All or Nothing: Die Nationalmannschaft in Katar

von Matthias Kastl / 9. September 2023

Eigentlich ist es ja ganz einfach im Fußball: Wenn man gewinnt hat man alles richtig gemacht. Umgekehrt wird aber eben dann auch gerne alles besonders kritisch hinterfragt, sobald die Ergebnisse mal nicht stimmen. So sorgte das abgelegene WM-Quartier Campo Bahia 2014 für den richtigen Spirit um Deutschland zum WM-Sieg zu tragen, während die Entscheidung für ein abgelegenes Quartier bei der WM in Katar 2022 nach dem schlechten Abschneiden schnell als Zeichen von Arroganz und Abgehobenheit interpretiert wurde.

Die Hoffnung des deutschen Fußballbundes mit einem Blick hinter die Kulissen der WM in Katar das ramponierte Image der deutschen Nationalmannschaft aufzupäppeln steht so angesichts des desaströsen Abschneidens vor Ort natürlich unter einem gänzlich ungünstigen Stern. Das sich die Medien mit viel Häme auf die Protagonisten der Amazon Dokumentation "All or Nothing: Die Nationalmannschaft in Katar" stürzen würden kam darum nicht gerade überraschend. Außer für Freunde der Leichenfledderei bietet die Doku am Ende aber leider nur wenige echte Highlights, um auch weniger destruktiv denkenden Fußball-Fans irgendeinen Grund zu liefern sich dieses eher traurige Kapitel deutscher Fußballgeschichte noch einmal anzutun.


Ähnlich wie schon beim deutschen Sommermärchen 2006, diesmal allerdings ohne einen Sönke Wortmann hinter der Kamera, begleitet man im Rahmen von Amazons Sportserie "All or Nothing" die deutsche Nationalmannschaft durch ihr WM-Turnier. Angesichts des frühen Ausscheidens kommt man am Ende auf nur vier Folgen, von denen sich die erste der Zeit vor der WM widmet, während sich der Rest jeweils vor allem auf die Vor- und Nachbereitung eines der drei Gruppenspiele fokussiert. Der Fokus dieser Rezension wiederum liegt weniger auf der Frage, ob die Protagonisten hier nun einen besonders unglücklichen oder gar inkompetenten Eindruck machen (hierfür bitte einen kleine Abstecher in den Boulevard machen, da tobt man sich gerade ordentlich aus). Sondern ob es Regisseur Christian Twente und sein Team gelingt aus diesem verkorksten Event eine faszinierende Doku mit interessanten Einblicken zu basteln.

Im Gegensatz zu Sönke Wortmanns Sommermärchen hat man sich hier auf jeden Fall die Zeit genommen im Nachhinein noch einmal viele Statements einiger Protagonisten einzuholen, um so das Geschehen zwischendrin immer wieder retrospektiv einordnen zu können. Leider ist das Ergebnis hier aber trotzdem genauso oberflächlich wie schon 2006, da man meist nicht viel mehr als Phrasen oder möglichst harmlose Aussagen von den Beteiligten erhält – ähnlich den vielen nichtssagenden Interviews im Bundesligaalltag. Viel aufregender als "Der Hansi mag nicht, wenn du schlechte Leistungen bringst" oder "Hansi ist sehr wichtig, dass das Team funktioniert" wird es kaum – von der ein oder anderen kleinen Spitze gegen Flick-Vorgänger Jogi Löw mal abgesehen.


Ein guter Dokumentarfilmer sollte da doch bitte tiefer graben, auch weil gerade das Thema rund um die politischen Diskussionen (Stichwort One-Love-Binde) ja wirklich Sprengstoff bietet und es schon sehr auffällig ist, wie oft hier jemand aus dem DFB-Tross darauf hinweist, dass man ja ohne diese Diskussionen sicher viel besser gespielt hätte. Das hätte man ja durchaus mal kritisch kommentieren oder hinterfragen können, stattdessen entscheidet man sich das Geschehen vom inzwischen pensionierten Fuball-Kommentator Béla Réthy in einer Art belanglosem Märchenonkel-Stil begleiten zu lassen. Der reiht sich mit Aussagen wie "Das Trainerteam arbeitet seit Monaten eng zusammen" oder (nach einer Niederlage) "das Team ist am Boden" mühelos in die einschläfernde Oberflächlichkeit der Geschehens ein und hätte problemlos komplett aus der Serie entfernt werden können.   

Die im Trailer zur Serie angedeuteten Streits zwischen Spielern werden auch ziemlich schnell wieder aufgelöst und so kommt eigentlich nur ein klein wenig Stimmung auf, wenn Bundestrainer Flick bei der Nachbesprechung mal etwas die Stimme hebt. Aber auch dessen Ansprachen vor einer meist inaktiven und im Einheitslook dasitzenden Mannschaft haben halt nicht wirklich was cineastisches, da es eher den spröden Charme eines abgefilmten Business-Seminars versprüht. Und das von vielen Medien sinnbildlich für die Fehler des Teams stehende Motivationsvideo über den Flug der Graugänse kann auch nicht für Aufheiterung sorgen, da es nach paar Sekunden schon vorbei ist und jetzt auch nicht so schrecklich ist wie es von vielen gemacht wird.   


Viel schlimmer ist, dass die Serie einfach nie wirklich irgendwas Interessantes zu sagen hat. Symbolisch dafür sind viele Passagen, in denen man einfach Fernsehinterviews oder Pressekonferenzen, deren Aussagen viele Fans bereits kennen dürften, einfach noch mal aus anderen Kamerawinkeln zeigt. Genau so fühlt sich die ganze Doku an, altbekannte Sachen werden einfach noch einmal aufgewärmt. Aber was soll man auch machen, wenn viele Ideen durch den Ablauf des Turniers torpediert wurden. So merkt man, dass die Macher sich gezielt auf ein paar Spieler fokussiert hatten, um möglicherweise wundervolle emotionale Storybögen zu schaffen. So erzählt Niclas Füllkrug, wie er schon als Kind in Briefen davon schrieb Weltmeister zu werden und Jamal Musiala zeigt alte Kindheitsvideos und berichtet, dass Tore schießen schon immer sein Traum war. Aber wenn Füllkrug eben nicht Weltmeister wird und Musiala kein Tor macht, dann steht man als Filmemacher eben mit leeren Händen da.

Wenn es einen Weg gegeben hätte aus diesem unglücklichen Verlauf trotzdem noch eine interessante Serie zu basteln, Regisseur Christian Twente findet ihn nicht. Natürlich ist der Blick hinter die Kulissen eines solchen Turnieres immer noch irgendwie interessant für Fußball-Fans und natürlich gibt es wieder ein paar nette Passagen mit "Quatschkopf" Thomas Müller. Aber so frisch ist das Genre jetzt auch nicht mehr und allein auf diesem Mehrwert sollte man sich heute nun wirklich nicht mehr ausruhen. Wie sehr die Macher von dem Verlauf des Turnieres abhängig waren zeigt sich dabei gut in den wenigen Momenten, wo die Serie dann doch mal kurzzeitig funktioniert. Wie zum Beispiel bei der emotionalen Kabinensprache von Niklas Füllkrug vor dem Spanien-Spiel, wo tatsächlich mal packende Atmosphäre aufkommt – eben auch in dem Wissen, dass nun das beste Spiel des Turniers folgen wird.

Am Ende ist "All or Nothing: Die Nationalmannschaft in Katar" aber genauso trist anzuschauen wie die WM damals. Die Ankündigung der Serie als "große Tragödie" ist dabei maßlos übertrieben, denn für eine ordentliche Tragödie braucht es viel mehr Tiefe und Emotionen. Immerhin beweist Amazon mit der Veröffentlichung der Dokumentation, direkt vor wichtigen Länderspielen, ein gutes Gespür für Timing und Marketing (im Gegensatz zum DFB). Für mehr darf man sich hier aber leider nicht auf die Schulter klopfen.

Die vier Folgen von "All or Nothing: Die Nationalmannschaft in Katar" sind seit dem 08. September 2023 komplett bei Amazon Prime Video verfügbar.

Bilder: Copyright

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