann weiß jeder (oder zumindest jeder Amerikaner), was als nächstes passieren wird - so dass Spielberg und Kushner sich brillanterweise dafür entscheiden, es gar nicht direkt zu zeigen. Tatsächlich wäre Lincolns Abgang aus dieser Szene das perfekte Ende für diesen Film gewesen. Dass es danach noch kurz weitergeht, ist wohl dem Pflichtgefühl des gewissenhaften Chronisten geschuldet, tut dem grandiosen Gesamteindruck aber keinen Abbruch: "Lincoln" ist nahezu perfekt ausgeführtes historisches Kino, eine präzise Wiedergabe von Zeit, Person und geschichtlichem Kontext, und ein Porträt handfesten, praktischen Politik-Machens von seltener Faszination.

Bilder: Copyright

8
8/10

Definitiv der interessanteste Polit-Film, wenn man so will, den ich seit langem gesehen habe. Die Verkörperung von Daniel-Day Lewis' Lincoln sowie der geschichtliche Hintergrund sind fesselnd. Vor allem sind es die kleinen Zwischentöne, die ein ambivalentes, aber letztlich grundsympathisches Bild von Lincoln zeichnen: Ein Schulterkopfen, ein Innehalten, ein kurzer Gefühlsausbruch - alles ins perfekte Licht gerückt. Dadurch erreicht der Film trotz einer ruhigen und bedächtigen Gangart eine Intensität, die nachwirkt. Obwohl man auch kritisch hinterfragen muss, ob dieses Bild vom nachdenklichen und gewieften Über-Strategen nicht doch etwas zu sehr verklärt.

Natürlich sind Kamera, Beleuchtung, Ausstattung exzellent und angemessen. Aber auch die vermeintlich große Geste findet sich hier und dort, meist dramatisiert durch patriotisch anmutende Musik, bei der man sich auch mal an den Soldaten James Ryan erinnert. Bei einem Film, der so sehr auf Charaktere und Beziehungen fokussiert, schmälert das den Gesamteindruck etwas.

Dennoch, ein großartiger Film. Evtl. vor dem Anschauen die geschichtlichen Zusammenhänge auffrischen, dazu reicht der gleichnamig Wikipedia-Eintrag.

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6
6/10

Ziemliches Erbauungskino. Betulich und pathetisch, in einigen Szenen auch echt peinlich. Unterstützt wird das durch die salbungsvolle Musik. In Sachen Drehbuch hat mich das nicht wirklich überzeugt. Die Darsteller allerdings sind grundsätzlich alle in Topform, da will man nix meckern. Und die Tableaus, die Janusz Kaminski als DOP dahin zaubert sind wirklich wunderschön. In dieser Hinsicht hat sich der Besuch mit Blick auf die große Leinwand auf jeden Fall gelohnt.

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