Vorschau auf die Oscar-Verleihung 2013

von Frank-Michael Helmke / 16. Februar 2013

In der Nacht vom 24. auf den 25. Februar ist es wieder soweit, die diesjährigen Oscars werden verliehen. Höchste Zeit also auch für uns, das Kandidatenfeld zu scannen und wie jedes Jahr zu analysieren, wer sich besser mit der Nominierung schon genug geehrt fühlen sollte und wer sich realistische Chancen auf den Sieg ausrechnen darf. Eines jedenfalls steht schon jetzt fest: Es war bei den Oscars schon lange nicht mehr so spannend wie dieses Jahr, und so könnte die Verleihung diesmal manche Überraschung parat halten. Und das gilt nicht nur für die Preisträger, sondern auch für die Gestaltung. Denn nachdem man im letzten Jahr mit Moderations-Veteran Billy Crystal noch die sicherste aller möglichen Lösungen gewählt hat, darf sich dieses Jahr „Family Guy“- und „Ted“-Schöpfer Seth MacFarlane als Gastgeber versuchen. Und wenn dabei nicht eine halbe LKW-Ladung hochgradiger politischer Unkorrektheiten bei rum kommt, wären wir doch sehr enttäuscht. Bevor MacFarlane zu seinem Eröffnungsmonolog ansetzt, nun aber erstmal unser Blick auf die Kandidaten und unsere Sieger-Prognose für alle Kategorien.

Oscar

BESTER FILM

Wer ist nominiert?
Liebe”, “Argo”, “Beasts of the Southern Wild”, “Django Unchained”, “Les Misérables”, “Life of Pi”, “Lincoln”, “Silver Linings”, “Zero Dark Thirty

Wer fehlt?
Seitdem die Anzahl der möglichen Nominierten in der Hauptkategorie auf bis zu zehn erweitert wurde, ist ein Großteil der möglichen Spannung/Kontroverse hier verloren gegangen, da die Anzahl an Filmen, die sich (mehr oder minder zurecht) ausgeschlossen fühlen können, stark zurückgegangen ist. Es gibt Filme, die mit klarem Schielen Richtung Oscars produziert wurden, aber schlicht nicht gut genug waren, um hier Berücksichtigung zu finden („Anna Karenina“, „Hitchcock“). Aber an sich gibt es hier niemanden, der schmerzlich und berechtigt vermisst wird. Außer vielleicht P.T. Andersons „The Master“. Aber bei dem war selbst das Kritikerecho nicht einhellig. Von daher bietet diese Liste keinen Grund zur Klage. Die stärksten Filme des Jahres sind allesamt vertreten, und mit dem Cannes-Gewinner „Liebe“ würdigt die Oscar-Akademie sogar das europäische Kino, anstatt es wie sonst mit der Kategorie „bester fremdsprachiger Film“ abzuspeisen. Man hätte natürlich auch noch „Skyfall“ nominieren können. Aber zur Adelung eines Action-Films mit einer Nominierung kann sich die Oscar-Akademie dann doch noch nicht überwinden.

Wie sieht das Rennen aus?
Tatsächlich ziemlich spannend. Selten war das Feld der Favoriten so dicht beieinander wie dieses Jahr. Falls die Akademie unerwartete Lust auf ein politisches Statement hat, könnte sogar „Zero Dark Thirty“ gewinnen. „Les Misérables“ darf man auch nicht aus dem Blick verlieren, denn für Musicals hatte die Akademie schon immer eine Schwäche und hat schließlich damals auch „Chicago“ mit dem Hauptpreis versehen. Vermutlich entscheidet sich das Rennen aber im Duell zwischen Spielbergs „Lincoln“ und Ben Afflecks „Argo“ – und nachdem eben dieses Rennen sowohl bei den Golden Globes als auch bei den BAFTAs überraschenderweise an „Argo“ ging, kommt man nicht umhin, ihm auch hier die Rolle des Hauptfavoriten zuzuschustern. Ein weiteres Indiz: Einige unserer Leser haben die „Regel“ ausgemacht, dass der Sieger in dieser Hauptkategorie von uns bei Filmszene immer „nur“ eine Acht-Augen-Wertung bekommen hat. Auch das spricht gegen „Lincoln“ und für „Argo“. :-)

Aber: Da überraschenderweise Ben Affleck nicht als Regisseur nominiert wurde, „Lincoln“ hingegen in diversen anderen Kategorien als Hauptfavorit gelten muss (siehe unten), könnte es passieren, dass „Argo“ den Preis für den besten Film als einzigen Oscar gewinnt. Das wäre ein ziemlich einmaliges Ereignis in der Oscar-Historie und erscheint entsprechend irgendwie unvorstellbar. Es ist darum sehr schwer, hier einen Siegertipp zu wagen, am Ende kann da nur das Bauchgefühl entscheiden.

Wer wird gewinnen? „Lincoln“

BESTE REGIE

Wer ist nominiert?
“Liebe” - Michael Haneke
“Beasts of the Southern Wild” - Benh Zeitlin
“Life of Pi” - Ang Lee
“Lincoln” - Steven Spielberg
“Silver Linings” - David O. Russell

Wer fehlt?
Hier wiederum wird’s interessant – gerade im Vergleich zur jüngst erweiterten „Bester Film“-Nominiertenliste, denn wer dort dabei ist, hier aber fehlt, kann das schon als kleinen Schlag ins Gesicht betrachten. Quentin Tarantino wird sich wohl zeit seiner Filmkarriere damit begnügen müssen, Oscars wenn nur als Drehbuchautor zu bekommen. Kathryn Bigelow hat für ihren letzten Film zwar als erste Frau überhaupt den Regie-Oscar gewonnen, für „Zero Dark Thirty“ indes lässt man sie nicht einmal in die illustre Männer-Runde der Nominierten. Die bemerkenswerteste Auslassung ist jedoch die von Ben Affleck. Der hat zwar den Regie-Preis bei Globes und BAFTAs gewonnen, ist hier aber nicht mal im Rennen. Das könnte auch die Chancen von „Argo“ auf den Hauptpreis doch noch schmälern.

Wie sieht das Rennen aus?
Das Fehlen Afflecks eröffnet in dieser Kategorie die Möglichkeit für eine echte Überraschung – man kann sogar Michael Haneke Chancen einräumen. Verdient hätte den Preis auch Ang Lee für seine außergewöhnliche Leistung, aus einer schier unverfilmbaren Vorlage einen absolut magischen Film gemacht zu haben. Am wahrscheinlichsten ist jedoch, dass Steven Spielberg sich nach „Schindlers Liste“ und „Saving Private Ryan“ seinen dritten Regie-Oscar abholen darf, weil er das gemacht hat, was die Oscar-Akademie immer noch am liebsten mag: großes Historienkino.

Wer wird gewinnen? Steven Spielberg für „Lincoln“

BESTER HAUPTDARSTELLER

Wer ist nominiert?

Bradley Cooper (Silver Linings)
Daniel Day-Lewis (Lincoln)
Hugh Jackman (Les Misérables)
Joaquin Phoenix (The Master)
Denzel Washington (Flight)

Wer fehlt?
John Hawkes’ grandiose Leistung in „The Sessions“ haben vermutlich nicht genug Academy-Mitglieder überhaupt gesehen. Ben Affleck hat vielleicht auch hier auf eine Nominierung gehofft, die ihm aber auch hier verwährt bleibt. Ansonsten stehen hier die fünf Namen, die dieses Jahr auf jeder Awards-Nominiertenliste standen. Und zwar zurecht.

Wie sieht das Rennen aus?
Es gibt kein Rennen. Daniel Day-Lewis hat dieses Jahr schon jeden anderen Preis gewonnen, und zwar vollkommen verdient. Er wird auch bei den Oscars triumphieren, zum dritten Mal nach „Mein linker Fuß“ und „There will be Blood“. Womit sein Status als Jahrhundert-Schauspieler endgültig zementiert wäre.

Wer wird gewinnen? Daniel Day-Lewis für „Lincoln“

BESTE HAUPTDARSTELLERIN

Wer ist nominiert?

Jessica Chastain (Zero Dark Thirty)
Jennifer Lawrence (Silver Linings)
Emmanuelle Riva (Liebe)
Quvenzhané Wallis (Beasts of the Southern Wild)
Naomi Watts (The Impossible)

Wer fehlt?
Marion Cotillard hätte für ihre Tour-de-Force in „Der Geschmack von Rost und Knochen“ eine Nominierung verdient gehabt, geht aber leider leer aus. Helen Mirren war in „Hitchcock“ das einzige, was eine Nominierung wert gewesen wäre. Aber mit dem Film fiel dann auch sie durch. Und die Dauer-Nominierte Meryl Streep hat mit „Wie beim ersten Mal“ dieses Jahr einen Film abgeliefert, den man in dieser Kategorie ausnahmsweise ignorieren darf.

Wie sieht das Rennen aus?
Quvenzhané Wallis geht in die Geschichtsbücher ein als die jüngste Nominierte, die diese Kategorie je erlebt hat. Dabei wird’s aber auch bleiben. Die anderen vier haben alle zumindest theoretische Siegchancen, das „dark horse“ in diesem Rennen könnte tatsächlich Emmanuelle Riva werden, wenn die Altherren-Truppe namens Oscar-Akademie einen Nostalgischen bekommt und die Gelegenheit nutzen will, dieser großen alten Dame des französischen Films noch einen Oscar in die Hand zu drücken. Die bisherige Awards-Saison deutet jedoch ganz klar ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Jessica Chastain und Jennifer Lawrence an. Chastain hatte dabei die schwierigere, introspektivere Rolle, deren bravouröse Verkörperung wohl tatsächlich die herausragendere Leistung war. Lawrence hingegen konnte mit ihrem Part die bessere Show abziehen und hat den zusätzlichen Bonus, dank den „Hunger Games“ die momentan populärste Jung-Schauspielerin Amerikas zu sein. Da wird auch die Akademie nur schwerlich widerstehen können.

Wer wird gewinnen? Jennifer Lawrence für „Silver Linings“

BESTER NEBENDARSTELLER

Wer ist nominiert?

Alan Arkin (Argo)
Robert De Niro (Silver Linings)
Philip Seymour Hoffman (The Master)
Tommy Lee Jones (Lincoln)
Christoph Waltz (Django Unchained)

Wie sieht das Rennen aus?
Verdammt eng, vielleicht das engste Rennen des ganzen Abends. Es gibt hier keinen klaren Favoriten, wobei man darauf spekulieren kann, dass Arkin und de Niro sich nicht wirklich Hoffnungen machen dürfen – sie wurden in ihren langjährigen Karrieren auch schon ausreichend geehrt. Auch die anderen drei Herren haben zwar alle schon einen Oscar zuhause, sind in dieser Awards-Saison aber auch alle schon mal als bester Nebendarsteller ausgezeichnet worden. Die Nase leicht vorn hat Christoph Waltz, der sowohl bei den BAFTAs als auch bei den Golden Globes ausgezeichnet wurde. Aber ob die Oscar-Akademie schon wieder diesen Ausländer krönen möchte, wenn sie so viele altgediente Recken aus ihren eigenen Reihen zur Auswahl hat? Zumal Tommy Lee Jones den Preis der Screen Actors Guild gewann, und die Schauspieler sind die in der Oscar-Akademie am stärksten vertretene Film-Berufsgruppe. Ergo:

Wer wird gewinnen? Tommy Lee Jones für „Lincoln“

BESTE NEBENDARSTELLERIN

Wer ist nominiert?

Amy Adams (The Master)
Sally Field (Lincoln)
Anne Hathaway (Les Misérables)
Helen Hunt (The Sessions)
Jacki Weaver (Silver Linings)

Wie sieht das Rennen aus?
Neben dem besten Hauptdarsteller ist das hier die zweite glasklare Angelegenheit der diesjährigen Oscar-Nacht, denn auch in dieser Kategorie ging bisher jeder wichtige Preis der Awards-Saison an dieselbe Person, und das wird auch bei den Oscars zurecht nicht anders aussehen.

Wer wird gewinnen? Anne Hathaway für „Les Misérables“.

BESTES ADAPTIERTES DREHBUCH

Wer ist nominiert?

Argo (Chris Terrio)
Beasts of the Southern Wild (Lucy Alibar & Benh Zeitlin)
Life of Pi (David Magee)
Lincoln (Tony Kushner)
Silver Linings (David O. Russell)

Wie sieht das Rennen aus?
Alibar und Zeitlin sind krasse Außenseiter, David Magee muss damit leben, dass die Leistung von Ang Lee als Regisseur die seine als Autor bei weitem überstrahlt. Die drei anderen Herren dürfen sich berechtigte Hoffnungen machen, das finale Duell entscheidet sich vermutlich zwischen Kushner und Russell, wobei Tony Kushner die eindeutig schwierigste und darum bemerkenswerteste Leistung vollbracht hat – ein wahres Monster von einem Stoff auf sehr ungewöhnliche, sehr überzeugende und sehr überraschende Weise zu bändigen.

Wer wird gewinnen? Tony Kushner für „Lincoln“

BESTES ORIGINALDREHBUCH

Wer ist nominiert?

Liebe (Michael Haneke)
Django Unchained (Quentin Tarantino)
Flight (John Gatins)
Moonrise Kingdom (Wes Anderson & Roman Coppola)
Zero Dark Thirty (Mark Boal)

Wie sieht das Rennen aus?
Nach einem Duell zwischen Hollywoods “Chef-Reporter” Mark Boal und seiner fetisch-haften Faktentreue auf der einen sowie Quentin Tarantino und seiner fetisch-haften Kinoliebe auf der anderen Seite. Die Tendenz ist hier allerdings ziemlich eindeutig.

Wer wird gewinnen? Quentin Tarantino für „Django Unchained“

 

Die Nominierten der anderen Kategorien (unser Sieger-Tipp ist fett gedruckt):

BESTER FREMDSPRACHIGER FILM
Liebe (Österreich)
Kon-Tiki (Norwegen)
No (Chile)
A Royal Affair (Dänemark)
War Witch (Canada)

BESTER ANIMATIONSFILM
Merida – Legende der Highlands (Mark Andrews and Brenda Chapman)
Frankenweenie (Tim Burton)
ParaNorman (Sam Fell and Chris Butler)
Die Piraten - Ein Haufen merkwürdiger Typen (Peter Lord)
Ralph reicht’s (Rich Moore)

BESTE KAMERA
Anna Karenina (Seamus McGarvey)
Django Unchained (Robert Richardson)
Life of Pi (Claudio Miranda)
Lincoln (Janusz Kaminski)
Skyfall (Roger Deakins)

BESTE KOSTÜME
Anna Karenina (Jacqueline Durran)
Les Misérables (Paco Delgado)
Lincoln (Joanna Johnston)
Mirror Mirror (Eiko Ishioka)
Snow White and the Huntsman (Colleen Atwood)

BESTER SCHNITT
Argo
Life of Pi
Lincoln
Silver Linings
Zero Dark Thirty

BESTE MASKE
Hitchcock
Der Hobbit: Eine unerwartete Reise
Les Misérables

BESTE FILMMUSIK
Anna Karenina (Dario Marianelli)
Argo (Alexandre Desplat)
Life of Pi (Mychael Danna)
Lincoln (John Williams)
Skyfall (Thomas Newman)

BESTER ORIGINAL-SONG
“Before My Time” aus “Chasing Ice”
“Everybody Needs A Best Friend” aus “Ted”
“Pi’s Lullaby” aus “Life of Pi”
“Skyfall” aus “Skyfall”
“Suddenly” aus “Les Misérables”

BESTE AUSSTATTUNG
Anna Karenina
Der Hobbit: Eine unerwartete Reise
Les Misérables
Life of Pi
Lincoln

BESTER DOKUMENTARFILM
5 Broken Cameras
The Gatekeepers
How to Survive a Plague
The Invisible War
Searching for Sugar Man

BESTE KURZDOKUMENTATION
Inocente
Kings Point
Mondays at Racine
Open Heart
Redemption

BESTER ANIMIERTER KURZFILM
Adam and Dog
Fresh Guacamole
Head over Heels
Maggie Simpson in “The Longest Daycare”
Paperman

BESTER KURZFILM
Asad
Buzkashi Boys
Curfew
Death of a Shadow
Henry

BESTER TONSCHNITT
Argo
Django Unchained
Life of Pi
Skyfall
Zero Dark Thirty

BESTER TON
Argo
Les Misérables
Life of Pi
Lincoln
Skyfall

BESTE VISUELLE EFFEKTE
Der Hobbit: Eine unerwartete Reise
Life of Pi
Marvel’s The Avengers
Prometheus
Snow White and the Huntsman

 


Sehr guter Artikel. So spannend wie dieses Jahr war s tatsächlich schon ein paar Jahre nicht mehr. Dennoch wurden, wie immer, viele spannende Werke außen vor gelassen und somit ist der Academy Award bei weitem nicht mehr DER Gradmesser für wirklich außergewöhnliche Filme.

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Bei Drehbuch fehlt mir eindeutig der Batman!
Selten gab es so einen guten Twist und die Dialoge hätten es auch verdient.
Na Comic Verfilmung wird selten Beachtung geschenkt, gut die meisten haben es auch nicht verdient, dennoch war TDKR schon unglaublich stark und auch Tom Hardy hätte eine Normierung verdient. Wann gab es schon mal einen Schauspieler der nur durch seine Augen und Stimme so genial gespielt haben.
Auch bei den Effekten verstehe ich die Nominierung von Hobbit und dem Hänsel und Gretel Mist nicht.

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Ich dachte ja zuerst, Michelle präsentiert uns jetzt pathetisch Zero Dark Thirty als Gewinner. Gott sei Dank war es dann Argo. Zweiter Oscar für Waltz hat mich vom Hocker gehauen, Ang Lee hat es sich auch verdient. Der Rest wie erwartet und wie von mir gewünscht.
Ansonsten wieder sehr ermüdend. Roboterhaft abgelesene Telepromptertexte, lahmes Gesinge und Seth war bis auf paar bissige Witze der nervigste Händeklatscher im Saal. Gute Nacht. ;)

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