Er hat es mittlerweile schwer, der klassische Zeichentrickfilm. Nicht nur im Hause Disney - immer noch die erste Adresse in diesem Bereich - wird das Geld mittlerweile hauptsächlich mit rein computeranimierten Filmen verdient. Auch die Konkurrenz feiert ihre Erfolge wie "Shrek" oder "Ice Age" in diesem relativ jungen Sub-Genre. Wozu also noch versuchen, den Jahrzehnte langen Vorsprung des Mäuseimperiums in dessen angestammtem Revier aufzuholen? Doch ausgerechnet jetzt und nach diversen mittelmäßigen Versuchen ("Der Prinz von Ägypten", "El Dorado") liefert die Firma Dreamworks mit "Spirit" doch noch ein Werk ab, das zeigt, wie der Weg aus der Sackgasse für den großen abendfüllenden Zeichentrickfilm aussehen könnte. Und bemerkenswerterweise liegt das Erfolgsrezept dabei in der Reduzierung oder gar dem völligen Weglassen von eigentlich als "unverzichtbar" geltenden Elementen.
Denn die Lebens- und Leidensgeschichte des wilden Mustang "Spirit" aus der Zeit des wilden Westens kommt uns erst einmal ganz und gar nicht niedlich daher. Von seiner Herde getrennt und gewaltsam eingefangen leidet das in Freiheit geborene Pferd unter den Disziplinierungsversuchen der brutalen weißen Soldaten. Lediglich ein ebenfalls in Gefangenschaft geratener Indianer findet einen Zugang zu dem verstörten Pferd und gewinnt dessen Vertrauen. Doch nach der gemeinsamen Flucht will auch der neue Freund den Mustang nicht wieder in die Wildnis entlassen und "Spirits" Kampf ist noch lange nicht zu Ende. Mehrmals wechselt das stolze Pferd den Besitzer, gerät dabei in die Wirren der Indianerkriege und des Eisenbahnbaus und will dabei doch eigentlich nur zurück nach Hause.
"Spirit" ist zuallererst vor allem ein astreiner Western - und zwar einer wie man ihn in dieser Form heutzutage im Kino eigentlich gar nicht mehr zu sehen bekommt. Zahlreiche klassische Western-Themen werden hier gestreift und es ist bei aller "political correctness" dennoch bemerkenswert, wie eindeutig hier die US-Soldaten als brutale und einfältige Schurken und die Indianer als sanfte, im Einklang mit der Natur lebende Menschen gezeichnet werden. Eine Schwarzweißzeichnung, die allerdings zum Ende erfreulicherweise doch noch ein wenig ausbalanciert wird. Die Animation ist klassisch, wirkt dabei sogar fast etwas gewollt altmodisch. Die Tierzeichnungen sind klar und oft einfach nur schön, doch auf eine allzu große Verniedlichung und vor allem Vermenschlichung wird dabei verzichtet. Gestattet ist lediglich ein Mienenspiel und eine Haltung, die den Zuschauer genügend Emotionen erkennen lassen. Das muß reichen, denn - und das ist vielleicht das bemerkenswerte und auch überraschendste an diesem Film - die Tiere sprechen nicht. Nicht miteinander und auch nicht mit den Menschen. Und gesungen wird schon mal gar nicht. Keine putzigen Musicaleinschübe mit diversen Waldbewohnern etwa. Gewagt, denkt der erfahrene Betrachter da im ersten Moment, ist man doch seit Jahrzehnten Anderes gewohnt. Aber Zweifel, ob das denn funktionieren kann sind unangebracht: "Spirit" funktioniert nämlich ziemlich gut, bekommt damit fast zwangsläufig eine "seriöse" Note und macht auch erst so richtig klar, wie unangebracht die sprechenden Dinosaurier in dem gleichnamigen und ansonsten hyperrealistischen Disney-Film tatsächlich waren.
In
der letzten Viertelstunde drückt der von diversen Schicksalsschlägen
gebeutelte "Spirit" dann aber noch gewaltig auf die Tränendrüse.
Erstaunlicherweise sorgt die kraftvolle Inszenierung dabei aber
auch bei hartgesottenen Kinobesuchern dafür, daß diese
Drüse tatsächlich etwas Flüssigkeit vergießt.
Verwundert reibt sich der Betrachter die feuchten Augen und ärgert
sich fast ein bißchen darüber, daß ihn dieser gestylte
Kitsch tatsächlich beeindruckt.
Schnell den Kloß im Hals runter geschluckt und wieder nach
Kritikpunkten gesucht. Denn eines ist wirklich schade: Da man sich
auf Seiten der Produzenten wohl nicht so richtig getraut hat, das
"Experiment" wirklich ganz konsequent durchzuziehen, gilt
das "gesprochen und gesungen wird nicht" nämlich
doch nur bedingt. "Spirit" spricht zwar nicht mit Seinesgleichen
oder den Menschen, wohl aber mit dem Zuschauer, dem so hin und wieder
das Gefühlsleben des Mustangs noch etwas genauer erklärt
wird. Und gesungen wird ab und zu auch, wenn aus dem Hintergrund
Bryan Adams von "Pride" und "Freedom" schwärmt.
Hätten die Macher der Kraft ihrer Animationen voll und ganz
vertraut, wäre das nicht nötig gewesen und "Spirit"
ein noch besserer Film geworden. Und bei der Gelegenheit sei noch
die Empfehlung ausgesprochen, sich das Ganze doch besser in der
Originalfassung anzutun: Denn wenn schon schwülstiges Liedgut,
dann doch lieber von Bryan Adams als in der deutschen Version von
"PUR"-Barde Hartmut Engler. Oder etwa nicht?
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